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»Seine letzten Worte, als er todwund in meinen Armen lag, galten euch, Krieger der Snaiwamark. Verschenkt das Land eurer Ahnen, um das wir so bitter gekämpft haben, nicht an eure Feinde. Seid eins und wartet, bis euch ein neuer König geboren wird. Lasst alle Fehden ruhen! Euer König ist tot. Doch er wird wiederkehren, denn Branbarts Liebe zu euch reicht über das Grab.«

Irgendwo unten auf der Ebene schlug jemand eine Kriegskeule auf seinen Holzschild. Ein zweiter Krieger nahm den Rhythmus auf, dann ein Dutzend. Binnen weniger Herzschläge hallte die Eisebene wider vom Dröhnen der schweren Schilde. Sein Heer entrichtete Branbart einen letzten Gruß.

Vielleicht war Branbarts Seele jetzt ganz nahe. Irgendwo musste sie ja sein, dachte Skanga, und sie hoffte, dass ihr König diesen Abschied miterlebte. Aber auf diese Hoffnung allein hätte sie nicht bauen können. Sein Volk brauchte etwas Sichtbares.

Höher und höher stieg die magische Kugel, und dann ließ Skanga den Zauber in einem gleißenden Leuchten vergehen, das einen Lidschlag lang von Horizont zu Horizont reichte. Das Lärmen verstummte. Alle starrten in den eisigen Winterhimmel.

Die Schamanin spürte die Hitze des Albensteins durch ihr Flickengewand. Der Zauber hatte sie die letzten Kräfte gekostet. Bei jedem Atemzug spürte sie die gebrochenen Rippen, und das Handgelenk, das Branbart ihr verdreht hatte, brannte immer noch vor Schmerz. Mit zitternden Händen klammerte sie sich an ihren Stab. Birga war bei ihr, bevor sie etwas sagen konnte. Behutsam half ihr die junge Schamanin auf die Beine. Sie stützte Skanga, als ihre Meisterin den vereisten Hügel hinabstieg.

Skanga ärgerte sich darüber, so schwach zu sein. Sie musste schlafen. Ihre blinden Augen blickten zum weiten Himmel empor. »War es gut?«, fragte sie leise. Sie konnte nur die Farben der Magie sehen. Wie der Zauber für ein gewöhnliches Auge aussah, vermochte sie nicht einmal zu ahnen.

Wieder erklang das Schildschlagen auf der Ebene. »Du hast den Namen Branbarts so unsterblich wie seine Seele gemacht«, sagte Birga feierlich.

Skanga dachte an das Nichts. An die lockenden Stimmen der Yingiz und das tausendfache Sterben. Unsterblich waren sie nicht, die Seelen. Sie blickte zum Himmel hinauf. Vielleicht würde Branbart ihr verzeihen.

Skangas Kniegelenke schmerzten, als habe man glühende Kohlen hinter ihre Kniescheiben gelegt. Welch einen rührseligen Unfug sie gerade gedacht hatte! Sie hatte es nicht nötig, dass Branbart ihr verzieh. Wenn seine Seele wiedergeboren wurde, wäre alle Erinnerung an sein vergangenes Leben ausgelöscht. Sie konnte dann von neuem damit beginnen, den König zu formen, wie sie es schon so oft getan hatte.

Euterläuse und Bücherschlag

Ollowain schob die Lutin zur Seite. Deshalb also hatte Emerelle darauf bestanden, dass ein Schwertkämpfer mit in die Bibliothek kam! Ein riesiger gehörnter Schatten hatte sich schnaufend zwischen den Schreibpulten erhoben. Ein Minotaur! Ein Fleisch fressendes Ungeheuer, größer, stärker und vor allem unberechenbarer, als es selbst die Trolle waren.

Die Bestie machte einen Schritt voran. Die Bewegung wurde von einem merkwürdigen, hölzernen Klacken begleitet.

Ollowain blinzelte. Der Minotaur schien sich auf einen wuchtigen Kampfstab zu stützen.

»Liuvar!«, rief Ganda. Es war das elfische Wort für Frieden. Welch eine kindische Idee, solch eine Bestie mit der Bitte um Frieden aufhalten zu wollen!

Der Kentaur hob etwas, das um seinen Hals hing. Durchdringender Glockenklang ertönte.

»Ganz hervorragend, Ganda. Jetzt hast du ihn auch noch auf die Idee gebracht, Verstärkung zu rufen. Als ob ein Minotaur noch nicht genug Ärger wäre!« Vorsichtig näherte Ollowain sich der Bestie. Er hatte entschieden, dass es günstiger war, zwischen den Stehpulten zu kämpfen. Ihn würden sie weniger behindern als dieses Monstrum, das fast doppelt so groß war wie er.

»Es hieß immer, man müsse die Wächter der Bibliothek um Frieden bitten«, flüsterte die Lutin kleinlaut.

