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Skanga blickte nach vorn und betrachtete die rote Flamme der Wegmarkierung. War es ein Fehler gewesen, diese Lichter zu setzen? Störte ihre Magie vielleicht den Zauber der Alben? Kam ihr der Schutzzauber so weitmaschig vor, weil sie unwissentlich etwas zerstört hatte?

Sie versuchte, den Zweifel von sich zu schieben. Es war das Wesen der Yingiz, Ängste zu schüren. Kamen diese Gedanken von ihnen? War sie nicht mehr Herrin dessen, was sich in ihrem Kopf abspielte? War das schon geschehen, als sie die Lichter gesetzt hatte? Waren die Yingiz schon dort die Meister ihrer Gedanken gewesen und hatten sie dazu missbraucht, Tausende in die Falle zu locken?

Skanga atmete tief aus. Sie dachte an den hellen Sommertag zurück, an dem Matha Naht ihr das Augenlicht genommen hatte. An die Schmerzen ... So vertrieb sie die Zweifel. Zumindest für ein paar Herzschläge.

Die Schamanin beschleunigte ihre Schritte. Ab und an sah sie Schatten jenseits des Netzwerks aus schützender Magie. Ihr Atem ging keuchend. Sie hatte das Gefühl, als stapele ein unsichtbarer Folterknecht Steine auf ihre Brust. Mit jedem Schritt wuchs die Last, wurde es qualvoller einzuatmen.

Alles Unsinn! Sie umklammerte den Albenstein fester. Das waren die Spiele der Yingiz! Sie blickte auf, doch ihr Feind war unsichtbar. Sie konnte ... Die Schamanin stutzte. War der schützende Bogen aus Magie flacher geworden?

Ein gellender Schrei schreckte sie aus ihren Gedanken. Kurz, abgehackt. Jemand war ins Nichts gezerrt worden.

»Irgendein Trottel, der vom Weg abgewichen ist!«, rief Branbart. Seine Stimme war schrill, sie verriet seine Angst. »Beeilen wir uns!«

»Nein!« Skanga wusste, dass Eile ein falsches Zeichen war. Sie zwang sich zur Ruhe und spähte ins Dunkel. Nichts. Die Schamanin schlug ein Schutzzeichen. Die Krieger um sie herum waren still. Nur aus der Ferne erklang das Schlagen von Waffen auf Schilde.

»Niemand rennt hier! Ihr seid Jäger! Ihr wisst, dass fliehende Beute den Jäger aufmerksam werden lässt. Sie ist viel leichter zu stellen als ein Tier, das sich ruhig verhält. Hier sind wir die Beute. Behaltet kaltes Blut. Niemand rennt! Ihr geht langsam. Jedes Mal, wenn ich meinen Stab hebe, macht ihr einen Schritt und schlagt dabei mit euren Waffen auf die Schilde. Der Feind im Dunkel weidet sich an unserer Angst. Begegnet ihm mit Gelassenheit! Und stört die Stille. Lasst uns den Rhythmus unseres Marschtritts in die Stille tragen. Wir bestimmen, wann wir gehen und wann wir laufen.« Skanga hob ihren Stab, machte einen Schritt vorwärts und senkte den Stab wieder.

Vereinzelt erklangen Keulenschläge auf Schilden.

»Benehmt euch nicht wie scheue Rehkitzchen!«, brüllte Branbart und hob seinen Schild. »Tut, was Skanga sagt! Und sagt den Männern weiter hinten, was sie befohlen hat.«

Wieder hob und senkte die Schamanin ihren Stab. Das Donnern der Schilde wurde lauter. Sie musste Ordnung in das Heer bringen. So würden sie die Gefahr meistern. Skanga zwang sich, ruhig weiterzugehen. Kalter Schweiß rann ihr über den Rücken. Als sie noch jünger gewesen war, hatte sie viele weite Reisen unternommen. In all den Jahrhunderten ihres Lebens war ihr dabei nur ein einziges Geschöpf begegnet, das hier im Nichts keine Angst empfand: ein Dschinn. Er hatte ziemlich viel krausen Unsinn geredet. Vielleicht war er ja auch verrückt gewesen ... Er hatte ihr gezeigt, wie er die Pfade verließ und durch das Dunkel gehen konnte, ohne sich schützen zu müssen. Und ihm war tatsächlich nichts geschehen! Warum die Yingiz ihn verschonten, hatte Skanga nie begriffen. Vielleicht war er zu fremdartig. Womöglich verschmähten die Yingiz auch Wesen, die nicht aus Fleisch und Blut waren.

Erneut erklang ein gellender Schrei, der abrupt abbrach. Trolle verschmähten die Seelenfresser jedenfalls nicht.

»Schneller!«, drängte Branbart.

Skanga ignorierte ihren König und ging gemessenen Schrittes weiter. Sie hob und senkte ihren Stab, und das Echo dröhnender Schilde folgte ihr. War der Weg schmaler geworden?

