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Ganda kannte Grobhäm aus hunderten Erzählungen und tausenden Flüchen. Er trug mit Schuld daran, dass die Lutin einen so schlechten Ruf hatten. Mochte er auch für alles Ungemach, das er erlitten hatte, Genugtuung erstritten haben, so hatte er zugleich seinem Volk eine ungleich größere Last aufgeladen. Sprachen die anderen Völker über Lutin, dann dachten sie an Grobhäm und ähnliche Griesgrame. Waren Lutin in der Nähe, dann schrieb man ihnen jedes Missgeschick zu, das geschah, von Fehlgeburten beim Vieh über Unfälle in Haus und Hof bis zu hin zu schlechtem Wetter.

Qualbam beäugte misstrauisch ein kleines, schwarzes Büchlein, das zuoberst auf einem Stapel lag. »Nimm hier nie ein Buch in die Hand, von dem du nicht sicher weißt, was darin stehen wird. Suche im Zweifel einen der Hüter des Wissens und frag ihn, ob du ein Buch gefahrlos lesen kannst. Sie erkennen die besessenen Bücher. Meistens ... Sie verändern ihre Gestalt. Die Bücher natürlich, nicht die Hüter des Wissens. Und sie wirken ganz harmlos.«

Ganda musste unwillkürlich an das Buch denken, das Galawayn in seinem Zelt verwahrte. Mochte das so ein verfluchtes Buch sein? War es eine Falle für sie? Hoffte der Elf darauf, dass sie es sich ansah? Ergab das einen Sinn? Galawayn hatte ihr nichts getan ... Und auch für Ollowain hatte er nur das Beste gewollt. Die Lutin starrte in die Dunkelheit jenseits der Türöffnung. Und hierher hatten seine Bemühungen sie nun geführt. War das ein unglücklicher Zufall? Oder war es von Anfang an Galawayns Absicht gewesen, Ollowain zu quälen? Wollte er sich dafür rächen, dass Emerelle sein Volk einst aus Albenmark vertrieben hatte? Und wessen Haut hatte der Hüter des Wissens auf seine Handschuhe gezogen? Jemandem, der so etwas tat, sollte man mit Vorsicht begegnen.

Qualbam kletterte behände an einem Regal empor und kam mit einer schönen, mit Nixen bemalten Öllampe zurück. »Die wirst du brauchen, Ganda«, flüsterte er. Dann malte er mit flinken Fingern ein Schutzzeichen gegen das Böse in die Luft. »Ich wünsche dir Glück, Lutin.« Plötzlich grinste er keck. »Und du weißt ja, du findest mich in der Kammer hinter der Buchbinderei beim Traumsaal. Ich warte dort auf dich.«

Ganda schenkte ihm ein mildes Lächeln und nahm die Lampe entgegen. Vielleicht würde sie ihn wirklich besuchen. »Mach dir keine Sorgen um mich. Du weißt ja, die Alben lieben die Tollkühnen und die Verrückten.«

»Ja, so sehr, dass sie sie besonders schnell zu sich holen.« Das Lächeln der Lutin veränderte sich. Nun war es verlegen. Sie war nicht gewohnt, dass man sich um sie Sorgen machte.

»Ich geh jetzt«, sagte Qualbam, dem die Situation offensichtlich unangenehm wurde. Mit flinken Schritten eilte er davon.

Ganda sah ihm nach, bis er in den blauen Rauchschleiern verschwunden war, die aus vereinzelten Feuerschalen aufstiegen. Sie räusperte sich. Das ist nur der verdammte Rauch, redete sie sich ein. Dann hob sie die Lampe und ging auf die finstere Türöffnung zu.

Ein dicker Balken stützte am Eingang einen riesigen Atlas über die Weinanbaugebiete Albenmarks. Ganda blickte in einen Tunnel aus Büchern. Hier und dort waren weitere Stützbalken errichtet, und manche Seitenwände waren mit Brettern verschalt. Der Boden war bedeckt mit Staub, zertretenen Würmern und zerrissenen Buchseiten. Eine Vielzahl erstickender Gerüche schlug Ganda entgegen. Da waren ein schwacher Duft von schalem Bier und der Essiggeruch von falsch gelagertem Wein. Das Harz aus frisch geschnittenem Holz, gepaart mit dem Odem alten Pergaments. Ein schwefliger Geruch, der wohl von den gegerbten Häuten der Bucheinbände herrührte und, kaum wahrnehmbar, der Duft von parfümiertem Waffenfett.

