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Die Lutin hatte das Gefühl, als lege sich eine riesige Faust auf ihre Brust. Keuchend rang sie nach Luft. Sie musste gegen ihre Angst ankämpfen, dachte sie, doch ihre Beine waren anderer Meinung. Sie begannen zu laufen.

In blinder Hast stolperte sie durch den Tunnel. Sie stieß sich den Kopf an Büchern, die aus den papiernen Tunnelwänden hervorragten, strauchelte immer wieder und schlug schließlich der Länge nach hin. Die Öllampe entglitt ihren Händen. Blassgoldenes Öl schwappte aus der bauchigen Lampe. Die Flamme am Docht leckte gierig nach dem Öl.

Wie eine Maus, gebannt durch den Blick der Schlange, sah Ganda zu, wie das Unheil seinen Lauf nahm. Die Öllache fing Feuer. Knochenfarbenes Pergament zog sich knisternd zusammen, wurde gelb, dann braun und schließlich schwarz. Gierig leckte die Flamme nach weiteren Blättern. Ein feiner Schwefelduft stieg Ganda in die Nase. So roch es auch im Saal des Lichts. Galawayn hatte ihr erklärt, dass man manchen Tinten Schwefel beimischte.

Dunkel erinnerte sich die Lutin, dass sie dem Elfen bei einem ihrer Gespräche anvertraut hatte, dass sie Angst in der Enge habe und wie glücklich sie sei, im Saal des Lichts arbeiten zu können und nicht in einem der fensterlosen und beklemmenden Bibliothekssäle. Galawayn hatte geplant, dass sie hierher kam! Es war kein Zufall, dass Ollowain hierher geflüchtet war. Sicher hatte er dem Elfen irgendeine Unwahrheit über diesen verfluchten Bücherturm zugeflüstert.

Die Flamme vor ihr gewann an Kraft. Knisternd verschlang sie weitere Blätter.

Wütend ballte Ganda die Fäuste. So würde sie nicht sterben. Auf einem Scheiterhaufen aus Büchern über Bier und Wein verbrennen! Sie nahm das Öllämpchen auf und stellte es in eine Nische, wobei sie peinlich darauf achtete, dass die Flamme keinem der umgebenden Bücher zu nahe kam. Dann zerrte sie an einem Atlas, der weit aus der Bücherwand ragte und warf das mächtige, ledergebundene Buch auf die Flammen. Das Feuer verlosch unter dem erstickenden Gewicht von Des Albenhaupts Antlitz, Topographie eines mystischen Berges.

Ganda wartete und zählte stumm bis hundert. Dann hob sie den Atlanten wieder hoch. Außer einem Kranz tief orangefarbener Glut war nichts geblieben. Zögerlich trat sie nach dem sterbenden Feuer. Wenn ein einzelner Funke blieb, mochte das schon genügen, ein neues Feuer zu entfachen.

Beißender Rauch füllte den engen Tunnel. Und wieder packte sie die Angst. Sie stellte sich vor, wie ein gewaltiges Feuer die ganze Bibliothek verschlang, und das alles nur, weil sie einen Funken übersehen hatte. Wütend trampelte sie in der Asche der Pergamentseiten. Vielleicht sollte sie ihren Rock heben und in den großen Brandfleck pinkeln? Sie ahnte, dass sie selbst dann nicht sicher wäre, auch den letzten Funken wirklich erstickt zu haben.

Ganda schloss die Augen und kämpfte gegen ihre Ängste an. Als sie halbwegs gleichmäßig atmete, öffnete sie ihr Bewusstsein und suchte nach der Aura des Feuers. Es war etwas Lebendiges. Verzweifelt kämpfte es darum, fortbestehen zu können. Sie spürte einzelne Glutflecken verlöschen, aber sie fühlte auch, wie sich an anderen Stellen das Glimmen tiefer fraß.

Ganda flüsterte leise die Worte der Macht. Behutsam ließ sie die Silben über ihre Zunge streicheln. Vor langer Zeit hatte ihr Lehrer, Meister Gromjan, sie eindringlich davor gewarnt, ihre Gefühle in die Zauber einzubinden. Die Magie wurde zwar um vieles stärker, doch sie wurde so wild und unbeherrschbar, wie starke Gefühle es waren. Meistens hielt sich Ganda an diesen Rat. Doch jetzt war ihre Angst zu stark ... die Angst vor der bedrückenden Enge des Büchertunnels und vor dem, was geschehen mochte, wenn sie das Feuer nicht vollständig erstickte.

Es wurde schlagartig kälter. Die Luft knisterte. Wie alles, das lebte, brauchte auch Feuer Luft zum Atmen. Ganda dachte an die Faust, die auf ihre Brust drückte, das Gefühl, das sie am Ende des Tunnels fast übermannt hatte. Sie gab die Angst weiter, ließ sie aus sich herausfließen in den Zauber. Dann hielt sie den Atem an.

Ganda spürte, wie die letzten Funken verzweifelt um ihr Sein rangen. Die Ledereinbände der Bücher rings herum knirschten.

Die Lutin fühlte sich benommen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie einen letzten Funken. Er umkreiste sie. In immer schnelleren Wirbeln drehte er sich um sie. Dann verschlang ihn die Finsternis. Ganda verharrte. Sie suchte. Doch da war nichts mehr. Sie hatte das Feuer besiegt. Und auch ihre Angst war gewichen.

