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»Du solltest mit diesem Spiel aufhören!«

»Davon verstehst du nichts«, antwortete er schroff.

»In der Tat«, sagte Ganda. »Vielleicht kann ich gerade deshalb besser beurteilen als du, dass dir dieses Spiel schadet. Du siehst zum Erbarmen aus! Ich verstehe das nicht. Es ist doch nur ein Spiel ... Man könnte meinen, du wärst vergiftet. Blass und fiebrig bist du. Und du wirst jetzt mit mir gehen! Für heute waren wir lang genug im Saal des Lichts!«

Ollowain atmete aus. Er löste die Hände vom Tisch und betrachtete seine blutigen Nagelränder. Ganda würde ihn nicht verstehen. Dieses Spiel ... Es war unheimlich. Vielleicht waren der Tisch und die Spielsteine verzaubert? Oder die Würfel? Als Galawayn gestern seinen Vorschlag gemacht hatte, hatte Ollowain gedacht, sie würden ein paar Figuren über den Tisch ziehen und sich über die Schlacht unterhalten. Dass sie wirklich spielen würden, hätte er nicht erwartet. Das machte keinen Sinn! Das launische Würfelglück hätte sie längst auf einen Pfad führen müssen, der nichts mehr mit den tatsächlichen Ereignissen gemein hatte. Aber das geschah nicht! Zug um Zug spielten sie die blutige Schlacht nach. Anfangs hatte Ollowain das nicht wahr haben wollen und es als Zufall abgetan. Aber längst war diese Theorie nicht mehr zu halten. Immer unheimlicher wurde es, wie das Spiel parallel zur Realität verlief. Irgendwann hatte sich ein absurder Gedanke in ihm festgesetzt. Wenn das Spiel die Wirklichkeit widerspiegelte, würde sich diese dann ändern, wenn er es schaffte, ihm einen Verlauf zu geben, der von den tatsächlichen Ereignissen abwich? Würde er tot neben dem Spieltisch niedersinken, wenn sein Feldherr verlor? Und würde Lyndwyn noch leben, wenn er es verhinderte, dass ihr Spielstein geschlagen wurde? Seit ihrem Tod war sein Leben nur noch Asche. Was also hatte er zu verlieren? Im schlimmsten Fall eine Hoffnung, die so aberwitzig war, dass er Ganda bestimmt nichts davon erzählen würde. Aber falls er sich nicht irrte ...

»Ollowain! Lass uns gehen!« drängte Ganda. »lhr habt mehr als zehn Stunden gespielt. Es genügt! Und mir tanzen die Buchstaben vor den Augen.«

»Ja, ja.« Noch immer blickte der Schwertmeister auf den Spieltisch. Er hatte die Figur der Magierin fast bis zu den Reihen der Verteidiger gebracht. Wenn sie nahe genug war, würde er aus der vordersten Schlachtreihe fliehen. Er wusste ja, was mit Phylangan geschehen würde. Keine Streitmacht, und sei sie noch so groß, konnte die Bergfestung vor ihrem Schicksal bewahren. Aber vielleicht konnte er Lyndwyn retten. Und wenn das gelang ... Er schloss die Augen und schüttelte bedächtig den Kopf. Ein kindischer Traum! Ein wunderschöner Traum ... Um sie zu retten, würde er alles tun! Er würde sogar zum Verräter an jenen Kämpfern werden, die bereit waren, ihr Leben für ihn zu opfern.

Mit einem tiefen Seufzer erhob sich der Elf. Das war nicht wirklich er! Nie zuvor hatte er wissentlich ehrlos gehandelt. Er war der Schwertmeister der Königin. Ein Vorbild! Und dennoch ... Er sah zurück zu dem Tisch. Wenn er den Stein des Feldherrn aus dem Engpass zog, nahm er den Verteidigern dort die stärkste Spielfigur. Der edle Fremde, der kämpfende Graf, der um Verborgenes Wissende und der Recke dunklen Rufs waren machtvolle Streiter im Falrach-Spiel, aber es war der Feldherr, der sie in den letzten Spielzügen zum unüberwindbaren Bollwerk im Engpass hatte werden lassen. In der wirklichen Schlacht war er der letzte Krieger gewesen, der noch in Phylangan gekämpft hatte. Als die Schlacht verloren gewesen war und er seine Gefährten zur Flucht ermutigt hatte, war er noch einmal zurückgekehrt, um Lyndwyn zu retten.

Ein bitterer Geschmack lag ihm im Mund. Er räusperte sich.

»Ja, lass uns gehen.« Ganda sah ihn sorgenvoll an. Der Schwertmeister versuchte zu lächeln. »Ich weiß, es ist nur ein Spiel. Wie es scheint, bin ich ein schlechter Verlierer.«

»Aber es ist doch noch gar nichts entschieden«, sagte Galawayn aufmunternd, und seine blauen Augen lächelten.

Ahnte er etwas?, fragte der Schwertmeister sich plötzlich.

