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»Was ich glaube oder nicht, tut nichts zur Sache. Ich habe eine Mission, und die werde ich erfüllen. Wirst du mir helfen, Meister Gengalos? Stehst du für oder wider die Königin? Bekenne dich!«

Der Hüter des Wissens erhob sich. Er war fast einen Kopf größer als Ollowain. »Das ist das Ärgernis mit euch Elfen. Ihr bringt wunderbare Künstler hervor, Dichter und Philosophen, Baumeister und Krieger, die ihresgleichen suchen. Nur in einer Sache seid ihr jämmerlich. Entweder ist man für euch, oder man ist gegen euch. Dazwischen gibt es nichts. Euch würde niemals einfallen, dass ihr Feinde habt, die euch im Grunde ihres Herzens lieben. Ein Teil eurer Größe liegt darin begründet, dass ihr euch gegen sie behaupten müsst. Vielleicht bin auch ich solch ein Feind, Ollowain? Hier gelten Emerelles Befehle und Wünsche nichts. Und komm mir nicht damit, dass Albenmark bedroht ist. Mir bedeutet es ebenso wenig wie Ganda, wer dort herrscht. Eine Welt zu retten ... das ist ein zu großes Ziel, um wahrhaftig zu sein. Unsere wirklichen Beweggründe sind in der Regel von viel geringerer Natur. Das schätze ich an deiner Begleiterin. Sie ist hier, um die Blütenfeen vor den Schatten zu retten, die Emerelle so leichtfertig in eure Welt gelassen hat. Sie kennt ihre Gedichte, und sie war ihren Seelen nahe. Auch wenn mein geschätzter Freund Chiron nicht viel von den Lutin im Allgemeinen hält, so heiße ich dich ausdrücklich willkommen in der Bibliothek, Ganda. Die Schriften über die Geheimnisse der Alben werden dir offen liegen. Doch sei gewarnt, sie können den Geist verwirren und sind nur selten eine Hilfe. Du aber, Ollowain, wirst für euch beide den Preis zahlen, den Iskendria von seinen Besuchern fordert. Du wirst dem Hüter der Albenschriften in allen Einzelheiten von den Kämpfen um die Snaiwamark berichten. Unser Wissen über diese Auseinandersetzung ist noch sehr lückenhaft, und wer könnte diese Lücken besser schließen als der Feldherr, der den Oberbefehl auf Seiten der Elfen führte.«

»Das kann ich nicht«, sagte der Schwertmeister.

»Warum? Weil du die Erinnerung an all das, was zu Lyndwyns Tod führte, tief in dir begraben möchtest?«

»Wenn du ohnehin in meinen Gedanken liest, warum sollte ich dir dann noch etwas berichten?«, begehrte Ollowain auf.

»Weil es dir Freude macht, mich zu quälen?«

»Nein, Elf. Weil es einen Unterschied macht, ob diese Geschichte in deinen oder meinen Worten niedergeschrieben wird. Du hast bis morgen Zeit, dich zu entscheiden, Ollowain. Chiron wird euch jetzt zu euren Unterkünften bringen, in denen ihr ein Nachtlager für die Dauer eures Aufenthalts in der Bibliothek findet. So ist es Brauch bei uns. Jeder Suchende soll zunächst eine Nacht mit sich und seinen Gedanken verbringen, bevor wir ihn zu den Büchern führen. Ihr seid nun entlassen.«

Der Schwertmeister ahnte, dass es sinnlos wäre, sich gegen die Befehle von Meister Gengalos aufzulehnen. Noch wusste er nicht, wie er sich entscheiden würde. Bisher hatte er allein Emerelle von den Ereignissen in Phylangan berichtet. Sonst hatte er mit niemandem darüber gesprochen. Es war zu schmerzhaft.

Ganda schwieg, bis Chiron ihnen beiden ihre Räume zugewiesen hatte. Die Lutin war ungewöhnlich still. Erst als der Kentaur längst gegangen war und Ollowain auf seinem Bett ruhte, ohne Schlaf finden zu können, kam sie zu ihm.

»Ich glaube, wir werden betrogen«, flüsterte sie. »Ich gehe mich jetzt ein wenig umsehen. Ich habe das Gefühl, dass sie irgendwelche Bücher vor uns verbergen wollen und wir deshalb in diese Zimmer gebracht worden sind. Sie hätten uns doch gleich zu den Schriften bringen können. Du hast Gengalos deutlich genug gesagt, dass es eilig ist.«

Ollowain zuckte müde mit den Schultern. »Du hast doch gehört, was Gengalos meinte. Dass es Brauch sei, sich eine Nacht lang zu besinnen.«

»Ach, Schnickschnack! Es würde mich nicht wundern, wenn er diesen Brauch eben erst erfunden hätte! Sie haben etwas zu verbergen, deshalb haben sie uns erst einmal hierher geschafft. Hast du etwas dagegen, wenn ich jetzt einen kleinen Spaziergang unternehme?«

»Würdest du dich denn daran halten, wenn ich es dir verbieten würde?«

Die Lutin lächelte verschmitzt. »Vielleicht. Du bist doch der Anführer.«

»Geh.«

Ein Saal aus Licht

Ganda war müde, und sie ärgerte sich über Chiron. Fünf Schritt voraus wackelte sein verdammter Pferdeschweif, und sie war sich sicher, dass ihm bewusst war, dass er gerade so schnell ging, dass sie laufen musste, um mit ihm und Ollowain Schritt zu halten.

