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Wie aber sieht es aus, das Wegesystem der Alben? An anderer Stelle schon wurde über das Bild des Netzes gesprochen. Stellt man sich alle Albenpfade die eine Welt umschließen, als großes Netz vor, so gibt es in diesem Netz viele Enden, die herabhängen. Es sind die Pfade, die Albenmark, die Menschenwelt und die Zerbrochene Welt miteinander verbinden. Doch fest verknüpft sind nur diejenigen Stränge, die zwischen den großen Albensternen liegen. Wechselt man an einem niederen Albenstern von einer Welt in die andere, so wagt man viel, denn unmöglich ist es zu sagen, wohin die Reise führen wird. Man stelle sich ein Netz vor, von dem lose Enden herabhängen, die sich in sanftem Wind bewegen. Niemand mag vorherzusagen, wo diese Enden ein tiefer liegendes Netz berühren werden. Und schlimmer noch, so unstet wie der Atem des Windes, so sind auch die Wege. Mal führen sie hierhin, mal dorthin. Niemand, wohl nicht einmal die Alben selbst, könnte sagen, wo eine reise von Welt zu Welt enden wird, die nicht von einem großen Albenstern zu einem anderen führt. Möglicherweise stürzt der unvorsichtige Wanderer sogar ins Nichts, wenn er den falschen Augenblick wählt. »

Zitiert nach:
Die Wege der Alben, von:
Meliander, Fürst von Arkadien

Das Falrach-Spiel

Ollowain betrachtete nachdenklich Galawayns Spieltisch. Der Hüter des Wissens hatte es tatsächlich geschafft, die Ausgangslage der Schlacht von Phylangan mit den Figuren darzustellen. Auf beiden Seiten waren die großen drei, die Königin, die Magierin und der Feldherr, die über Sieg oder Niederlage entschieden, noch im Spiel. Wer alle drei verlor oder nicht mehr einsetzen konnte, der war besiegt. Der Falrach-Tisch war rechteckig. Die quadratischen Spielfelder auf Galawayns Tisch waren aus eingelegtem Marmor und Onyx. Immer abwechselnd folgte Schwarz auf Weiß: zwanzig Steine je Querreihe, sechzehn Querreihen oder auch Schlachtfelder, wie man sie in diesem Spiel nannte, je Seite. Sechshundertvierzig Felder, auf denen zurzeit fast dreihundert Spielfiguren standen. Es gab einfache Krieger, Reiter oder Streitwagen, Helden, Katapulte und viele Sonderfiguren. Jede Figur hatte einen festen Zahlenwert, mit dem sie angriff und sich verteidigte. Zu diesem Wert wurde das Ergebnis eines Würfelwurfs hinzugezählt, wenn sie eine der Figuren auf den Feldern vor sich attackierte. War das Ergebnis höher als der Wert des Verteidigers, der ebenfalls würfelte und das Ergebnis zu seinem Verteidigungswert addierte, dann wurde der Verteidiger vom Feld genommen.

Galawayn hatte seine großen drei in der dritten Schlachtlinie stehen. Sie stellten König Branbart, die Schamanin Skanga und den Feldherrn Ogrim dar. Ollowain hingegen hatte nur seinen Feldherrn vorne im Spiel — jene Figur, die ihn verkörperte. Emerelle, die Königin, wartete in der letzten Linie, wie auch Lyndwyn, die Magierin. Beide hatten keinen aktiven Anteil am Kampf um die Festung.

Der größte Teil der Spielfiguren stand in dichten Reihen im mittleren Teil des Spieltischs. Ollowain hatte sehr viel weniger Figuren als sein Gegner, dafür hatten sie die besseren Spielwerte. Auf der linken Seite des Spieltischs gab es für jede der Querreihen eine Schublade. Insgesamt waren es zweiunddreißig. Jeder der Spieler legte in den sechzehn Schubladen, die zu seiner Spielhälfte gehörten, einen Spielstein ab, der für eine besondere Eigenschaft jedes Schlachtfelds stand. Diese Entscheidung musste vor Beginn der Partie getroffen werden und konnte dann nicht mehr geändert werden. Dadurch, dass die Spielsteine in kleinen Schubladen verborgen lagen, wusste der Gegenspieler nicht, welche Schlachten ihn erwarteten.

Ollowain zog den Spielstein Festung aus seiner Schublade und stellte ihn auf ein gesondertes Feld neben seinem ersten Schlachtfeld.

Der Hüter des Wissens nickte zufrieden. »Ja, so soll es sein.«

Er begann mit seinem Angriff, doch durch den hohen Bonus der Verteidiger geriet der erste Spielzug zur Katastrophe. Bei zwanzig Angriffen konnte er nur zwei gegnerische Spielsteine entfernen. Einer davon ging auf Kosten der Spielfigur, die sie für den geheimnisvollen Mörder entworfen hatten. Galawayn hatte Weiß als seine Spielfarbe gewählt, und die neue Figur war ein großer, weißer Hund. Es war ein mächtiger Spielstein, der als besondere Eigenschaft die Vergünstigungen, die sein Gegner durch das von ihm gewählte Schlachtfeld genoss, ignorieren durfte. Der Hund besiegte einen Spielstein, der einen Koboldarmbrustschützen darstellte.

