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Jules strich sich mit der Hand über das Gesicht. Seine Lippen waren augenblicklich verheilt und die Nase wieder gerichtet. Nur das Blut blieb zurück. »Du wünschst dir, bei ihnen zu sein, nicht wahr?« Er machte eine abfällige Geste in Richtung der Toten.

»Diesen Wunsch werde ich dir nicht erfüllen.« Der Wanderer spuckte Blut und Schleim auf seine Handfläche. Er flüsterte ein Wort, das die Kerzenflammen erzittern ließ. Sein Auswurf verwandelte sich in bleiches Gewürm. Dann blies er über seine Hand, und die Würmer verschwanden.

Guido fühlte einen leichten Schmerz tief hinter seiner Stirn.

»Ich schenke dir dein Leben, Miniaturenmaler, und eine Aufgabe. Du glaubst, ich bin eine Gefahr für meine Kirche? Finde einen Weg, mich aufzuhalten! Doch wenn du von dem sprichst, was heute geschah, dann werden die Würmer in deinem Kopf von deinem Verstand fressen, und du wirst so unerträgliche Schmerzen erleiden, dass du augenblicklich mit Schaum vor dem Mund zu Boden stürzt. Und hebst du eine Hand, um niederzuschreiben, was hier geschah, wird dich nämliches Schicksal ereilen.«

»Was heißt das, deine Kirche?«

»Du begreifst immer noch nicht?« Seine Stimme klang jetzt warm und mitfühlend. Er war wieder ganz zu jenem Jules geworden, den alle Brüder und Schwestern des Refugiums geliebt hatten. »Weißt du, Guillaume war mein Sohn. Und die Elfen hatten seinen Tod beschlossen. Die Geschichte, die dir Luden erzählt hat, stimmt. Es waren nicht die Elfen, die Guillaume in Aniscans ermordeten. Doch ihre Königin hatte seinen Tod befohlen. Und wären ihnen nicht die verblendeten Soldaten König Cabezans zuvorgekommen, sie hätten ihren Befehl ausgeführt. Du kennst sie nicht, die Elfen. In ihren Herzen herrscht eine Kälte, die selbst mich schaudern macht. Sie sind viel schrecklicher, als du sie auf deinen Bildern zeigen kannst. Sie zu vernichten und mit ihnen die ganze Albenbrut, das ist der Sinn meines Lebens. Und meine Kirche wird dabei meine schärfste Waffe sein. Du weißt, ich bin in allen Refugien und Tempeltürmen ein gern gesehener Gast, Guido. Und du ahnst, ich bin kein Mensch. Ich messe mein Leben in Jahrhunderten, und ich werde die Tjuredkirche formen. Vor fünfzig Jahren waren die Elfen für deine Ordensbrüder ohne Bedeutung. Heute hasst ihr sie, weil sie den heiligen Guillaume ermordeten. Sieben meiner Kinder tragen heute das Blau deines Ordens, und sie werden bedeutende Kirchenfürsten werden. Ihr werdet so sein, wie ich euch brauche. Und keiner ahnt es außer dir. Flüchte dich in den Tod, und niemand wird mich aufhalten. Oder lebe und finde einen Weg, der die Würmer in deinem Kopf nicht weckt.«

Er stieß Luciens Leichnam zur Seite. »Letzten Endes habe ich ihnen einen Gefallen getan. Ihr träumt doch alle davon, Märtyrer und Heilige zu werden. Ich denke, ich werde sie in das Licht der Tempelfenster erheben. Die dreißig Märtyrer vom Mons Gabino. Das klingt nicht schlecht, oder? Meine Kirche wird ihre Namen bis ans Ende aller Tage tragen.« Er sah sich um und strich sich über das Kinn. »Man sieht, dass sie die Opfer finsterer Magie wurden. Dies ist wohl eindeutig die Tat ruchloser Elfen.«

»Das werde ich nicht zulassen!«, begehrte Guido auf. »Ich werde allen erzählen ...« Brennender Schmerz ließ ihn aufstöhnen.

»Hatte ich dir gesagt, dass die Würmer in deinem Kopf tatsächlich jedes Mal, wenn du sie weckst, ein klein wenig von deinem Hirn fressen? Sie werden dich zu einem sabbernden Idioten machen, zu dumm, sein Wasser zu halten, wenn du sie allzu oft weckst.«

»Warum tötest du mich nicht einfach?«

»Eine gute Frage. Eigentlich ist es leichtfertig, dich ziehen zu lassen. Vielleicht lebst du, weil sich einunddreißig Märtyrer nicht so gut anhört wie dreißig Märtyrer. Das ist eingängiger. Vielleicht lebst du auch, weil ich ein Spieler bin und ein allzu leichter Sieg keinen Reiz für mich hat.« Jules löste seinen Zauberbann, sodass Guido nun kraftlos zu Boden sank. Noch immer quälte ihn pochender Schmerz. Er presste sich die Hände fest auf die Schläfen und betete.

