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Der riesige Adamsapfel ihres Gegenübers ruckte auf und ab.

»Ach ja, der Elf. Vielleicht so ein Kerl mit langen, blonden Haaren, der etwas ... der etwas irre wirkt und mit sich selbst spricht.« »Das könnte passen.«

»Bist du sicher, dass du weißt, wo die Buchbinderei beim Traumsaal ist? Sonst fragst du nach Qualbam dem Dritten. Man kennt mich ganz gut, weil ...«

Ganda hob ärgerlich eine Braue und wurde sich im selben Augenblick bewusst, dass sie anfing, Ollowains Unarten zu übernehmen. »Ich bin mir sicher, dass Ehrenmänner nicht feilschen, wenn sie an der Gunst einer Dame interessiert sind.«

»Ist schon gut! Schon gut.« Der Kobold hob beschwichtigend die Hände. »Also, selber gesehen habe ich den Kerl nicht. Aber drüben im Jade-Saal, da hat Orinox von so einem ...« Er räusperte sich und wartete einen Augenblick, ob sie durch irgendeine Geste verriet, wie sie zu den Elfen stand.

»Und weiter«, drängte Ganda.

»Ja also, Orinox hat gesagt ... Es sind seine Worte, die ich jetzt wiederhole: Da kam so ein irrer Elf vorbei, hat mit sich selbst gesprochen und ist geradewegs in den Brauturm gelaufen. Das ist ein Bücherschacht wie dieser Raum hier. Oder besser gesagt, das war er einmal, denn die Regale sind zusammengebrochen und haben Kleos unter sich begraben. Du hast ihn vielleicht schon gesehen. Das ist der Minotaur, der immer ...«

Ganda unterbrach ihn mit einer knappen Geste. »Ist der Ort noch gefährlich?«

»Gefährlich? Du machst wohl Witze. Gefährlich ist gar kein Ausdruck! Ein Läusefurz reicht aus, um dort eine Lawine auszulösen. Da liegen tausende Bücher und hunderte zerbrochene Regalbretter durcheinander. Niemand, der seine Sinne beieinander hat, geht da hinein. Als sie Kleos dort herausgeholt haben, hat es noch drei weitere Bücherschläge gegeben, deshalb hat es so lange gedauert, ihn zu retten.«

»Und ihr habt den Elfen einfach so dort hineinlaufen lassen? Er ist ein Fremder hier. Er hat keine Ahnung!«

Qualbam zog mit dem Zeigefinger eins seiner Augenlider herab. »He, Schwester. Welcher Kobold stellt sich einem Elfen in den Weg? Besonders dann, wenn der mit einem gezückten Schwert herumrennt.«

»Wie lange ist das her?«

»Weiß nicht ...«, antwortete er gedehnt und bohrte nachdenklich in der Nase.

»Ich glaube, ich vergesse gerade, wo der Traumsaal ist.«

Qualbam zog den Finger aus der Nase und begutachtete seine Beute. »Du kommst sowieso nicht.«

»Du meinst also, ich sollte lieber diesen Orinox fragen gehen.«

Der Kobold wischte sich den Finger an der Hose ab. »Das ist schon eine ganze Weile her.« Er blickte zu der Tür, in der sich die Ausläufer der Bücherlawine stapelten. »Allerdings habe ich es dort drinnen ein paarmal ganz ordentlich rumpeln hören. Du solltest da lieber nicht ...« Das war alles, was Ganda wissen wollte. Entschlossen ging sie zur Tür. Sie würde Ollowain da herausholen, und wenn sie das geschafft hatte, dann würde dieser eingebildete Elf zu hören bekommen, was sie von seinem überheblichen Volk hielt! Sie würde ihm derart den Kopf waschen, dass er nicht mehr wusste, an welchem Ende er sein verdammtes Schwert anpackte ...

»Lass das, Weib! Mach dich nicht unglücklich!« Qualbam packte sie bei der Schulter und zog sie zurück. »Geh nicht durch diese Tür. Wenn du dich umbringen willst, dann schneid dir doch lieber gleich die Kehle durch.«

»Nimm deine Finger weg«, fauchte Ganda. »Du wirst mich von gar nichts abhalten.«

Qualbam hielt ihrem wütenden Blick stand. »Wenn du diesen Elfen schon suchen musst, dann nimm wenigstens denselben Weg wie er. Ich werde nicht versuchen zu begreifen, was in so einem Fuchskopf vor sich geht. Und ich werde dich auch nicht weiter aufhalten. Also komm schon.« Er wandte sich ab und verließ den hohen Bücherschacht.

Ganda war so beeindruckt, dass keine schnippische Bemerkung mehr den Weg über ihre Lippen fand. Qualbam überraschte sie. Ihm schien tatsächlich an ihr gelegen zu sein. Sie folgte ihm.

Der Beleuchter brachte sie durch einen von Bücherborden gesäumten Gang, der sich in weitem Bogen krümmte. Alle Bücher hier waren in dunkelgrünes Leder gebunden, und die Titel prunkten in prächtigen Goldbuchstaben auf den Rücken. Ein leichter Geruch von Gerbsäuren hing in der Luft.

