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Ganda fluchte. Jedes Mal, wenn sie kurz davor war, den Elfen zu mögen, leistete er sich so etwas! Wäre es denn so schwer gewesen, ihr zu sagen, nach wem er suchte?

Der goldene Käfig

»(...) Ich nannte die Pfade der Elfen ein Netz, doch sind sie zugleich auch ein Käfig, so unermesslich weit, dass, würdest du auf dem schnellsten aller Pferde ein ganzes Jahrhundert lang an ihm vorbeireiten, so wärst du noch immer nicht an deinem Ausgangspunkt angelangt. (...)

Ich weiß nicht, auf welcher Seite des Gitters ich stehe. Bin cih eingesperrt oder ausgesperrt? Ich weiß nur, ich bin geschützt, denn dazu haben die Alben den Käfig erschaffen. Seine Stangen sind die goldenen Pfade durch das Nichts. Sie halten die Yingiz fern — die Schatte, die von ihnen geblieben sind, das, was nicht einmal die Alben zu töten vermochten. Oder wollten sie es nicht? Wie gefangene Raubkatzen schnüren die Yingiz die Gitterstäbe entlang. Würde einer der Stäbe fehlen, so könnten sie zurück. Vielleicht würde es ein Jahrhundert dauern oder länger, bis eine solche Lücke bemerkt würde.

Sie gelten als gierig und selbstsüchtig. Sie sehnen sich nach dem Funken des Lebens. Würde ein Yingiz, der eine Lücke bemerkt, seine Brüder und Schwestern rufen? Die meisten täten es wohl nicht. Sie träten allein hinaus ins Licht, um zu jagen. Ein Yingiz aber wäre wie eine Ascheflocke auf einem goldenen Schild. Ein Makel, mehr nicht. Doch käme einer, der ungleich den vielen ist, Albenmark würde in einem Aschesturm vergehen. Deshalb hütet den Käfig, auch wenn ihr nicht wisst, auf welcher Seite des Käfigs ihr steht. Denn öffnet ihr ihn, so habt ihr das Stundenglas gewendet, das die Zeit zu unser aller Untergang abmisst. (...)

Zitiert nach:
Die Wege der Alben,
von: Meliander, Fürst von Arkadien

Nur eine Spur auf Pergament

Ollowain betrachtete den Kobold nun schon eine ganze Weile. Tief gebeugt saß der schmächtige Kerl über einer langen Liste, kaute an dem Ende seines Gänsekiels und knurrte gelegentlich. Vielleicht war es auch Magengrimmen, das für das Geräusch verantwortlich war. Obwohl Ollowain unmittelbar vor dem Pult des Kobolds stand, tat dieser so, als sehe er ihn gar nicht. Auch leises Räuspern ignorierte der Schreiber geflissentlich.

»Bist du Marwahn?«, fragte der Elf lauter, als es die Höflichkeit gebot.

Endlich blickte der Schreiber auf. Er hatte ein verkniffenes Gesicht. Wangen, die an leere Beutel erinnerten, hingen rechts und links neben seinem spitzen Kinn herab. Auf der zerfurchten Stirn prangte ein verschmierter Tintenfleck. Schütteres, fettig glänzendes Haar bedeckte mit langen Strähnen die beginnende Glatze. Der Schreiber verströmte den säuerlichen Geruch von zu lange getragenen Kleidern und billiger Tinte.

»Mein Name steht draußen neben der Tür«, murmelte der Kobold und beugte sich wieder über seine Liste. »Da steht Marwahn!«

»Habe ich etwas anderes gesagt?« Ollowain verkniff sich die Antwort, die ihm auf der Zunge lag. »Meister Reilif ist für die Neuankömmlinge und ihr leibliches Wohl verantwortlich ...«

»Das brauchst du mir nicht zu erklären«, schnauzte der Kobold ihn an. »Was willst du?«

»Eine Liste von allen Besuchern der Bibliothek in den letzten drei Monden. Reilif sagt, du führst eine solche Liste.« Marwahn rollte mit den Augen und stieß einen verzweifelten Schnaufer aus. »Geh zu Kleos. Der kann dir sagen, wer gekommen ist.«

»Ich kenne Kleos.« Ollowain verlor langsam die Geduld. »Ich kann aber gern zurück zu Reilif gehen, um ihm zu sagen, dass du die Zusammenarbeit mit einem Gesandten der Königin Emerelle verweigerst.«

»Emerelle hat hier gar nichts zu sagen! Willst du mir drohen, ja? Willst du das? Glaubst du, dass dir damit geholfen ist?« Der Schreiber ereiferte sich so sehr, dass ihm eine seiner fettigen Haarsträhnen in die Stirn rutschte. »Kannst du nicht sehen, dass ich bis über beide Ohren in Arbeit stecke? Ein wenig Geduld musst du schon mitbringen.«

Alles, was Ollowain gesehen hatte, war, dass Marwahn in der letzten halben Stunde zwei Namen auf seiner Liste ausgestrichen hatte. In der ganzen Zeit hatte sich niemand anders in die Kammer des Schreibers verirrt, und der Elf verstand nun auch, warum das so war.