Galawayn hatte als besonderes Ereignis vor seinem Spielzug das Ergebnis Albenpfad erwürfelt. Das erlaubte ihm, sechs Figuren seiner Seite vom Tisch zu nehmen und in seinem nächsten Spielzug hinter Ollowains Linien zu stellen.

Der Schwertmeister strich sich nachdenklich über das Kinn und betrachtete eindringlich den Spieltisch. Obwohl Würfelglück ein bedeutender Faktor des Spiels war, verlief bisher alles wie in der Belagerung, die keine drei Monde zurücklag.

Ollowain nahm drei Würfel, um sein besonderes Ereignis für den Eröffnungszug zu bestimmen. Zwölf! Seine Katapulte und Bogenschützen verschossen Brandgeschosse, die zusätzlichen Schaden unter seinem Gegner anrichteten. Dem Schwertmeister lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Auch dies spiegelte den Verlauf der Schlacht. Am Ende seines ersten Spielzugs hatte der Gegner dreizehn Spielsteine verloren. Die Schlachtreihe, die gegen seine Festung anrannte, war fast vernichtet.

Galawayn massierte sich mit beiden Händen die Schläfen. »Es war also Herzog Orgrim persönlich, der die Krieger anführte, die durch den Albenstein in deine Festung eingedrungen sind.«

Der Hüter des Wissens nahm die Figur seines Feldherrn vom Spieltisch und drehte sie nachdenklich zwischen den Fingern.

»Das ist sehr leichtfertig gewesen. Als Spieler würde ich so einen Zug nicht machen. Sicher, der Feldherr ist ein starker Spielstein. Wenn er jedoch verloren geht, ist das ein schwerer Rückschlag. Aber wir wollen ja die tatsächlichen Ereignisse nachstellen.« Er nahm drei Würfel und schaffte eine Zehn.

»Schlachtenglück!«, rief er triumphierend. »In dieser Runde darf ich also jeden Würfelwurf, der mir nicht passt, wiederholen.«

Ollowain trommelte nervös mit den Fingern auf den Spieltisch. Der Hüter des Wissens stellte den Feldherrn und fünf Kriegerfiguren auf das zweite Schlachtfeld hinter die Hauptverteidigungslinie. Es folgte ein Massaker. Dadurch, dass Angreifer in seinen Rücken gelangt waren, war der Verteidigungsbonus der Festung aufgehoben. Er verlor sechzehn Spielsteine.

In seinem Zug nahm Ollowain alle überlebenden Figuren vom ersten Schlachtfeld zurück. Er zog den Spielstein für das zweite Schlachtfeld aus der Schublade. Engpass! Der Gegner durfte ihn nur mit fünf Figuren angreifen, während er sich mit ebenso vielen Figuren verteidigen konnte. Solange er fünf Spielsteine auf diesem Schlachtfeld behielt, durfte der Gegner nicht tiefer in Ollowains Hälfte des Spieltischs ziehen.

Der Hüter des Wissens nahm seinen Notizblock und schrieb die Ereignisse des Spiels nieder. Und dann begann er zu fragen. Endlos war seine Gier nach Einzelheiten. Überdies interessierte er sich für Verpflegung und Moral der Verteidiger, erkundigte sich nach den Namen der Gefallenen und fragte immer wieder nach dem rätselhaften Mörder. Schließlich entlockte er Ollowain die Geschichte über den Geisterwolf von Firnstayn, eine Bestie, die wochenlang Angst und Schrecken in einem kleinen Dorf im nördlichen Fjordland verbreitet hatte, bis ein Priester sie tötete.

Als der Schwertmeister mit seiner Erzählung endete, legte Galawayn den Notizblock zur Seite. »Findest du nicht, dass die Morde des Geisterwolfs denen in Phylangan ähneln?«

Ollowain wandte den Blick nicht vom Spieltisch ab. Es war ein Irrtum gewesen zu glauben, dass ihm das Spiel seinen Bericht erleichtern würde. Im Gegenteil! Es war, als erlebe er alles nun zum zweiten Mal. Er war in Schweiß gebadet.

»Ollowain?«

Diese Stimme ...

»Ollowain! «

Unwillig blicke der Elf auf. Ganda hatte ihren Platz an dem Büchertisch jenseits des Gazevorhangs verlassen. Ihre zierlichen Finger strichen sanft über seine Rechte, mit der er die Tischkante umklammerte. Blut war unter seinen Fingernägeln hervorgetreten. Seine Hand war taub vor Schmerz.