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Die Königin hatte sich erhoben und deutete mit dem Übungsschwert auf sie. »Steh auf, Obilee. Ich möchte dir noch eine Lektion erteilen, bevor ich in den Thronsaal zurückkehre.«

Friedlos

»Ich lasse das Gift der Melancholie zu Tinte werden und banne es auf ein Stück fein gegerbte Rindshaut, wenn ich dir schreibe, mein verlorener Freund. Mir wird die Brust eng um mein Herz, wenn ich an dich denke, Ollowain. Fünfzehn Jahre sind verstrichen, seit ich dich das letzte Mal sah, in jenem Winter des Blutes, den die Skalden heute poetisch Elfenwinter nennen. Ich denke oft an dich, mein Freund. Manche sagen, du seiest tot. Doch ich kann mir keinen Gegner vorstellen, der dich hätte bezwingen können, Schwertmeister. Für mich bist du immer so unbesiegbar geblieben, wie du es als mein Fechtmeister warst, in jenen fernen Tagen, als ich ein Kind war und allein am Hof von Albenmark. Der einzige Mensch in einer fremden Welt. Und du warst damals mein einziger Freund. Auch denke ich oft an die Jahre, als wir gemeinsam mit meinem Vater nach Noroelles Sohn suchten. Heute könnte ich ihn wohl besser verstehen, jenen Mandred Torgridson, der mich, seinen Sohn, an die Elfenkönigin verschenkte. Das Fjordland ist aus der Asche des Krieges wieder auferstanden. Es ist ein starkes Königreich. So stark, dass unsere Nachbarn über uns spotten und sagen: Alle Königreiche hätten einen Heerhaufen, der ihm dient, so wie es sich gehört, nur das Fjordland nicht. Dies sei ein Heerhaufen mit einem Königreich, das ihm dient. Ich wünschte, es wäre anders! Doch die Trolle lassen uns nicht in Frieden. In jedem Frühling kommen sie aus dem eisigen Norden. Sie rauben Vieh, brennen einsame Gehöfte nieder und schlachten die Bauern. Dir brauche ich nicht zu sagen, was sie mit ihnen tun. Wir haben es beide gesehen.

Mein Leben ist einsam ohne dich, mein Freund. Dies mag seltsam klingen, bin ich doch als König fast immer von Leuten umgeben. Aber einen Freund wie dich habe ich nie wieder gefunden. Du hast in meinem Herzen eine Lücke hinterlassen. So wie Kadlin und Asla, die ich nicht vor den Trollen retten konnte. Manchmal stehe ich oben auf dem Hartungskliff zwischen den verzauberten Steinen. Besonders in Nächten, in denen das grüne Feenlicht über den Himmel zieht und das Land unter dem Leichentuch des Winters liegt. Dann flüstere ich dort deinen Namen. Und ich hoffe, dass sich das magische Tor öffnet und ich nach Albenmark zurückkehren kann. Meinen Sohn Melvyn habe ich nie gesehen. Ich habe ihm angetan, was mir mein Vater angetan hat. Ich habe ihn allein in der Fremde aufwachsen lassen. Silwyna erzählt nur wenig von ihm. Sie ist bei mir geblieben. Das hättest du nicht gedacht, nicht wahr? Ich selbst kann es oft nicht fassen. Natürlich ist sie mir nach Art der Maurawan treu geblieben. So wie eine Katze, die sich einen Menschen erwählt, bei dem sie bleibt. Manchmal verschwindet sie für viele Wochen auf ihre Streifzüge, und dann erwache ich eines Morgens, weil sich ihr warmer Leib an meinen Körper schmiegt. Sie kommt immer zurück. Ich weiß, auch du wirst zurückkehren, mein Freund. Ich wünsche es mir so sehr. Du wirst einen alten Mann finden. Vielleicht auch nur noch ein Grab. Aber aus dem Grab werden meine Briefe zu dir sprechen. Setz dich oben auf das Hartungskliff zwischen die Elfensteine, wenn du sie liest. Und lausche auf den Wind. Dort werde ich dir nahe sein, auch wenn mein Leib längst Staub geworden ist. Die Zeit ist ein trügerischer Freund, Schwertmeister. In meiner Jugend hat sie mir fast jeden Tag ein Geschenk gemacht. Doch nun ist sie zum Dieb geworden. Jeden Tag nimmt sie etwas von mir mit. Und nicht mehr lange, und ich werde ganz verschwunden sein. Meine Leute nennen mich Elfensohn oder auch Elfenkind. Aber wie ein Elf bin ich nie geworden. Ich habe nie das Geheimnis ergründet, wie man sich die Zeit zum ewigen Verbündeten macht. Das Zauberwort, das einen davor bewahrt, dass sie zum Dieb der Jahre wird.

