Выбрать главу

Nichts. Es war, als spräche sie zu einem Felsen. Wie konnte man nur so ausdauernd weinen? Und so still ... Das war unheimlich. Wann würden seine Tränen versiegen? Oder konnte man so lange weinen, bis man daran starb, wenn sich die Seele in einer Wüste verloren hatte?

Ganda blickte wieder zu der schwarzen Magierin. Vorsichtig streckte sie die Hand nach der Figur aus, bis ihre Finger sie fast berühren konnten. Die Lutin schluckte. Ihre innere Stimme warnte sie. Das war nicht mehr der Wächter der Shalyn Falah, der dort vor ihr saß. Der Unbeugsame und Unbescholtene. Niemand konnte wissen, was er in seinem Wahn tun würde.

Ganda beugte sich zurück. Sie leckte sich nervös die Schnauze. Sie musste sich mehr auf ihn einlassen, wenn sie zu ihm vordringen wollte. Ganda erinnerte sich an einen Namen, den er gestern genannt hatte.

»Sie hieß Lyndwyn, nicht wahr?«

Ollowains Lippen zitterten leicht.

»Erzähl mir von ihr. Sie muss eine sehr besondere Frau gewesen sein, wenn sie dich selbst jetzt noch so sehr in ihren Bann zu schlagen vermag.«

Der Elf nickte sanft. »Ja, die Worte sind gut gewählt.« Er sprach mit tonloser Stimme. »Sie hat mich tatsächlich in ihren Bann geschlagen. Sie war eine Zauberin. Ich dachte, es sei ihre Magie. Aber ich habe mich geirrt. Ich habe mich so sehr in ihr geirrt ...«

»Wie meinst du das?« Ollowains Blick wurde wieder starr. Ganda fluchte. Sie war dabei, ihn wieder zu verlieren. Sie musste ihn provozieren! »Hat sie dich betrogen? Erzähl es mir! Was hat die Schlampe dir angetan?«

Der Schwertmeister blinzelte. Dann sah er sie an, und sein Blick war wie Eis. »Wenn du noch einmal so von ihr sprichst, werde ich dich töten.«

Er sprach sehr leise. Seine Stimme klang noch immer hohl. Sie verriet kein Gefühl. Und doch hegte die Lutin nicht den geringsten Zweifel daran, dass er seine Drohung augenblicklich wahr machen würde, wenn ihr jetzt der geringste Fehler unterlief. Und er brauchte kein Schwert, um sie zu töten. »Entschuldige«, stammelte sie. »Ich habe mich geirrt. Erzähl mir, wie Lyndwyn war.«

Plötzlich spielte ein trauriges Lächeln um die Lippen des Elfen. Er nickte sanft. »Ja, es war leicht, sich in ihr zu irren. So ist es auch mir ergangen. Sie war die Enkeltochter Shahondins, des Fürsten von Arkadien, und ich dachte lange Zeit, sie sei sein Werkzeug. Er begehrte Emerelles Thron und ihren Albenstein. Und Lyndwyn hat ihn sich genommen, den Albenstein der Königin. Sie war undurchschaubar.« Seine Tränen versiegten. Er schluckte hart. »Bis zuletzt.«

Mit stockender Stimme erzählte Ollowain von der Magierin. Wie sie ihm einen Dolch in die Kehle gerammt und ihn so vor dem Erstickungstod gerettet hatte. Wie sie den Albenstein an sich gebracht und dessen Kraft genutzt hatte, um die schwer verwundete Emerelle in die Welt der Menschen zu schaffen. Ollowain berichtete von ihrer Reise nach Phylangan und davon, wie Lyndwyn ihn verführt hatte, nur um dann auf geheimnisvolle Weise wieder zu verschwinden. Erst als die Festung Phylangan dem Untergang nahe gewesen war, hatte er wieder zu Lyndwyn gefunden und entdeckt, dass die Magierin gemeinsam mit anderen Zauberern der Normirga für einen schrecklichen Preis das Feuer der Erde im Zaum gehalten hatten.

Ollowain stockte in seiner Erzählung. Er schloss die Augen und rang mit sich. Eine einzelne Träne rann über seine Wange.