Sie atmete tief ein. Die Luft war eisig. Und ein leichter Duft von Waffenfett mischte sich unter die Ausdünstungen der uralten Bücher.

Ganda öffnete die Augen. Sie betrachtete den großen Brandfleck vor ihren Füßen. Peinlich! Rasch sammelte sie einige lose Blätter und breitete sie über das schwarze Schandmal. Die Angst war von ihr abgefallen. Und der Bücherberg über ihr ruhte.

Die Lutin ließ sich von dem Duft nach Waffenfett leiten. Sie würde nicht noch einmal dulden, dass Panik ihre Sinne blendete. Und sie fand einen schmalen Spalt zwischen schiefen Bücherstapeln. Es war ihr ein Rätsel, wie sich der Elf dort hindurchgezwängt hatte. Sorgsam darauf bedacht, keines der Bücher zu bewegen, zwängte sie sich durch den Spalt. Ollowain war kaum zwei Schritt entfernt.

Im Chaos der stürzenden Bücher war ein kleiner Hohlraum entstanden. Und wie Stalaktiten in einer Grotte hingen zerfetzte Pergamentstreifen von der Decke. Gandas Öllampe tauchte Ollowains Zuflucht in goldenes Licht. Sein Schwert lehnte an einem Bücherstapel. Er hielt etwas mit beiden Händen umklammert und presste es sich gegen die Brust. Über seinen Daumen erhob sich das Haupt der schwarzen Magierin aus dem Falrach-Spiel.

Der Schwertmeister blickte in Richtung des Spalts, durch den Ganda gekommen war, und doch wusste die Lutin, dass er sie nicht sah. Seine Augen waren leer. Tränen rannen ihm über die Wangen. Dabei war er vollkommen still. Kein Schluchzen kam über seine Lippen. Kein Seufzer hob seine Brust. Er weinte stumm, auf eine Art, wie Ganda nie zuvor in ihrem Leben jemanden hatte weinen sehen.

Sein Anblick schnürte ihr die Kehle zu. Selbst in seiner Trauer wirkte er noch vollkommen. Im Schneidersitz saß er kerzengerade zwischen den Büchern. Sein Haar war ein wenig durcheinander geraten, und seine Augen waren leicht gerötet. Das Antlitz des Elfen war bleich wie Winternebel, der aus einem schwarzen Pfuhl stieg. Es war alterslos schön. Wie aus Marmor geschnitten und ebenso unbewegt. Versteinert. Bis auf die Tränen.

Ganda wusste nicht, was sie sagen sollte. Welche Worte würden bis zu Ollowains Verstand vordringen, der sich so weit hinter die steinerne Maske zurückgezogen hatte? Sie ahnte, dass er wieder zu sich käme, wenn sie nach der schwarzen Magierin griff. Doch sie wagte es nicht. Sie hatte Angst vor dem, was er tun mochte, um die Spielfigur zu schützen.

Vorsichtig streckte Ganda die Hand nach Ollowains Schwert aus. Nichts.

Die Lutin nahm die Waffe an sich, ohne den Schwertmeister aus den Augen zu lassen. Keine Reaktion. Er ließ sich widerstandslos entwaffnen. Der weiße Ritter der Shalyn Falah, der berühmteste Krieger Albenmarks, hatte aufgehört zu kämpfen. Ganda warf das Schwert durch den Spalt hinaus in den Büchertunnel. Obwohl sie sich nun ein wenig sicherer fühlte, wagte sie immer noch nicht, nach der Falrach-Figur zu greifen.

»Wir sind im Auftrag der Königin hier, Ollowain. Erinnerst du dich? Du hast Emerelle Treue geschworen. Du darfst sie jetzt nicht im Stich lassen.«

Der Elf rührte sich nicht. Er war ein dämlicher, arroganter Mistkerl, und doch berührte es sie zutiefst, ihn so zu sehen. Sie hätte niemals gedacht, dass Elfen zu solch starken Gefühlen fähig waren. Sie wirkten immer so beherrscht. So überlegen. So in ihren Verstand und ihre meisterlichen Fähigkeiten verliebt.

»Erinnerst du dich an die Blütenfeen am großen Teich, nahe dem Elfenlicht?« Ganda hielt inne; sie musste daran denken, dass die Elfen dieser prächtigen Burg keinen Namen gegeben hatten. Wenn sie den Namen gebrauchte, den die Koboldvölker Emerelles verzauberter Burg gegeben hatten, dann würde Ollowain nicht wissen, wovon sie sprach. »Denk an das Schloss der Königin. Dort gibt es einen klaren See. An seinem Ufer leben die Blütenfeen. Etwas Dunkles ist in jener Nacht an diesen Ort gekommen, in der du und Emerelle die Trolle vertrieben habt. Etwas, das die Lebensfreude stiehlt und auf heimtückische Weise zu töten vermag. Es sind Schatten, die kein Schwert zu besiegen vermag, Ollowain. Deshalb sind wir hier. Wir sollen einen Weg finden, diese Schatten aus Albenmark zu vertreiben. Erinnere dich! Du bist der weiße Ritter! Der Schwertmeister. Der Gerechte. Allen Völkern Albenmarks ist dein Name wohl bekannt. Sie vertrauen auf dich. Sie hoffen auf deinen unbeugsamen Mut. Lass sie nicht im Stich, Ollowain.«