Eine Geschichte muss ich dir noch erzählen, bevor die Kerze niedergebrannt ist und nur noch das kalte Feenlicht am Himmel bleibt. Sie wird dich schmunzeln lassen, das weiß ich. Mein Sohn Ulric ist ein Krieger geworden. Ein Mann, der seinen Vater mit Stolz erfüllt. Er trägt Weiß als seine Farbe, wie du, und er ist schön wie ein Elf. Meine Leute fürchten ihn, doch davon möchte ich jetzt nicht reden. Es ist eine merkwürdige Eigenart der Menschen, von der ich dir berichten möchte. Sie lässt Silwyna und Ulric zu einer Person verschmelzen. Nur ein paar Tagesritte von Firnstayn entfernt erzählt man sich, du wärst immer noch an meiner Seite, mein Freund. Sie nennen dich Ollowyn, und sie sagen, dass du bei jedem Kampf an meiner Seite seiest. Dabei ist es Ulric, der neben mir reitet. Ich mache mir Sorgen um ihn. Manchmal ist es, als gebe es ihn gar nicht. Sei ihm ein Freund, wie du mir ein Freund warst, falls ich bei deiner Rückkehr nicht mehr hier bin. Er wird dich brauchen.

Nun werde ich mein Pferd satteln lassen und mich auf den Weg hinauf zum Hartungskliff machen. Ich werde Blut mitnehmen. Erinnerst du dich noch an ihn? Den großen hässlichen Hund, der Ulric und Halgard gerettet hat und auch Yilvina. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Diebin Zeit sich vor seinen langen Fängen fürchtet. Er ist immer noch stark, auch wenn er längst eine graue Schnauze bekommen hat. Blut begleitet mich oft. Und manchmal, wenn sich die Pforten der Geisterwelt öffnen, sehe ich meine kleine Kadlin auf ihm reiten, und ich höre sie lachen. Das Hartungskliff ist ein guter Ort, um den Geistern nahe zu sein. Wenn ich dort allein bin und dem Wind lausche, höre ich manchmal Flötenspiel. Vielleicht spielt Xern auf seiner Hirtenflöte im Schatten der alten Eiche Atta Aikhjarto. Ich weiß, die beiden sind nur einen Schritt entfernt und doch so unerreichbar für mich, wie du es bist, mein Freund. Jedes Mal, wenn ich hinauf zum Kliff reite, hoffe ich, das Tor wird sich öffnen, und du wirst mir entgegentreten. Wenn Luth es so gefügt hat, werden wir uns also schon in wenigen Stunden begegnen. Das Land hat deine Farbe angelegt, Ollowain. Und falls ich dich wieder einmal nicht treffen sollte, dann wird mir der eisige Winterwind vielleicht meine Sehnsucht aus der Seele schneiden.«

XXIII. Brief des Königs Alfadas
An den Elfen Ollowain,
vertrauliches Dokument, Truhe 9,
Eichengewölbe der Bibliothek zu Firnstayn

Die Jägerin

Kadlin blickte fassungslos auf die Stadt am Fjord. Als sie vor fünf Tagen Sunnenberg erreicht hatten, war sie schon überwältigt gewesen; niemals hätte sie gedacht, dass so viele Menschen so dicht beieinander leben könnten. Doch der Anblick von Firnstayn war noch viel überwältigender. Sie versuchte zu schätzen, wie viele Häuser, Hüten und Bootsschuppen dort unten am Ufer standen. Es mussten mehr als fünfhundert sein! Wie viele Menschen mochten dort leben? Fünftausend? Oder noch mehr? Wie eine große Rentierherde. Doch die Rentiere mussten von Weide zu Weide wandern. Wie schafften es so viele Menschen auf Dauer, an einem Ort zu leben und nicht zu verhungern? Ein hoher Erdwall mit einer hölzernen Palisade umgürtete die Stadt. Und wie eine Krone erhob sich eine weite Festhalle über der Siedlung. Die Halle des Königs. Dort musste der legendäre Alfadas leben. Der Elfensohn, wie sie ihn auch nannten. Er hatte die Trolle vertrieben, nachdem sie fast das ganze Land verwüstet hatten. Und er hatte das Königreich aus der Asche wieder auferstehen lassen und zu neuer Größe geführt.

Seit ihrer Kindheit hatte Kadlin unzählige Male gelauscht, wenn die Jäger abends an den Feuern saßen und von ihrem König erzählten. Alfadas! Sein Name hatte sie immer berührt. Er weckte einen süßen Schmerz in ihr, eine Sehnsucht danach, ihm nahe zu sein und ihm zu dienen.

Sie erinnerte sich noch genau an einen nebligen Herbsttag, an dem die Wolken in die Täler hinabgestiegen waren und die Elfe Silwyna sie besucht hatte. Beim Anblick ihres Bogens hatte Kadlin beschlossen, eine Jägerin zu werden. Der König brauchte immer Jäger, um seine vielen Krieger mit frischem Fleisch zu versorgen. Auch Silwyna war eine Jägerin. Ein- oder zweimal im Jahr, meist im Frühling und im Herbst, kam sie, um ihre Eltern zu besuchen, mit denen sie sich angefreundet hatte. Sie war auch die Bettgefährtin des Königs. Bei ihrem ersten Besuch war Kadlin nicht einmal stark genug gewesen, um einen Bogen zu spannen. Die junge Frau lächelte. Seitdem war viel Zeit vergangen.