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Schwert und Schild der Wehrlosen, die auf keine andere Hilfe hoffen dürfen als auf die eines Elfen, der sich ihrer Sache annimmt. Du wirst die kälberstehlenden Riesenwelse von Manchukett jagen und selbst mit verbundenen Augen die giftigen Pfeile der Gorgonen aus Nashrapur abwehren können. Du wirst den Ruhm der Elfenvölker mehren, die immer schon das Licht der Unterdrückten waren.«

Wenn Emerelle so redete, konnte Obilee nur an eines denken. Wenn sie fahrende Ritterin wurde, dann würde sie nicht hier sein, wenn der eine zurückkehrte, dem sie ihr Herz verschrieben hatte. Er, dessen rebellische Suche nach der verbannten Magierin Noroelle zu einer Legende unter den Elfenvölkern zu werden begann. Er, der sein Leben der Liebe zu einer anderen gewidmet hatte und der wohl niemals bemerken würde, wie viel er ihr bedeutete.

»Du bist heute weit fort mit deinen Gedanken. Es ist besser, wir beenden die Übungsstunde. Zur Mittagszeit erwartet dich Elodrin von Alvemer. Er hat es immer noch nicht aufgegeben, dich in die höheren Weihen des Falrach-Spiels einführen zu wollen.« Emerelle lächelte milde.

»Verzeih mir. Ich erlaube mir diesen Spott, weil auch ich nicht gegen Elodrin bestehen könnte.« Die Königin knöpfte die gesteppte Weste auf, die sie während jeder ihrer Fechtstunden trug. Sie hätte der Schutzkleidung nicht bedurft. In all den Jahren, in denen sie nun schon die hölzernen Klingen kreuzten, hatte Obilee die Herrin Albenmarks nicht ein einziges Mal getroffen. Die meisten Albenkinder kannten Emerelle nur als ihre unnahbare Königin, doch einst war auch sie eine fahrende Ritterin gewesen, und in den Drachenkriegen hatte sie zuletzt die vereinten Heere der Elfenfürsten angeführt. Noch immer übte Emerelle jeden Tag im Fechtsaal. Sie war eine Meisterin in der Kunst des Schattenfechtens. Obilee hatte ihr oft zugesehen, wenn sie mit der Klinge in der Hand durch den weiten Fechtsaal wirbelte wie eine Tänzerin, die einer Melodie folgte, die nur sie allein zu hören vermochte. Es gab nur eine Hand voll Elfen, denen Emerelle das Privileg gewährte, den Fechtsaal zu betreten, wenn sie dort tief in der Nacht oder während der ersten Morgenstunden übte.

Manchmal fragte sich Obilee, ob die Königin versuchte, Noroelles Platz auszufüllen. Die Elfenmagierin war einst Obilees Freundin und Lehrerin gewesen.

Emerelle schenkte Wasser in einen Kristallkelch und bot ihn ihr an. Ein Schatten glitt durch den Raum, so wie manchmal an hellen Sommertagen die Schatten der Wolken über Land ziehen. Obilee zuckte zusammen. Nach all den Jahren hatte sie sich noch immer nicht daran gewöhnt.

»Wenn Ollowain zurückkehrt, werde ich ihr Gefängnis im Nichts wieder versiegeln.« Die junge Kriegerin blickte zu ihrer Königin auf. Niemand wagte es, Emerelle direkt darauf anzusprechen, doch Ollowain war seit mehr als sieben Jahren verschollen, und auch die Krieger, die man ausgeschickt hatte, um nach ihm zu suchen, waren nie zurückgekehrt. Es gab keine Nachrichten mehr aus der Bibliothek von Iskendria. Dafür machte das Gerücht die Runde, der Hort des Wissens sei vom Nichts verschlungen worden. Wer wusste schon, was in der Zerbrochenen Welt geschah, wenn es den Yingiz sogar gelang, in den Palast der Königin einzudringen.

»Kann denn nur der Schwertmeister die Schatten töten?« Obilee mied es, den Namen der Yingiz auszusprechen, denn sie fürchtete so die Aufmerksamkeit der Schattengestalten auf sich zu lenken.

»Niemand vermag sie zu töten«, entgegnete die Königin in ungewohnter Offenheit. »Nicht einmal die Alben können das. Deshalb haben sie die Yingiz ins Nichts verbannt. Dort können sie kaum Schaden anrichten.«

Obilee sah ihre Königin mit schreckensweiten Augen an. »Wir werden die Schatten also für immer erdulden müssen?«

Emerelle wiegte sanft ihr Haupt. »Ich hoffe nicht. Ich vermag der Yingiz mit meiner Zauberkraft habhaft zu werden. Ich kenne sie. Es sind sieben, die um den Palast ihr Unwesen treiben, und es ist seit mehr als zwei Jahren kein neuer Schatten mehr hinzugekommen. Auch entfernen sie sich nie weiter als ein paar Meilen. Das Licht zieht sie an ... Oder vielleicht bin ich es. Sie verschlingen das Lebenslicht ihrer Opfer, wenn sie mächtig genug werden. Manchmal glaube ich, dass sie es auf mein Lebenslicht abgesehen haben. Dass ich ihre Trophäe bin. Deshalb verlasse ich die Burg nicht mehr.«

Dafür gehen alle anderen, die einen Grund finden, sich davonzumachen, dachte Obilee. Erst letzte Woche hatte Meister Alvias seine Tochter nach Alvemer geschickt. Sie erwartete ein Kind, und der Hofmeister, der sonst zu den Treuesten der Treuen zählte, konnte den Gedanken nicht ertragen, dass der Schatten der Yingiz auf den erblühten Leib seiner Tochter fiel. Er schämte sich für diesen vermeintlichen Verrat, das hatte er Obilee anvertraut. Aber letztlich hatte ihn das nicht davon abgehalten, seiner Tochter die Reise zu befehlen.