»Sieh es doch einmal anders, hochverehrter Schreiberling. Wenn du mir hilfst, so verschwinde ich bald wieder, und du bist ungestört.«

Marwahn fuhr sich mit der Hand, mit der er den Federkiel hielt, über die Stirn und hinterließ dort einen zweiten Tintenklecks. Dann legte er betont langsam die Feder zur Seite, holte ein großes schwarzes Buch, schlug es auf, legte es vor Ollowain auf den Tisch und warf dabei einen abfälligen Blick auf dessen Schwert. »Hier! Brauchst du jemanden, der dir vorliest, Krieger?«

»Danke, ich komme zurecht«, entgegnete der Elf eisig. Kaum hatte er einen Blick in das Buch geworfen, da bereute er diese Worte schon. Die Schriftzeichen waren ihm durchaus vertraut, und auch die Namen, die fein säuberlich untereinander aufgelistet waren, konnte er durchaus lesen. Aber hinter jedem Namen stand ein Kauderwelsch aus Buchstaben und Zahlen, das für einen Uneingeweihten unmöglich zu durchschauen war.

Trotzdem war Ollowain entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. Sein Name und der Name Gandas waren die letzten in der Liste. Auf der Seite standen noch vierzehn andere Namen. Der einzige davon, der Ollowain vertraut vorkam, war der Name, der unmittelbar vor seinem eingetragen stand. Das musste der Besucher sein, von dem Chiron gesprochen hatte. Labax. Ollowain erinnerte sich an einen Kobold aus Phylangan, der so geheißen hatte.

Der Finger des Elfen fuhr über die Zeile hinter dem Namen. Labax Ank. S-L, k.Magbg., Kob., Bed II, HW IX, Arb. Kl. XXV, BTT, Qb III

Der Name war verständlich. Und Kob. Bedeutete wahrscheinlich Kobold. Aber der Rest ... Ollowain blieb keine andere Wahl, als Marwahn zu fragen.

»Ich dachte, du kannst lesen«, entgegnete der Kobold, ohne aufzublicken. »Also bist du nicht nur ein Krieger, du bist auch noch ein Lügner. In letzter Zeit lassen sie wirklich jeden Dreck hier in die Bibliothek.«

»Dir ist klar, dass die meisten Krieger Mörder sind?«, fragte Ollowain sehr ruhig. Marwahn blickte auf. Ganz offensichtlich versuchte er einzuschätzen, ob er möglicherweise in Gefahr war. »Ich bin Schreiber in der Bibliothek von Iskendria. Ich bin unantastbar.«

»Wie sagtest du gleich? In letzter Zeit lassen sie jeden Dreck in die Bibliothek? Wie kommst du darauf, es könnte mich scheren, dass du unberührbar bist?«

Der Kobold war eine Spur blasser geworden. Er suchte noch immer nach Anzeichen in Ollowains Gesicht, die darauf hindeuteten, dass er scherzte.

Der Elfenkrieger hielt dem Blick des Kobolds stand. »Womit kann ich dir zu Diensten sein?«, fragte Marwahn schließlich ganz kleinlaut.

Der Schwertmeister zeigte auf die Zeile hinter Labax‘ Namen.

»Was bedeutet das?« Der Kobold drehte das Buch zu sich. »Ja, in der Tat, das ist nicht ganz leicht zu verstehen. Buchhalterhieroglyphen.« Er blickte auf, um ein Lächeln zu erhaschen, doch Ollowains Miene blieb wie versteinert.

»Also, übersetzt heißt das: Labax, Ankunft über Sem-La, keine Magiebegabung, Kobold, Bedeutsamkeit II, Hüter des Wissens IX, Arbeiter Klasse XXV, Brauturm, Qualbam III. Sem-La hat ihm das Tor im Albenstern geöffnet, da Labax in Sachen Magie augenscheinlich nicht begabt war. Er war kein sehr bedeutsamer Besucher. Die Zahl gibt an, wie viel neues Wissen ein Gast unserer Bibliothek zu bieten hat. Je höher die Zahl ausfällt, desto besser. Man kann sie etwa mit der Zahl der Stunden gleichsetzen, die man durch einen Hüter des Wissens befragt wird.« Ollowain versuchte zu erkennen, was in seiner Zeile stand. CX. Hundertzehn Stunden! Die waren hier alle verrückt!