»Mir ist prophezeit worden, dass ich mich vor dem Feuer hüten soll und einst in Flammen sterben werde. So ...« Er sah Ganda durchdringend an. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, den Rest musst du nicht wissen. Aber seit ein paar Tagen frage ich mich, ob Lyndwyn um mein Schicksal wusste? Mich quält der Gedanke, dass sie um meinetwillen die tödliche Gefahr auf sich nahm. Unsere Schiffsreise hat mir viel Zeit zum Nachdenken gegeben. Zeit, die ich seit Lyndwyns Tod nicht hatte.« Er lächelte mutlos. »Vielleicht tat sie es auch allein, um Phylangan zu retten. Anfangs hatten wir alle geglaubt, dass die Trolle die Bergfestung niemals stürmen könnten ...«

Der Schwertmeister berichtete, wie er Lyndwyn gerettet hatte und mit ihr aus der sterbenden Bergfestung geflohen war. Dabei war er schwer verwundet worden und hatte das Bewusstsein verloren. Als er wieder zu sich gekommen war, war er allein auf einem weiten Schneefeld gewesen. Nur die Spuren hatten verraten, was geschehen sein musste. Offenbar war Lyndwyn durch eine Patrouille der Trolle entdeckt worden. Und sie war den Feinden entgegengegangen, damit sie Ollowain, der in seinem weißen Umhang im Schnee fast unsichtbar gewesen war, nicht fanden. Für diesen Mut hatte sie mit dem Leben bezahlt. Stammelnd brachte der Schwertmeister hervor, was man der Magierin angetan und wie sie dem Tod getrotzt hatte, bis sie einander ein letztes Mal begegnet waren.

Ollowain hob die Falrach-Figur an seine Lippen und küsste sie sanft. »Zu viel Zeit nachzudenken ... Lach nicht Ganda, aber das Falrach-Spiel hat mich verrückt gemacht.«

»Das habe ich gesehen«, sagte sie ironisch.

»Du hast nicht alles gesehen. Es war unheimlich, wie genau das Spiel den Verlauf der Schlacht nachbildete. Dabei hätte dies bei all den unberechenbaren Würfelwürfen nicht möglich sein dürfen. Man kann ein Falrach-Spiel nicht steuern. Nicht auf diese Weise.« Er lachte schmerzhaft. »Irgendwann fing ich an zu glauben, dass ich die Vergangenheit ändern könnte, wenn ich es schaffte, dem Spiel eine neue Wendung zu geben. Und wenn die schwarze Magierin am Ende der Schlacht um Phylangan nicht geschlagen würde, dann würde Lyndwyn noch leben.«

Ganda versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie schockiert sie war. Er war wirklich verrückt geworden!

Ollowain schob sich die Falrach-Figur hinter den Gürtel. Plötzlich runzelte er die Stirn. »Wo ist mein Schwert?«

»Was hast du vor?«

»Ich habe Lyndwyn geschworen, die Königin zu retten. Das Spiel ist noch nicht zu Ende.« Ganda seufzte. Das durfte doch nicht wahr sein! Auf ihn konnte sie wohl nicht länger zählen.

»Du willst zurück zu Galawayn?«

»Auch zu ihm.« Mit katzenartiger Gewandtheit erhob sich der Elf und war an ihr vorbei, bevor sie auch nur protestieren konnte.

»Ganda?«

Die Lutin hätte nicht erwartet, dass er auf sie warten würde.

»Ja?«

»Hast du schon einmal einen Elfen über Schnee gehen sehen?«

»Was?«

»Weißt du, was das Besondere daran ist?«

Mit Verrückten und Elfen ist es wie mit kleinen Kindern, ermahnte sie sich stumm. Nur nicht die Geduld verlieren!

»Nein, keine Ahnung.«

»Sie hinterlassen keine Spur.« Mit diesen Worten griff er unter ihre Arme, nahm ihr das Öllämpchen ab und trug sie durch den Tunnel. Kein Pergamentblatt raschelte unter seinem Schritt, und der unruhige Bücherberg schwieg, als habe er die Eindringlinge vergessen.

In wenigen Augenblicken waren sie in dem Saal mit der niedrigen Decke, der Ganda nun nach dem Ausflug in die Büchergruft weit und freundlich erschien. Ollowain setzte sie behutsam zu Boden. Dann beugte er sich vor und küsste sie auf die Stirn.

Zu überrascht, um irgendetwas sagen zu können, starrte sie ihn einfach nur an.

»Danke, Ganda. Ich hatte mich verloren und musste wieder gefunden werden.« Sie räusperte sich verlegen. Sie war beileibe nicht auf den Mund gefallen, aber Ollowain machte sie einfach sprachlos. Ihr fielen keine Worte ein, die nicht unglaublich schwülstig oder dümmlich geklungen hätten.

»Wen suchst du?«, fragte sie schließlich.

»Jemanden, den Chiron kurz erwähnt hat und der mir vermutlich sagen kann, warum Galawayn so gut über die Ereignisse in Phylangan Bescheid weiß, dass man meinen könnte, er habe dort gekämpft.« Mit diesen Worten machte er sich davon.