»Neue Texte«, murmelte Qualbam, ohne sich auch nur nach ihr umzublicken.

Sie erreichten einen Saal mit bedrückend niedriger Decke. Feuerschalen atmeten feinen blauen Rauch. Der erfrischende Duft von Fichtennadeln schwebte mit den beiden, als sich der Rauch in sanften Wogen vor ihnen zurückzog.

Entlang der Regale waren jetzt Stapel von Büchern aufgeschichtet. Wie Mauerwerk kletterten sie die Wände empor. Hier und dort lehnten auch schwere Holzbalken. Sägemehl dämpfte Gandas Schritte.

Schließlich erreichten sie eine Tür, hinter der undurchdringliche Finsternis kauerte. »Dort musst du hinein«, flüsterte Qualbam.

»Das ist der ....«

»Leise!« Der Kobold hob in beschwörender Geste die Hände.

»Leise, bitte.« Misstrauisch musterte er die nächstgelegenen Buchregale. »Es heißt, dass sich hier einige besessene Bücher eingeschlichen haben. Sie kommen gern an Orte, an denen ein Unglück geschehen ist.«

»Besessene Bücher?« Solch einen Unsinn hatte Ganda noch nie gehört. Wahrscheinlich wollte Qualbam sich nur wichtig machen. Obwohl ... Sie schnupperte. In ihrer wahren Gestalt nahm sie Gerüche viel deutlicher wahr. Ihre feine schwarze Fuchsnase eröffnete ihr eine verborgene Welt, und ihr Geruchssinn verriet ihr ebenso viel über ihre Umgebung wie ihre Augen. Sie wusste, dass sie hier auf dem richtigen Weg war, denn Ollowain hatte eine feine Duftspur zurückgelassen. Sein Körpergeruch war zwar etwas ausgeprägter als bei anderen Elfen, aber immer noch zu schwach, um die Witterung aufnehmen zu können. Was ihn verriet, war der Geruch nach dem Waffenfett, mit dem er sein Schwert pflegte.

Ganda roch auch den Knochenleim, den die Buchbinder verwendet hatten, das Pergament und den Duft von Galläpfeln, die man zur Gewinnung von Tinte verwendete. Frisch bearbeitetes Holz, Staub und Bierhefe waren andere Duftmarken, die sie wahrnahm. Und der säuerliche Geruch der Angst. Nicht nur Qualbam roch danach. Dieser Duft war in die Lederdeckel der Bücher eingezogen. Hier in diesem niedrigen Saal hatten sich schon viele gefürchtet.

Die Lutin blickte zur Decke empor. Hinter einem dünnen Rauchschleier war sie mehr zu ahnen, als wirklich zu sehen. Kleos hätte hier tief gebeugt gehen müssen, so niedrig war der Büchersaal.

»Es gibt ziemlich gemeine Bücher«, flüsterte Qualbam. »Bücher, in die man Magie band, die sich dann irgendwann selbstständig machte. Viele davon haben wir Kobolde zu verantworten. Und ich rede jetzt nicht von so harmlosen Dingen wie dicken Chronikbänden, die sich einen Spaß daraus machen, dir auf den Kopf zu fallen, wenn du an ihrem Regal vorbeigehst. Oder Lexika, die in ihren Artikeln ein geschicktes Netz von Lügen verbreiten, das sich beständig dem Wissensstand ihrer Leser anpasst, bis diese nicht mehr zu erkennen vermögen, was Wahrheit und was Trug ist. Aber das ist Kinderkram ... Ich rede von Büchern, die mit ihren Bronzebeschlägen nach deinen Fingern schnappen, wenn du sie in die Hand nehmen willst, Bücher, die dich trinken und zu einer bunten Figur in einer Illustration machen, oder, schlimmer noch, Bücher, die eine Pforte ins Nichts sind, durch die du in den bodenlosen Abgrund stürzt, wo dunkle Seelenfresser auf dich warten.« Wieder sah er sich ängstlich um. »Und dann gibt es da noch die besessenen Bücher, die den Geist eines verwirrten Autors in sich tragen. Ihre Verfasser haben sie meist mit ihrem eigenen Blut geschrieben. Sie enthalten Geschichten, die keinen Anfang und kein Ende haben. Und wenn du in ihnen blätterst, dann stehlen sie dir deine Erinnerungen, in der Hoffnung, dass du zu der Romanfigur wirst, die der planlosen Erzählung einen Sinn verleiht. Manchmal tauschen sie sogar deine Erinnerung aus. Das ist besonders heimtückisch. Du erinnerst dich dann in tausend Einzelheiten an ein Leben, das du niemals geführt hast. Grobhäm Plog, ein Lutin, der lange Zeit in Talsin lebte, ist berüchtigt dafür, mehr als zwei Dutzend dieser besessenen Bücher erschaffen und an Leute verteilt zu haben, die er nicht leiden konnte. Die meisten dieser verfluchten Bücher sind jetzt hier und gut weggeschlossen, aber einige haben die Eigenschaft, dass sie einfach nicht an dem Platz bleiben wollen, an dem man sie ablegt. Nicht einmal schwere Eisenketten oder Bleitruhen halten sie gefangen.«