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»Was haltet ihr davon, wenn wir alle gemeinsam ein gutes Mahl einnehmen?« Galawayn ließ sich neben Ganda an dem niedrigen Studiertisch nieder. Ollowain aber stand bereits wieder neben dem Falrach-Tisch. Die Arme vor der Brust gekreuzt, rieb er sich mit einer Hand das Kinn und betrachtete ganz in sich versunken das Spielfeld.

»Es geht wieder los mit ihm«, flüsterte der Hüter des Wissens.

»Obwohl er sich darauf eingelassen hat, mir eine Fechtlektion zu erteilen, hatte ich von Anfang an den Eindruck, dass er es gar nicht abwarten konnte, zum Ende zu kommen.« Galawayn zeigte ihr seine rechte Hand. Ein breiter, blauroter Striemen lief quer über den Handrücken. »Das war kein Unfall! Dafür ist Ollowain viel zu gut. Ich halte mich selbst nicht für einen völligen Dilettanten im Schwertkampf. Mein Volk ist berühmt für seine Meisterschaft im Klingentanz. In den letzten Jahrhunderten bin ich zwar ein wenig eingerostet, aber in meiner Jugend war ich ein sehr guter Fechter. Im Vergleich zu Ollowain bin ich jedoch ein Nichts. Ich hatte das Gefühl, dass er um jeden meiner Streiche wusste, noch bevor ich überhaupt zum Hieb ansetzen konnte. Anfangs blockte er mich nur ab, aber dann zog es ihn zurück zum Falrach-Tisch. Und er hat mich mit der breiten Seite seines Schwertes regelrecht verprügelt, damit ich unsere Übungsstunde vor der Zeit beende.«

Ganda hatte kein Mitleid mit ihm. Wenn alterslose Elfen von ihrer lang vergangenen Jugend sprachen, fand sie das geradezu obszön. All die Jahrhunderte, die Galawayn lebte, hatten nicht die kleinste Falte in sein Antlitz gekerbt. Trauer um die verlorene Jugend erschien ihr da als hohles Geschwätz.

»Gibt es eine Möglichkeit, das Spiel vor der Zeit zu beenden, so wie die Schwertkampfübung? Ich habe das Gefühl, wir werden Ollowain nicht vom Tisch wegbekommen, bevor die Partie entschieden ist. Mit der Aussicht auf ein paar Happen zu essen wirst du ihn jedenfalls kaum fortlocken können.«

Der Elf nickte tief in Gedanken. »Das Spiel vor der Zeit beenden, das wird sehr schwer. Es sei denn ...« Er sah die Lutin nachdenklich an. »Du bist keine Spielerin, nicht wahr?«

»Jedenfalls keine Falrach-Spielerin. Ich bin keine Elfe, ich habe nicht die Muße, meine Tage damit zu vergeuden. Meine Lebensspanne ist dafür zu knapp bemessen.«

Galawayn lächelte. »Werde ich eines Tages erfahren, mit welcher Art von Spielen du dich beschäftigst?«

»Wenn du es schaffst, mich eines Tages in die Stimmung dazu zu versetzen«, entgegnete sie vieldeutig.

Ihr Gegenüber lachte auf. »Du bist ein Weib nach meinem Geschmack, Ganda. Auch wenn es unhöflich ist, hoffe ich, dass du noch viele Tage brauchen wirst, um das zu finden, was du suchst. Einen Gast wie dich konnte ich bislang noch nicht willkommen heißen. Schlagfertig, mutig und stets zu einem kleinen Wortgeplänkel aufgelegt. Es ist eine Freude, dich um mich zu haben.«

Das war zu höflich, um aufrichtig zu sein, dachte Ganda und lächelte. Er war ein Elf und sie nur eine Lutin. So herzlich verkehrten ihre Völker nicht miteinander. Ganz gleich, wie überzeugend er wirkte, das konnte nicht seine ehrliche Meinung sein! Er wollte etwas von ihr, auch wenn sie noch nicht durchschaute, was es wohl sein mochte.

Galawayn erhob sich. »Ich denke, ich werde deinen Rat beherzigen und versuchen, das Spiel zu einem schnellen Ende zu bringen.« Das Lächeln war aus seinem Antlitz verschwunden.

»So wie Ollowain mich mit einem Hieb auf die Schwerthand kampfunfähig gemacht hat, so werde ich nun auf seine empfindlichste Stelle zielen.«

»Wie meinst du das?« Etwas an Galawayns Art beunruhigte sie. Sann er tatsächlich auf Rache? Wollte er gar den Schwertmeister der Königin dafür büßen lassen, dass Emerelle sein Volk vertrieben hatte?

