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Der Elf hob eine Braue, stellte aber keine weiteren Fragen. Stattdessen bat er sie, sich den Falrach-Tisch anzusehen.

Ganda gab nach. Doch sie taumelte vor Erschöpfung. Die Spielfiguren tanzten ihr vor den Augen. Falrach bedeutete ihr nichts. Sie konnte nicht erkennen, was der Elf ihr zeigen wollte.

»Das Spielbrett zeigt diesen Augenblick«, sagte er mit seltsam distanzierter Stimme.

Wenn er jetzt bloß nicht wieder durchdreht, dachte sie verzweifelt. Ich brauche dich, verdammt. Kann ich mich denn niemals auf dich verlassen?

»Die schwarze Königin steht allein. Das ist Emerelle. Ihre Magierin ist aus dem Spiel geschlagen, und ihre Helden stehen weit auf dem Brett verteilt. Eine ganz ähnliche Aufstellung habe ich vor ein paar Tagen auf einem Spielbrett in Emerelles Burg gesehen. Ich glaube, es war eine Warnung. Das Brett stand so, dass ich es auf jeden Fall sehen musste. Hier allerdings ist Emerelle nicht direkt von Feinden umringt. Die Figuren der weißen Seite stehen jedoch in guter Ordnung tief in ihrer Hälfte des Spielfelds. Und ich hatte gehofft, das Heer der Trolle sei vernichtet.«

»Vielleicht ist es das auch.« Ganda war dieser Mystizismus um das Falrach-Spiel zu viel. »Wer sagt, dass die weißen Figuren für die Trolle stehen? Das ist nur ein Spiel. Nicht die Wirklichkeit!«

»Glaubst du?«

So zynisch hatte sie ihn noch nie erlebt.

Ollowain deutete auf zwei umgestürzte schwarze Spielfiguren, die isoliert auf dem Spielfeld lagen. »Der Feldherr und die Diebin, Ganda. Das sind wir. Wir sind aus dem Spiel.«

Die Lutin fasste sich an die Schläfen. Das war das Letzte, was sie jetzt brauchte. »Ich falle fast in Ohnmacht vor Erschöpfung, und du kommst mir mit so etwas. Vielleicht ist jemand gegen den Spieltisch gestoßen. Es kann Zufall sein, dass ein paar Figuren umgestürzt sind.«

»Es sind nur diese beiden Figuren umgestürzt.«

»Und wo ist unser Mörder? Für den müsste es dann doch wohl auch eine Spielfigur geben.«

»Du denkst zu kurz. Unser Mörder ist keine Figur. Es ist der Spieler der weißen Seite. Deshalb hat er alle Gesichter und zugleich keines.«

Ganda sträubten sich die Nackenhaare. Wenn man bereit war, sich auf Ollowains Wahnvorstellungen einzulassen, waren sie in sich schlüssig. Aber sie war nicht nur eine Spielfigur auf einem Brett! »Wieso sind wir noch nicht vom Spieltisch, wenn wir geschlagen sind? So spielt man das doch, oder? Geschlagene Figuren werden vom Brett genommen.«

»Nein, nicht immer. Es gibt drei Ereignisse, bei denen Spielfiguren neutralisiert werden, aber nicht aus dem Spiel kommen. Man legt sie dann einfach nieder. Danach hängt alles davon ab, wer den nächsten Spielzug hat. Ein solches Ereignis ist eine Zäsur im Falrach-Spiel. Beide Seiten würfeln. Wer das höhere Ergebnis erzielt, beginnt den nächsten Zug, ganz gleich, wer nach dem eigentlichen Ablauf des Spiels an der Reihe wäre. Die Zukunft hängt in diesem Augenblick von einem Würfelwurf ab.«

Die Lutin lachte trotzig. »Dann habe ich eine gute Nachricht für dich. Ich bin sehr gut darin, beim Würfeln zu betrügen.«

Ollowain lächelte schief. »Wer hätte gedacht, dass ich mein Leben einmal in die Hände einer Falschspielerin legen würde.«

Warum hatte sie nie einen Kobold getroffen, der sie so angelächelt hatte?, dachte sie traurig. Ein wenig schelmisch, dabei offenherzig und warm. Voller Vertrauen. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da war sie dem Lächeln Elijas verfallen gewesen. Kein anderer Lutin strahlte solche Zuversicht und ein solches Selbstbewusstsein aus wie er.

Elija hatte eine Vision. Er wollte die Welt verändern. Und er war unerschütterlich davon überzeugt, dass er es schaffen würde. War man ihm nahe, war es so leicht, seinen Traum mit ihm zu teilen. Seine Kraft und sein Enthusiasmus waren ansteckend. Mit ihm zu leben, war ein einziges Abenteuer.

Ganda hatte sehr lange gebraucht, um zu begreifen, dass Elija einzig seinen Traum liebte. Alle Weggefährten waren austauschbar. Was zählte, war allein das Ziel. Als sie das endlich verstanden hatte, war Elijas Lächeln entzaubert gewesen.