»Warum wirfst du die Schatten nicht zurück ins Dunkel, wenn du sie mit deiner Magie zu fangen vermagst, Herrin?«

Emerelle strich mit einem Finger über den Rand des Pokals, den die junge Elfenkriegerin wieder abgestellt hatte. Ganz in Gedanken versunken, lauschte sie dem klagenden Laut des Glases. »Es wäre ein Fehler, sie zurück ins Nichts zu bannen, solange der verlorene Strang im Netz der Albenpfade nicht wiederhergestellt ist. Bis jetzt finden die Yingiz nur zufällig aus ihrem Gefängnis in unsere Welt. Doch was wird geschehen, wenn ich jene zurückschicke, die hier waren? Sie kennen den Weg nach Albenmark. Werden sie ganze Heerscharen hierher bringen? Niemand weiß, wie viele Yingiz es gibt. Sind es genug, um eine ganze Welt in Schatten zu tauchen? Und wächst ihre Macht, wenn sie in großer Zahl kommen? Wenn Ollowai wiederkehrt, dann wird er mir Antwort auf diese Fragen bringen.«

»Und wenn er nicht wiederkehrt? Er ist nun schon so viele Jahre verschwunden.« Niemand hatte es bisher gewagt, dies in Gegenwart der Königin offen auszusprechen. Man stellte Emerelles Entscheidungen nicht in Frage, es sei denn, man war bereit zu riskieren, in die Verbannung geschickt zu werden. Doch hatten jene, die den Schatten zum Trotz noch im Palast ausharrten, nicht ein Recht darauf zu erfahren, wie es weiterging? Manche munkelten schon, Emerelle habe sich immer noch nicht von den schweren Verletzungen erholt, die sie in Vahan Calyd erlitten hatte. Fast einen Winter lang war sie bewusstlos gewesen, und manche waren der Meinung, sie sei auch jetzt noch wie erstarrt.

»Er wird zurückkehren«, sagte Emerelle leise und in sich gekehrt.

»Aber wie kannst du dir da so sicher sein?« Die Königin sah auf, und ihr Blick war wie der einer Sphinx, undeutbar und geheimnisschwanger. Es war unmöglich, an ihren Augen abzulesen, was sie wohl denken mochte. »Du wagst dich weit vor.«

Obilee presste die Lippen zusammen. Jemand hatte diese Frage stellen müssen. Sie würde sich nicht dafür entschuldigen, es getan zu haben.

»Er ist nun seit sieben Jahren, zwei Monden und dreizehn Tagen fort.« Die Königin lächelte scheu. »Und siebzehn Stunden. Niemand in ganz Albenmark erwartet seine Rückkehr so wie ich.«

Die junge Elfe war überrascht, ja fast erschrocken. Es war nicht Emerelles Art, so offen zu sein. Noch nie hatte Obilee erlebt, dass ihre Herrin ihre Gefühle verriet.

Die Königin legte ihre Rechte auf die Brust, dort, wo ihr Herz schlug. »Ich kann ihn fühlen.« Ihr Blick wurde nun weicher.

»Ich weiß, dass er lebt, auch wenn ich nicht in Worte zu fassen vermag, warum es so ist. Ich spüre ihn. Seine Gedanken. Sein Wesen.« »Ist es seine Seele, die du an dich gebunden hast?«, fragte Obilee erschrocken.

Jetzt lachte Emerelle. »Nein. Vielleicht hat er einen Teil meiner Seele mit sich genommen. Vor Jahrhunderten schon.«

»Ihr wart einst ein Paar?«, fragte Obilee, alle Etikette vergessend.

»Vor sehr langer Zeit. Er gab sein Leben für mich. Seitdem warte ich auf ihn.«

»Und er wurde erst so spät wiedergeboren? Oder hat er dich...«

Emerelle senkte den Blick. »Ich hoffe noch darauf.«

Die junge Elfe verstand. Emerelle hatte bei Hof ihre Gefühle gegenüber Ollowain bislang gut verborgen. Doch nun erschien manches in einem neuen Licht. Der schnelle Aufstieg Ollowains hatte wohl nicht allein mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten zu tun. Und seine Treue gegenüber Emerelle, die schon legendäre Züge annahm, bekam einen tragischen Beiklang. Ahnte seine Seele etwas, das sich seinen Gefühlen nicht erschlossen hatte? Gab es ein Gedächtnis der Seele, das mit Erinnerungen nichts zu tun hatte, aber dennoch das Leben bestimmte? Man sprach einen Wiedergeborenen nicht auf seine alten Bande an. Dies gehörte zu den ungeschriebenen Gesetzen unter allen Elfenvölkern. Die Verbliebenen erwarteten jene, die sich wieder in Fleisch kleiden würden, weil sie nicht den Weg ins Mondlicht gefunden hatten, aber man beschwerte das Leben der Wiedergeborenen nicht mit ihrer Vergangenheit. Und unter Liebenden war es auch oft so, dass man wieder erkannt werden wollte. Dass man darauf hoffte, die Liebe sei etwas Unsterbliches. Meist erinnerten sich die Wiedergeborenen jedoch nicht an ihr früheres Leben. Sehr selten vernahm man Geschichten um eine Liebe, die den Tod überdauerte, auch wenn ein Abgrund aus Jahrhunderten das Paar trennte. Nur wenn zwei Seelen sich so nahe gekommen waren, dass sie wie eine wurden, dann konnten sie wieder zueinander finden, so hieß es.