Ohne sie oder den Schwertmeister auch nur eines Blickes zu würdigen, schwadronierte er über die Wunder der Bibliothek. Sie eilten an Wänden entlang, die mit Regalen bedeckt waren, welche sich zur Decke hin in der Finsternis verloren. Spiralförmige Leitern wanden sich an den Bücherwällen empor und führten auf schmale, hölzerne Galerien, wo Ganda noch mehr Leitern entdecken konnte, die immer weiter hinaufführten.

Sie fragte sich, welche Bücher wohl dort oben standen? Die besonders bedeutsamen, die man vor den Blicken Uneingeweihter verstecken wollte? Oder die besonders nichts sagenden, die man in die fernsten Winkel verbannte, weil sie es nicht wert waren, auch nur die Aufmerksamkeit eines flüchtigen Blickes im Vorübergehen zu erhalten?

Ganda war in der Nacht noch lange unterwegs gewesen, und obwohl sie mit solchen heimlichen Ausflügen bestens vertraut war, hatte sie sich beinahe verirrt. Die Bibliothek war ein Labyrinth. Sie hatte einer der unsichtbaren Kraftlinien folgen müssen, bis sie zum Albenstern fand, der sie hierher gebracht hatte. Erst von diesem bekannten Ort aus hatte sie es geschafft, wieder zurück zu ihrem Zimmer zu finden. Den Weg zum Albenstern würde sie in Zukunft ohne Mühe finden. Es war immer gut zu wissen, dass es einen Fluchtweg gab.

Als Ganda zu ihrem Zimmer zurückkehrte, hatte sie Licht durch den Türspalt von Ollowains Kammer fallen sehen. Offensichtlich hatte auch er keinen Schlaf finden können. War die Erinnerung an Phylangan so quälend? Oder war es etwas anderes, das ihm die Nachtruhe raubte? Am nächsten Morgen sah man ihm nicht an, dass er übernächtigt war. Das war das Übel mit den Elfen! Sie konnten tun und lassen, was sie wollten, nichts hinterließ eine Spur an ihnen. Wie aus Marmor gehauen waren ihre Gesichter. Ärgerlich! Sie selbst hatte blutunterlaufene Augen und fühlte sich wie eine Schlafwandlerin, als sie jetzt diesem überheblichen Kentauren hinterherlief.

»Zur Linken beginnen die Hallen der Menschen.« Chiron deutete auf rautenförmige Regale, die an ein Weinlager erinnerten, nur dass hier statt kostbarer Flaschen Stapel von Schriftrollen aufbewahrt wurden, die jede für sich in einer steifen, ledernen Schutzrolle steckten, an deren Verschluss ein Papierfetzen Auskunft über die Texte gab, die darin verwahrt lagen. »Wir unterhalten zwei Schreiber in der Bibliothek der Menschen«, fuhr der Kentaur in näselndem Tonfall fort. »Sie fertigen von allem Bedeutsamen, was die Menschen dort oben niederschreiben, eine Kopie für uns. Kunst findet man unter diesen Werken nicht, und ihre vermeintlichen Erkenntnisse bringen den Leser in Wahrheit weniger zum Erstaunen als vielmehr zum Schmunzeln. Sie haben kaum eine Ahnung von den Geheimnissen ihrer Welt, was sie aber nicht davon abhält, sich diese einander wortreich zu erklären.«

»Ob die Alben wohl Ähnliches über uns sagen würden?«, warf Ollowain ein.

»Die Alben haben mitgeholfen, diese Bibliothek zu errichten, Elf. Sie haben uns den Weg gewiesen, auf dem wir seither schreiten. Ich glaube nicht, dass man hier irgendetwas mit den jämmerlichen Bemühungen der Menschen vergleichen kann.«

»Sie haben mitgeholfen?« Ganda war einigermaßen überrascht. »Wie kann man sich das vorstellen? Haben sie Regale aus den Felswänden gemeißelt?«

Chiron blieb so abrupt stehen, dass die Lutin ihn fast angerempelt hätte. »Es ist schlimm genug, dass ich deine Anwesenheit hier dulden muss, Diebin. Wenn du nun glaubst, du könntest die ehrwürdigen Alben verspotten, dann werde ich dafür Sorge tragen, dass du schneller aus dieser Bibliothek hinausgeworfen wirst, als du es dir vorstellen kannst.«