Mit Ollowain würde es genauso sein, wenn sie ihn nur lange genug kannte, dachte sie wütend. Ihr war schwindelig.

»Geht es dir gut?«, fragte der Elf.

»Sehe ich vielleicht so aus?«, brachte sie noch hervor, dann gaben ihre Beine unter ihr nach.

Irgendwie schaffte er es, sie aufzufangen, bevor sie zu Boden fiel. Er trug sie in den Armen wie ein Kind. Sie bettete ihr Haupt an seine Schulter. Lange hatte sie sich nicht mehr so geborgen gefühlt. Sie war nicht wirklich bei Bewusstsein, aber sie schlief auch nicht. Die Zeit, in der er sie trug, war wie ein Wachtraum.

Er wollte sie in ihre Kammer bringen und ins Bett legen. Dunkel erinnerte sie sich, dass sie protestierte. Und er musste ihr wohl gehorcht haben, denn er hielt sie immer weiter im Arm. Ganda konnte sich diese bleierne Müdigkeit nicht richtig erklären. War es tatsächlich das Gift? Sie hatte doch schon so lange geschlafen!

Die Lutin spürte, dass Ollowain sie trug. Aber seine Schritte hörte sie nicht. Es war, als schwebten sie beide. Ihre Lider waren zu schwer, um ihnen viele Blicke abzutrotzen. Nur hin und wieder blinzelte Ganda verschlafen. Dann sah sie spärlich beleuchtete Bücherwände vorübergleiten.

Der Elf erzählte etwas. Er flüsterte. Seine Stimme schlich sich in ihr Ohr. Dort fühlte sie auch seinen warmen Atem, während er sprach. Doch irgendwo zwischen dem Ohr und ihrem Verstand ging ein Teil vom Sinn seiner Worte verloren. Es ging um einen Kobold mit Namen Labax. Er hatte in Phylangan gekämpft und im Schlaf die Begegnung mit dem rätselhaften Ungeheuer überlebt, das durch Felsen ging, während alle seine Kameraden gemeuchelt wurden.

Ganda wollte Ollowain sagen, dass sie wusste, was für ein Geschöpf dort in der Elfenfestung umgegangen war. Doch ihre Zunge lag wie ein gestrandeter Wal hinter ihren Lippen. Unendlich schwer. Tot.

Sie musste kurz eingenickt sein. Noch ganz benommen sah sie sich um. Sie war in dem Saal mit den vielen Lesepulten. Ganda fühlte die pulsierende Macht der Albenpfade. Der Albenstern, durch den sie eingetreten waren, lag nur ein paar Schritt entfernt.

Ollowain kniete vor ihr. »Bist du stark genug, um uns von hier fortzubringen?« Die Lutin setzte sich auf und massierte sich mit den Händen die Schläfen. »Zaubern und einer Hornschildechse in den Hintern treten kann ich immer, egal wie ich aussehe.« Ihr war übel. Sie fühlte sich, als habe sie eine ganze Nacht durchgezecht. Ein großer Becher Milch mit zwei hineingerührten Eiern wäre jetzt gut.

Nur zwei Öllampen brannten in der weiten, runden Halle. Beide standen ein gutes Stück entfernt. Im schwachen Licht sahen die Pulte wie große, rechteckige Schilde aus. Sie waren umringt von einer Legion von Schattenkriegern. Ganda schmunzelte. Das war albern!

Ein dumpfes Klatschen erklang. Ollowain fuhr herum. Das Geräusch war aus dem weiten Gang gekommen, der von hier aus tiefer in die Bibliothek führte. Es hatte sich angehört, als sei ein Buch aus einem Regal gefallen.

Ganda musste an Qualbam III. Und seine verrückten Geschichten über Bücher denken. Es war ungerecht, dass der Kobold tot war. Gestorben, weil er sie gekannt hatte. Gestorben, weil sie ihm vertraut hatte.

Ollowain hatte den Gang erreicht. Aufmerksam sah er sich um.

Die Lutin griff nach der Kante des nächstgelegen Stehpults und zog sich hoch. Sie war noch immer ganz wackelig auf den Beinen. Wann würde das endlich aufhören? Und wann würde sie diese fürchterlichen Kopfschmerzen los ... Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung. Ganda verlor das Gleichgewicht. Etwas hatte sie berührt. Sie taumelte zur Seite und stürzte. Ein riesiger Schatten ragte über ihr auf. Kleos! Er war mit einem langen Stab bewaffnet, an dessen Enden aufgerichtete Sensenblätter angebracht waren. »Du hast mich erschreckt ... Du ...« Sie wollte sich aufstützen und wieder aufstehen, doch sengender Schmerz schoss durch ihren linken Arm.

Der Minotaur bückte sich und hob etwas auf. Es schien winzig in seinen riesigen Pranken. »Halt den rechten Arm hoch, dann schenke ich dir dein Leben.«