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»Hüter des Wissens IX gibt an, in wessen Zuständigkeitsbereich Labax fällt«, fuhr der Schreiber fort.

»Und IX steht für Galawayn.«

Marwahn blickte überrascht auf. »Richtig. Man hat Labax zu Galawayn geschickt. Das ist ungewöhnlich, denn der Elf beschäftigt sich nur mit ...« Der Kobold hustete nervös. Wahrscheinlich war er angewiesen, über Galawayns Aufgaben Stillschweigen zu bewahren. »Galawayn beschäftigt sich nur mit sehr besonderen Berichten. Labax muss in der Tat etwas sehr Interessantes gewusst haben. Sonst hätte man ihn niemals zu Galawayn geschickt. Aber sehr viel kann es nicht gewesen sein, was er zu erzählen hatte, denn zwei Stunden ist sehr wenig Zeit für ein Gespräch.«

»Was du nicht sagst.« Ollowain behielt den drohenden Tonfall bei, obwohl sein Zorn längst verraucht war.

»Arbeiter Klasse XXV ist die niedrigste Klasse von Arbeitern in der Bibliothek. Der Rang hängt davon ab, wie anspruchsvoll die Aufgaben sind, die man erfüllen kann. Die Hüter des Wissens haben alle den Rang I. Ein Schreiber wie ich hat Rang IX, was ziemlich bedeutsam ist. Du sagtest, du kennst Kleos?«

Marwahn blickte kurz auf. »Er hat Rang XXV.«

»Bekommt jeder Besucher der Bibliothek so einen Rang?« Ollowain war überrascht über das kaltschnäuzige System, mit dem die Besucher nach ihrer Nützlichkeit eingeordnet wurden.

»Nein. Eine Einstufung in eine Arbeiterklasse gibt es nur für Besucher, die bleiben wollen. Aber wie du siehst, war Labax kein großer Gewinn für uns. Entweder war er ziemlich dämlich oder aus irgendeinem anderen Grund nicht in der Lage, anspruchsvolle Aufgaben wahrzunehmen. Rang XX steht zum Beispiel für die Beleuchter der Bibliothek. Wer einen niedrigeren Rang hat, dem traut man nicht zu, dass er mit offenem Feuer hantieren kann, ohne eine Bedrohung für die Bibliothek darzustellen.«

Ollowain versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er hatte nur eine vage Idee von dem, was hier vor sich ging. Warum Galawayn so viel über die Kämpfe um Phylangan gewusst hatte, war nun geklärt. Aber warum hatte der Elf nicht über Labax reden wollen? Wäre es nicht nahe liegend gewesen, dass sie ein Gespräch zu dritt geführt hätten? Ollowain hatte ihn sogar nach dem letzten Besucher gefragt, doch der Hüter des Wissens hatte nur abfällig gelächelt und gesagt, es sei ein schwafeliger Kobold gewesen. Aber gänzlich unbedeutend konnte Labax nicht sein, sonst hätte man ihn schließlich nicht ausgerechnet zu Galawayn geschickt. Was hatte Labax wohl über Phylangan zu erzählen gehabt? Was machte ihn zu etwas Besonderem?

Ollowain erinnerte sich noch an den Kobold. Er hatte zu den Armbrustschützen gehört. Seine Kameraden waren durch den rätselhaften Mörder getötet worden, der die Elfenfestung heimgesucht hatte. Labax war der einzige Überlebende gewesen. Verzweifelt hatte er nach einer Antwort darauf gesucht, warum er dem Tod entging aber seine Gefährten sterben mussten. Vielleicht war das der Grund, dass Labax hierher gekommen war. Schließlich hieß es ja, dass man in der Bibliothek von Iskendria Antwort auf alle Fragen finden könne.

»Dieses Kürzel hier steht für Brauturm«, fuhr Marwahn beflissen fort. »Dort hat man ihn zur Arbeit eingesetzt. Im Brauturm hat es einen Bücherschlag gegeben, musst du wissen. Wahrscheinlich war es die Aufgabe von Labax, Bücher zu bergen. Ein anderer Kobold, Qualbam III., hat ihn in diese Arbeit eingewiesen. Qualbam ist nur ein Beleuchter. Und ein ziemliches Großmaul ist er. Erzählt jedem, der es nicht hören will, wie gut er bei den Weibern ankommt.«

»Weißt du, ob Labax die Bibliothek wieder verlassen hat?«

Der Schreiber kratzte sich am Kopf und brachte seine sorgsam gelegten Haarsträhnen noch mehr durcheinander. »Also ausgetragen habe ich ihn nicht. Leider kommen nicht alle, um sich abzumelden, wenn sie die Bibliothek wieder verlassen. Aber da Labax nicht magiebegabt ist, kann er das Tor im Albenstern nicht öffnen. Er kann also ohne Hilfe nicht fort von hier, und hätte er jemanden aus der Bibliothek um Hilfe gebeten, dann hätte ich davon erfahren. Solche Dinge erfahre ich immer«, erklärte Marwahn stolz. »Auf meine bescheidene Art bin ich auch ein Hüter des Wissens.«