Der Elf blieb ihr eine Antwort schuldig. Er schlug den dünnen Gazevorhang zurück und ging hinüber zum Spieltisch. Kurz besprach er mit Ollowain ein paar Regelfragen, und dann nahmen die beiden wieder ihre Plätze an den Schmalseiten des Spieltischs ein.

Ganda sah ihnen eine Weile zu. Wieder wirkte der Schwertmeister aufs Äußerste angespannt. Und ganz offensichtlich hatte Galawayn andere Vorstellungen von einem schnellen Spielende als sie. Seufzend wandte die Lutin sich wieder ihren Schriftrollen zu.

Der nächste Text, den Ganda studierte, war ein einziges Ärgernis. Ein anonymer Autor versteckte sein Unwissen hinter gestelzten Sätzen und leeren Phrasen. In einem Absatz hatte er sogar poetische Anflüge und schrieb von einem Schlüssel des aufrichtigen Herzens, der allein das Verborgene zu erschließen vermochte, jenes Wissen, das davor behütet sein musste, in die falschen Hände zu geraten und das der rotgraue Bastard gefangen hielt. So ging es weiter. Eine kryptische Botschaft folgte der nächsten. Ohne Sinn und Verstand!

Ungeduldig schob die Lutin die Schriftrolle zur Seite. Sie sah sich die Lederhülle an, aus der sie den Text gezogen hatte, doch auf dem Papierstreifen, der am Verschluss haftete, war auch kein Verfasser genannt. In Zukunft wollte sie sich Texte dieses Autors ersparen. Nun, wenn sein Name nicht aufzuspüren war, würden ihn eben seine krakelige Handschrift und sein krauser Stil verraten. Ganda schob die Schriftrolle zurück in die Lederhülle und sah sich nach der Urne um, in der dieser Unsinn begraben gewesen war. Doch abgesehen von dem Glas mit der schrecklichen Schlange konnte sie kein Gefäß entdecken. Die Urne mit den Texten, die sie gestern gelesen hatte, war verschwunden. Vermutlich lag sie schon wieder im Wüstensand verscharrt.

Ihr Blick verweilte auf dem niedrigen Ständer für Schriftrollen. Er war aus schwarzem Holz gefertigt. Und er war leer. Wie viele Schriftrollen hatten dort noch gleich gelegen, als sie vorgestern zum ersten Mal in das Zelt getreten waren? Acht? Sie wusste es nicht mehr. Vor ihr auf dem Tisch lagen sieben Schriftrollen. Waren es gar die Texte, die Galawayn hier im Zelt verwahrt hatte? Gab es deshalb keine Urne? Das würde bedeuten, dass auch er sich für die Yingiz interessierte! Welch ein seltsamer Zufall.

Missmutig blickte sie zum falschen Himmel empor. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie niemals auf den Gedanken kommen, dass sich hinter dem grenzenlosen Blau eine steinerne Gewölbedecke verbarg. Galawayn musste wahrlich mächtig sein, dass er solche Zauber wirken konnte. Auch was er mit dem Sand getan hatte, war ungewöhnlich. Gestern war ihr aufgefallen, dass die Spuren im Sand langsam verschwanden, ohne dass der leiseste Windhauch zu spüren war. Galawayn hatte ihr erklärt, dass sich die obersten Sandschichten sacht bewegten. So wurden die Spuren, die man hinterließ, in kurzer Zeit ausgelöscht. Er behauptete, diesen Zauber ersonnen zu haben, weil ihn das Spurengewirr im Sand störte. Verrückt, dieser Elf. Völlig verrückt! So wurde man wohl, wenn man Jahrhunderte nur mit Büchern verbrachte.

Ob er es wohl doch aufrichtig gemeint hatte mit seinem Kompliment? Sie sah zu den beiden Elfen hinüber, die stumm über dem Falrach-Tisch brüteten. Nur das gelegentliche Klackern eines Würfels störte die spannungsgeladene Stille. Das Duell der beiden ging weiter, auch wenn ihre Schwerter wieder in den Scheiden ruhten.

Galawayn war ein hübscher Mann. Natürlich viel zu groß. Aber hübsch ... Selbst unter den Elfen, denen nie ein hässliches Kind geboren wurde, stach seine Schönheit hervor. Und zugleich wirkte er unnahbar. Für einen Augenblick erlaubte es sich Ganda, in romantischen Gedanken zu schwärmen, doch dann rief sie sich wieder zur Ordnung. Es ist eine Freude, dich um mich zu haben. Das waren nichts als leicht dahingesagte Worte! Sie bedeuteten nichts!