Als die Qual endlich nachließ und er wieder aufsah, war er allein mit den Toten.

»Er ist nicht tot«

Die Spitze des Schwertes berührte sie leicht an der Kehle. Obilee wich einen Schritt zurück und ließ ihre eigene Waffe sinken.

»Ich lerne es niemals.« Sie hätte das hölzerne Übungsschwert am liebsten gegen die Wand geworfen, doch sie versuchte ihre Gefühle in sich zu verschließen. Rasch blickte sie zur hohen Decke des Fechtsaals, damit die Königin nicht in ihren Augen lesen konnte. Sie beide waren allein in dem riesigen Saal.

Weiches Morgenlicht fiel durch die Fenster und umschmeichelte die Waffen an der gegenüberliegenden Wand. So dicht hingen sie, dass der Marmor der Wand fast völlig hinter dem Stahl verschwand. Es war ein regelrechtes Arsenal, groß genug, um ein kleines Heer auszurüsten. Die Trophäen aus Jahrhunderten der Kriege.

Ganz am Ende dieser Galerie blutiger Erinnerungen schwebte ein Kobold in einem Weidenkorb. Obilee hatte mit dem kleinen Kerl schon ein paarmal gesprochen, konnte sich aber nicht an dessen Namen erinnern. Vielleicht hatte er ihn auch nicht genannt. Kobolde waren, was ihre Namen anging, mitunter recht eigen. Er kannte die Geschichte jeder der Klingen, seien es nun die geflammten Klingen der Elfen aus Langollion, die großen Doppeläxte der Minotauren oder die Stockdegen Arkadiens. Dabei kämpfte er seine ganz eigene Schlacht gegen Staub und Rost. Es war seine Lebensaufgabe, die Waffen blank zu halten, und er lebte in einer winzigen Kammer gleich hinter der Wand. Die verborgene Pforte zu seinem Heim lag hinter einem vom Kampf gezeichneten Drachenschild. Er gehörte zum Fechtsaal wie die Waffen, und er war glücklich, wenn er jemanden fand, dem er von seinen Siegen über den Schmutz, Grünspan und heimtückischen Flugrost erzählen konnte.

»Nimm dir diesen Treffer nicht zu Herzen, Obilee. In einem Kampf mit scharfen Waffen wäre das ein sehr ungeschickter Treffer gewesen.« Die Königin sah sie herausfordernd an. »Du weißt, warum?«

»Weil ein Schnitt durch die Kehle an dieser Stelle die große Ader durchtrennt, durch die das Blut vom Herzen zum Kopf fließt. Das Blut würde aus der klaffenden Wunde spritzen, und es bestünde die Gefahr, dass man Blutspritzer in die Augen bekommt. In einer Schlacht könnte ein Sieg, den ich damit bezahle, kurz geblendet zu sein, meinen Tod bedeuten.«

Emerelle nickte wohlwollend. »Sehr gut. Wenn du einen Angriff gegen den Hals deines Gegners führst, sollte es deshalb ein Stich sein und kein Schnitt. Solche Wunden bluten weniger stark. Ideal ist der Stich direkt unter das Kinn, der durch die Mundhöhle hinauf ins Gehirn führt. Er tötet augenblicklich, ist allerdings nur gut gegen größere Gegner zu führen wie etwa Trolle.«

Obilee überlief ein Schauder. Die kühle Art, in der Emerelle vom Ende eines Lebens sprach, machte ihr zu schaffen. Manchmal hatte sie die Befürchtung, dass die Königin den geheimen Plan verfolgte, sie zu ihrer Schwertmeisterin zu machen. So viele Jahre war Ollowain nun schon verschwunden. Emerelle konnte nicht mehr lange zögern. Die Raubzüge der Trolle wurden immer dreister. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie einen regelrechten Kriegszug ins Windland unternehmen würden, und dann brauchte sie einen Heerführer.

»Du siehst niedergeschlagen aus«, bemerkte Emerelle.

»Nimmst du dir den Ausgang dieses kleinen Geplänkels so sehr zu Herzen, oder ist es etwas anderes, was dich bedrückt?«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich zur Kriegerin berufen bin. Ich bewege mich so ungeschickt ... Und ich weiß nicht, ob ich jemanden töten kann.«

»Vielleicht sind es gerade diese Zweifel, die ich an dir schätze. Eine ritterliche Elfenkriegerin nimmt niemals leichtfertig ein Leben. Wenn deine Ausbildung abgeschlossen ist, dann wird es kein Geschöpf in Albenmark geben, das du nicht zu töten vermagst. Aber deine eigentliche Aufgabe besteht darin, Leben zu schützen. Du wirst für jene eintreten, die sich nicht mit der Waffe verteidigen können. Für viele Jahre wirst du eine fahrende Ritterin sein.