Der Minotaur schnupperte. »Habt ihr Würmer?«, fragte er schwerfällig.

Ollowain hielt inne. Es war ein Ritual, sich vor einem Zweikampf gegenseitig Beleidigungen an den Kopf zu werfen. Trolle und andere Barbaren begannen gewöhnlich damit, unsägliche Dinge über die Mutter ihres Gegners und dessen Abstammung zu behaupten. Aber die Frage, ob man Würmer habe, war etwas ganz Neues. Der Schwertmeister überlegte kurz. Er sollte ähnlich primitiv und derb antworten. »Hast du Euterläuse?«

»Nein.« Der Minotaur sprach langsam, als wolle er jedes Wort erst wiederkäuen, bevor er es über die Lippen ließ. »Natürlich nicht. Ich bin ein Stier.«

Mit einem weiten Satz sprang Ollowain auf eines der Stehpulte. Der schmale Tisch war massiv und schwer; er bewegte sich nicht, als der Elf darauf landete. Der Schwertmeister beobachtete seinen Gegner misstrauisch. Entweder war der Minotaur sehr dämlich oder ein sehr selbstbewusster Kämpfer. Er blickte in Ollowains Richtung. Das war seine einzige Reaktion darauf, dass der Schwertmeister nun fast in Angriffsreichweite war.

Der Elf schätzte seine Aussichten, den Minotauren mit einem einzigen Hieb zu töten, als gut ein. Die Stehpulte gaben ihm im Kampf einen unerhörten Vorteil. Durch sie stand er hoch genug, um einen direkten Schwerthieb gegen die Kehle des Ungeheuers zu führen.

Aber etwas stimmte hier nicht. Dieser dämliche Stierkopf verhielt sich zu lässig. Er hob nicht einmal seinen Kampfstab ...

Eiliger Hufschlag donnerte in der Ferne. Noch mehr von diesen Hörnerträgern! Was, zum Henker, mochte die Minotauren veranlasst haben, die Bibliothek zu besetzen? Diese Raubeine waren etwa so bibliophil veranlagt wie Trolle oder Nixen. Sie hatten hier nichts verloren.

Der Schwertmeister spannte sich. Er musste angreifen, damit wenigstens der erste Gegner schon bezwungen war, bevor die Verstärkung eintraf. Er federte in den Beinen. Dann sprang er. Mit einem formvollendeten Salto erreichte er das Stehpult neben seinem Gegner. Sein Schwert beschrieb einen blitzenden Bogen und verharrte weniger als einen Zoll breit vor der Kehle des Minotauren.

Dieser dämliche Ochsenschädel machte nicht die geringsten Anstalten, sich zu verteidigen. Ollowain konnte ihn doch nicht einfach niedermetzeln! Genauso wenig, wie er die Halsabschneider in der Gasse hatte umbringen können. Sie waren übel verprügelt worden. Das genügte! Sie zu töten wäre nicht ritterlich gewesen; zu groß war das Gefälle zwischen ihnen. Es lag keine Ehre darin, einen Feind abzuschlachten, der nicht in der Lage war, sich angemessen zu verteidigen.

»Nicht!«, klang eine Stimme durch die Finsternis.

Der dröhnende Hufschlag war nun ganz nahe. Ein weißer Kentaur preschte heran, der eine helle Laterne bei sich trug.

»Nicht!«, schrie er noch einmal aus Leibeskräften. Ollowain ließ das Schwert sinken.

Die Hufe des Kentauren schlugen Funken, als er auf dem glatten Steinboden zum Halten kam. »Nicht, im Namen der Hüter des Wissens! Kleos ist harmlos. Er wird euch nichts tun.«

Der Schwertmeister hatte in seinem Leben schon einige Minotauren getroffen. Er hatte welche in Vahan Calyd im Weihrauchrausch während des Festes der Lichter beim Tanzen beobachtet, hatte Minotaurenräuber in den endlosen Weiten des Windlands bekämpft und sie in den großen Höhlen der Mondberge zechen sehen. Er kannte viele Gesichter der großen Stiermänner. Doch harmlosen Minotauren war er noch nie begegnet!

Das Licht der Laterne erlaubte es dem Schwertmeister, Kleos näher zu betrachten. Der Minotaur war nicht bewaffnet! Was Ollowain im Dunkel für einen Kampfstab gehalten hatte, war ein Krückstock, auf den sich der Stiermann stützte. Sein rechtes Bein war schwer verkrüppelt. Unnatürlich verdreht vermochte es seinen schweren Leib offensichtlich nicht mehr zu tragen. Und die Augen! Sie waren von einer hellen, warmen Farbe, die an goldenen Bernstein erinnerte. Eines war auf Ollowain gerichtet, während das andere zur Decke hin verdreht war.