Vorsichtig tastete Ganda sich vorwärts. Sie hörte, wie es in der unsicheren Decke über ihr arbeitete. Knirschend rieben sich Bücher aneinander. Feiner Staub rieselte herab. Manchmal hatte der Bücherschlag tiefe Nischen geschaffen, wenn sich große Atlanten und Bildbände gegeneinander verkantet hatten. Auch gab es kleine Abzweige, so flach, dass man auf dem Bauch liegend hineinrobben müsste. Wahrscheinlich waren es Suchtunnel, die Kleos‘ Retter durch die Bücherwände getrieben hatten. Ganda war sich sicher, dass Ollowain nicht in einen dieser Seitengänge gekrochen war. Einen kriechenden Elfen konnte sie sich einfach nicht vorstellen.

Immer intensiver wurde der Geruch alter Bücher. Die kleine Flamme der Öllampe zitterte bei jeder ihrer Bewegungen. Die Lutin fühlte sich wie in einer Gruft. Einer Wissensgruft. So viel Mühe hatte es gekostet, all die Geheimnisse um Wein und Bier niederzuschreiben. Wer würde das jemals lesen? Und welcher der Autoren hatte sich wohl vorstellen können, dass sein Buch eines Tages Teil einer tödlichen Falle wäre?

Die Decke über Ganda erzitterte. Weit über sich hörte sie ein dumpfes Rumpeln in dem Büchergebirge. Der Stützbalken direkt vor ihr bog sich knirschend. Ein Schwall loser Blätter segelte wie Fledermäuse mit weit ausgebreiteten Schwingen durch den Büchertunnel. Mit klopfendem Herzen presste sich Ganda gegen die Bücherwand und wartete ab, bis das Rumoren über ihr verebbte. Sie hasste es, in engen, lichtlosen Räumen zu sein. Sie hasste diese Bibliothek, und sie begann, Ollowain zu hassen. Wie konnte man nur so hirnverbrannt sein, sich ausgerechnet an diesem Ort zu verkriechen! Wer hierher kam, der musste sich entschlossen haben, dem Tod ins Antlitz zu spucken. Sollte er mit diesem Unfug doch warten, bis sie zurück in Albenmark waren. Da gab es mehr als genug Gelegenheiten, sein Leben wegzuwerfen. Und sie würde nichts mit der Sache zu tun haben.

Die jüngsten Ereignisse hatten all ihre Vorurteile über Elfen bestätigt. Die besten von ihnen waren schlicht ignorant. Sie weilten mit ihren Gedanken in höheren Sphären, zu denen ein vernünftig denkender Kobold höchstens im Vollrausch vordringen konnte. Und die übleren von ihnen, solche wie Galawayn, waren durchdrungen von Bösartigkeit, die sich hinter ihrer glänzenden Fassade versteckte. Dieser Mistkerl hatte geahnt, was mit Ollowain geschehen würde, darauf würde sie ihren Fuchsschweif verwetten. Er hatte es genossen, den Schwertmeister zu quälen. Das Einzige, was Ganda wunderte, war, wie schnell Ollowain zerbrochen war. Und nun, da Galawayn mit ihm fertig war, kam sie an die Reihe. Ein Schaudern überlief sie. Oder hatte er schon mit ihr angefangen? Durchschaute er sie? Wusste er, dass sie Ollowain hierher folgen würde? Und gab es das geheimnisvolle Buch und die makaberen Handschuhe nur, weil der Elf auch mit ihr schon längst sein hinterhältiges Spiel trieb? Doch was wollte er? Wollte er sie beide nur vertreiben, um in seinem Saal des Lichts in Ruhe gelassen zu werden? Oder genügte ihm das nicht?

Ganda atmete ein paarmal tief durch. Sie musste sich beruhigen! Sie wusste, dass sie den Hang hatte, in Panik zu geraten, wenn sie sich in so engen Räumen wie diesem Tunnel aufhielt. Die Hand, in der sie die Öllampe hielt, zitterte. Sie zwang sich weiterzugehen.

Der Tunnel wand sich wie eine Schlange mit Magenkrämpfen. Ständig wechselte er die Richtung. Mal ging es auf, mal ab. Endlich erreichte sie sein Ende. Der enge Gang hörte einfach auf. In einem Nest aus zerknüllten Pergamentseiten war eine eingetrocknete, dunkle Lache. Blut. Hier mussten sie Kleos gefunden haben.

Ganda fluchte. Ollowain musste in eine der Spalten gekrochen sein, die vom Hauptgang abzweigten. »Verdammter Irrer. Du kannst mir mal den Schweif bürsten. Mistkerl!« Über ihr erklang ein dumpfes Grollen, als wolle der Bücherberg in ihre Flüche einstimmen.