Nein, nein ... Ihr magisches Auge spielte ihr einen Streich! Das konnte nicht sein! Sie zwang sich, ruhig zu atmen, und presste den Albenstein auf ihr Herz. Er verstärkte ihre Magie und verlieh ihr eine Macht, die fast an jene sagenumwobenen Kräfte ihrer Schöpfer heranreichte. Es hieß, wer drei Albensteine besaß, der könne alles vollbringen. Doch jedem der Albenvölker war nur ein Stein geschenkt worden, und sie wurden eifersüchtig gehütet.

Die Schamanin dachte an Emerelle. Sie besaß den Stein, der den Elfen geschenkt worden war. Sollte Branbart nur aus dem Schädel der Königin trinken. Sie würde Emerelles Albenstein an sich nehmen! Wenn sie ihn erst besaß, würde sie ihr Volk künftig vor allen Gefahren schützen können.

Wieder erreichten sie einen Albenstern; diesmal kreuzten sich sieben Pfade. Skanga verharrte. Waren sie schon bei dem Stern angelangt, über den Atta Aikhjarto wachte? Die Schamanin musterte eingehend das verschlungene Knotenmuster der Kraftlinien. Nein, es war noch ein gutes Stück Wegs bis zum Tor in Emerelles Thronsaal.

Da war ein Geräusch ... Ein fernes Jaulen? Es war in ihrem Kopf ... Die Yingiz! Es hieß, dass die Yingiz an Macht gewannen, wenn man zu lange im Nichts verweilte. Sie fanden einen Weg, jene zu verlocken, die schwach waren. Wie um Skangas Gedanken zu bestätigen, erklang erneut ein Schrei.

Die Schamanin strauchelte. Sie hatte sich den Fuß vertreten. Stechender Schmerz peinigte ihren rechten Knöchel. Den Fuß vertreten? Das konnte doch nicht ...

Weitere Schreie gellten durch die Finsternis. Da sie stehen geblieben war, erstarb das Krachen der Schilde. Der stechende Geruch der Angst hing in der Luft.

Skanga blickte auf ihre Füße. Sie versanken langsam im goldenen Pfad, so wie man auf einem regenweichen Lehmweg einsank.

Immer neue Schreie tönten vom Anfang der Marschkolonne.

Was ging dort vor sich? Skanga hob den Stab. Es musste vorwärts gehen! Schließlich war es nicht mehr weit bis zum Thronsaal der verfluchten Königin. Sie durften sich jetzt nicht aufhalten lassen. Der aufgeweichte Weg, die Todesschreie, das waren die Boten des letzten Widerstands!

Skanga blickte wieder auf ihre Füße. Der Arm, mit dem sie den Stab hob, verharrte inmitten der Bewegung. Der Pfad! Wie ein dickes Seil, das sich Strang für Strang auflöste, zerfaserte er.

»Zurück! Lauft!«, schrie die Schamanin und packte Branbart beim Arm.

Die Krieger vor ihnen kehrten um und drängten auf dem schmaler werdenden Weg zurück. Dutzende Kämpfer stürzten in die Finsternis und waren sofort von wirbelnden schwarzen Schlieren umgeben. Wie lange, dünne Würmer wurde das Lebenslicht aus ihren Leibern gezerrt.

Skanga versetzte dem Krieger, der ihr entgegenkam, mit ihrem Stab einen Schlag ins Gesicht. Vergebens! Sie wurde zur Seite gestoßen. Die Finsternis griff nach ihr. Dann brauste es in ihren Ohren. Sie fiel in den endlosen Abgrund. Gestalt gewordene Dunkelheit griff nach ihr.

Stille

Ein tausendfacher Schrei erklang, erschreckend nah und zugleich nicht mehr von dieser Welt. Ollowain hatte auf unzähligen Schlachtfeldern gestanden. In seinem Leben, das nach Jahrhunderten zählte, hatte er unzählige Male dem Tod gelauscht. Wimmernd, röchelnd, trotzig fluchend waren die Sterbenden um ihn herum ihrem Ende begegnet. Manche riefen nach ihrer Mutter oder ihrer Geliebten, andere starben würdelos kreischend. All dies war dem Schwertmeister wohl vertraut, aber Todesschreie wie diese hatte er nie zuvor vernommen.

Eine Geste von Emerelle ließ das dunkle Tor vergehen und schnitt die Stimmen der Trolle ab. Die steinernen Schlangen flüchteten zurück an ihren Platz im Mosaik. Das leise flüsternde Wasser an den Wänden des Thronsaals verstummte. Es war jetzt totenstill in der großen, verlassenen Burg.

Ollowain zitterte, als er das Schwert zurück in die Scheide schob. Es war kälter geworden. Mondlicht wob seinen Zauber im weiten Thronsaal.

Nur ein Wort der Königin hatte genügt, den Elfen Frieden zu bringen. Alles war gut, redete sich Ollowain ein. Und doch spürte er, dass sich etwas verändert hatte. Etwas Fremdes, Ungreifbares war um ihn herum. Es vermochte sich vor ihm zu verbergen, aber er wusste, es war hier. Ganz nahe! Feuchtigkeit hing schwer in der Luft und mit ihr der Duft von Lindenblüten. Ollowain hatte dicht vor dem dunklen Tor gestanden. Nichts hätte unbemerkt an ihm vorbeigelangen können. Und dennoch war etwas hier ...