»Also müsste ich Labax beim Brauturm finden.«

»Wenn er kein Faulpelz ist, der sich vor seiner Arbeit drückt, dann sollte er dort sein. Aber bei den XXV weiß man nie«, sagte der Schreiber abfällig. »Die sind einfach zu dämlich, um ihre Sache gut zu machen.«

Ollowain deutete auf die Namensliste. »Sind das wirklich alle Besucher der letzten Monde?«

»Das sind sogar alle Besucher des letzten halben Jahres. Wie du siehst, ist bei uns nicht sehr viel los.«

»Kann man auch unbemerkt in die Bibliothek gelangen?«

Der Schreiber wirkte entrüstet. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Hüter des Wissens würden das bemerken. Wenn jemand davonhuscht, da kann man nichts machen. Aber wenn wir Besuch bekommen, das merken wir schon.«

Ollowain verließ die Stube, ohne sich von Marwahn zu verabschieden. Die Erinnerung an etwas, das Ganda ihm erzählt hatte, hatte ihn zutiefst aufgewühlt. Von den Devanthar hieß es, dass sie die Gestalt ihrer Opfer annehmen konnten. Aber die Kunst der Gestaltwandlung galt als eine der verbotenen Spielarten der Magie — jene Art von Magie, die man am Hof der Fürstin Alathaia praktizierte. Ihr traute Ollowain durchaus zu, dass sie sich sehr für die mörderische Kreatur interessierte, die Phylangan heimgesucht hatte. Vielleicht hatte sie einen Zögling hierher geschickt?

Ein Magier, der ein Gestaltwandler war, würde gewiss zunächst einige Zeit mit seinen Opfern verbringen. Schließlich musste er mit ihrem Leben und ihren Eigenarten vertraut werden. Wahrscheinlich würde er seine Opfer danach töten, allein schon um zu verhindern, dass man ein und dieselbe Person zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten antreffen konnte. So würde es ihm auch leichter fallen, seine Spuren zu verwischen. Diejenigen, die er tötete, würde man nicht vermissen, weil er sie ja ersetzte. Sollte der Kobold Labax also in Wahrheit ein anderer sein, dann war jeder in Gefahr, mit dem er einige Zeit verbracht hatte. Dieser Beleuchter, Qualbam III., und auch Galawayn.

Der Schwertmeister hatte den Verdacht, dass er Labax nicht finden würde. Aber bevor er zu Galawayn ging, wollte er sich dessen ganz sicher sein.

Überraschender Besuch

Der Mond stand hoch am Himmel. Es wurde kühl in der Kammer des Herzogs. Die schweren hölzernen Läden standen halb offen. Keile verhinderten, dass sie im Wind hin und her schlugen.

Klein und blass war die Aura des Menschenmondes. Ihm fehlte die Kraft seines Zwillings in Albenmark. Alles war schwächer in der Welt der Menschen. Die Magie, das Licht und auch die Geschöpfe, die hier lebten. Manchmal stellte sich Skanga vor, die Alben hätten geübt, als sie diesen Ort erschufen. Aus den Fehlern hatten sie gelernt und dann Albenmark erschaffen.

Die alte Schamanin lehnte sich in dem hohen Holzsessel zurück, der an der Wand gegenüber dem riesigen Nachtlager stand. Sie musste schmunzeln. Orgrim genoss es wahrhaftig, bei den Weibern zu liegen. Es gab viel weniger Weibsbilder als Krieger. Und die Weiber wählten, in wessen Lager sie stiegen. Viele Krieger wurden alt und starben, ohne jemals den Zauber der Vereinigung erlebt zu haben. Ein Herzog freilich konnte unter allen Weibern wählen. Noch dazu, wenn er ein so berühmter Kämpfer wie Orgrim war.

In sein Lager zu kriechen war eine Ehre, der man mit Freude nachkam, denn er war auch noch jung und sah gut aus. Jedenfalls hatte man Skanga das erzählt ... Sie wusste nur mit Sicherheit zu sagen, dass er eine gute Aura hatte. Kraftvoll! Es war nicht lange her, da war Orgrim nur ein Rudelführer gewesen. Der Herzog hatte den Mangel gelebt, und nun schwelgte er im Überfluss.

Skanga kannte Orgrim gut. Sie wusste, dass er ein Genießer war. Viele Leben lang hatte sie ihn begleitet. Die Weiber hatten es Orgrim schon immer angetan.

Ihre Hände tasteten nach dem aufgeschlagenen Buch, das neben ihr auf dem Tisch lag. Der Botschaft der Tintenpfade nachzuspüren kostete die blinde Schamanin viel Kraft. Ohne die Zaubermacht des Albensteins hätte sie es nicht vermocht.