»Wir beide wissen doch, wie diese Schlacht ausgehen wird. Alles ist entschieden.«

»Ich glaube, du nimmst dieses Spiel zu ernst, Ollowain. Jetzt tut es mir Leid, diesen Vorschlag überhaupt gemacht zu haben. Fast scheint es, als würdest du an dieser Falrach-Schlacht leiden. Deine Gefährtin hat vollkommen Recht. Es ist besser, die Partie jetzt zu beenden. Ich räume den Tisch ab, sobald ihr gegangen seid.«

»Nein! Wir machen nur eine Pause ...« So ging das nicht! Er würde sich jetzt nicht einfach wegschicken lassen. Alles, was ihm von Lyndwyn geblieben war, waren seine Träume. Und den schönsten aller Träume würde er sich nicht einfach so nehmen lassen! Ollowain packte Galawayn bei seinem Gewand.

»Morgen spielen wir weiter! Hörst du? Dann bringen wir es zu Ende.« Dem Schwertmeister entging der Blick nicht, den die Lutin und der Hüter des Wissens tauschten. Sie waren wohl der Meinung, er sei nicht mehr ganz bei sich. Dabei wusste er genau, was er tat!

»Ganz wie du es wünschst.« Galawayn hob beschwichtigend die Hände. »Wir bringen das Spiel zu Ende.« Wieder tauschte er einen Blick mit der Lutin. »Und dir suche ich die Schriftrollen heraus, nach denen du mich gefragt hast. Aber sei noch einmal gewarnt. Du wagst dich auf einen gefährlichen Pfad. Die Yingiz werden dich in deinen Träumen besuchen kommen, wenn du zu viel über sie weißt.«

Die Lutin lächelte selbstsicher. »Ich hatte nicht einmal als Kind Angst vor Albträumen.«

»Ich rede nicht von Albträumen«, entgegnete Galawayn nachdrücklich. »Dein Wissen wird sie anlocken. Es wird sein, als öffnetest du eine Tür in dir selbst. Lass von diesem Unternehmen ab! Ich bitte dich darum.«

Dunkles Wissen

Ganda schreckte abrupt aus dem Studium ihrer Texte auf. Der Gesang der Schwerter war verklungen. Galawayn und Ollowain kamen scherzend zum Zelt hinüber. Das Gesicht des Schwertmeisters war schweißnass. Er hatte das lange blonde Haar mit einem Lederriemen zurückgebunden. Ihr Gastgeber war ganz außer Atem.

Galawayn hatte Ollowain darum gebeten, ihm eine Schwertkampflektion zu erteilen, und dieser war freudig darauf eingegangen. Ganda und der Hüter des Wissens waren insgeheim übereingekommen, dass man den Schwertmeister vom Falrach-

Tisch fern halten sollte.

»Willst du nicht doch lieber andere Texte studieren?«, fragte Galawayn keuchend. »Was du da liest, schlägt einem nur aufs Gemüt.«

Der Hüter des Wissens hatte Recht. Gleich in der ersten Schriftrolle, die Ganda gelesen hatte, beschrieb ein Albenkind, das weder seinen Namen noch sein Volk preisgeben mochte, wie die Yingiz versucht hatten, sein Lebenslicht zu trinken. Wie es zu einer Begegnung mit den Schattenwesen gekommen war, verschwieg der Verfasser. Ganda nahm aufgrund der Handschrift an, dass es sich um einen männlichen Autor handelte. Einen sicheren Beweis hatte sie nicht. Die Lutin vermutete, dass der Urheber des Schriftstücks auf magische Weise versucht hatte, eine Verbindung zu den Yingiz herzustellen. Es gab Andeutungen, dass die Ältesten unter den beseelten Bäumen wussten, wie man die Bannzauber der Alben umging und die Schattenwesen rief.

Ganda konnte sich nicht vorstellen, wie man freiwillig einen Pakt mit den Yingiz schloss. Sie dachte an die Nacht mit Mondblüte und das totgeborene Kind. Die Yingiz waren zu Schatten geronnener Hass. Sie gehörten nicht nach Albenmark! Und Ganda würde alles dafür geben, sie von dort wieder zu vertreiben.

Der anonyme Autor schrieb auch von den Devanthar. Dieses andere Dämonenvolk, das von den Alben bekriegt worden war, vermochte die Körper seiner Opfer zu stehlen und deren Gestalt anzunehmen. Und wenn die Devanthar töteten, konnten sie sogar die Erinnerungen des Ermordeten rauben. Die Yingiz hingegen waren anders. Offenbar brauchten sie Hilfe, um das Nichts zu verlassen, und man musste ihnen einen Körper verschaffen, mit dem sie verschmelzen konnten. Die Geschöpfe, die so erstanden, waren geisterhafte Zerrbilder wirklichen Lebens. Und sie waren stets auf der Jagd. Doch nicht Fleisch oder Blut waren ihre Nahrung. Sie labten sich am Lebensfunken ihrer Opfer. An dem Unsterblichen, das die Alben jedem ihrer Kinder eingehaucht hatten, selbst jenen, die nicht wiedergeboren werden konnten. Um einen eigenen stofflichen Leib ausformen zu können, mussten die Yingiz zunächst genug von dieser Essenz des Lebens in sich aufnehmen ...