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Sie brauchten das Fleisch, das sie hier bekommen würden, um ihre Krieger bei Laune zu halten und tiefer ins Windland vorzustoßen.

Melvyn hatte seine Zweifel, ob das Bündnis in der Lage war, die Trolle aufzuhalten. Er hatte ihr Heer im Süden der Snaiwamark gesehen. Ihre Krieger waren so zahlreich wie die Büffel in den Grasmeeren des Windlands. Die Truppen, die Elodrin von Alvemer unter seinem Kommando versammelt hatte, waren ein jämmerliches Häufchen im Vergleich zum Heer der Trolle. Außerdem war Elodrin eigentlich ein Flottenkommandant. Wahrscheinlich würde er versuchen, die Trolle daran zu hindern, den Mika zu überqueren. Doch selbst wenn ihm das gelang, würde er Feylanviek damit nur Zeit bis zum Winter erkaufen, bis der breite Strom zufror. Dann gab es nichts mehr, was ihre Feinde aufhalten würde. Selbst wenn der König der Trolle nur ein unerfahrener Knabe war, war es unmöglich, mit einer solchen Übermacht zu verlieren.

Melvyn spannte sich und blickte über die Dächer der dem Untergang geweihten Stadt. Alle hier kannten das Schicksal von Vahan Calyd und auch von Reilimee, zwei Städten, in denen die Trolle ihren Zorn ausgetobt hatten. Heute waren es nur noch Ruinenfelder. Dabei war Reilimee sogar stark befestigt gewesen.

Der Halbelf lächelte. Es war unvernünftig, hier zu sein, auf dem Balkon, um alles für eine aus einer Laune heraus geborene Leidenschaft zu riskieren. Ebenso unvernünftig, wie hier in einer Stadt zu verweilen, die dem Untergang geweiht war. Der Kampf um Feylanviek war aussichtslos. Aber er hatte immer schon einen Hang dazu gehabt, Unvernünftiges zu tun. Seit Jahren kämpfte er mit seiner Schar gegen jene Trolle, die in die Wälder am Fuß der Slanga-Berge eindrangen, um Holz für ihre schwarze Flotte zu schlagen. Seit die Trolle dazu übergegangen waren, in regelrechten Horden in den Wald einzufallen, konnte er ihnen nur noch Nadelstiche versetzen. Aber das war kein Grund aufzugeben! Deshalb war er hier. Und die Tatsache, dass Elodrin ihn und seine Männer mit Freuden in das Bündnis aufgenommen hatte, war ein Zeichen dafür, wie verzweifelt die Lage war. Melvyn wusste sehr wohl, dass die verbündeten Elfenfürsten sie abfällig eine Räuberbande nannten. Sollten sie nur! Keine ihrer stahlschimmernden Hausgarden hatte den Trollen so viele Kämpfe geliefert wie sein Räuberhaufen. Und allein darauf kam es an, wenn man auf dem Schlachtfeld überleben wollte.

Die safrangelben Seidenbahnen in der Schlafzimmertür lockten Melvyns Blick. Sie bewegten sich in der leichten Brise, die aus den Weiten des Windlands über die Stadt zog. Sie winkten ihm zu. Wenn der Tod so nahe war, dann sollte jede freie Stunde der Liebe gehören.

Lautlos trat er zur Tür. Eigentlich hätte er sich keine Mühe geben müssen, leise zu sein; das Lied der Wasserräder am Staubecken übertönte jedes Geräusch. Das fallende Wasser und die hohlen Holzrohre, die von der Bewegung der Räder in Schwingungen versetzt wurden, spielten eine beruhigende Melodie, die selbst in tausendfacher Wiederholung noch dem Ohr schmeichelte. Sie übertönte auch die Geräusche der Schmiede, die in dem großen Wehr untergebracht war. Melvyn hatte den Ort einmal besucht. Er war unheimlich. Rauch und Sprühwasser raubten einem die Sicht. Es herrschte bedrückende Enge, denn die Schmiede mochte für Kobolde zwar geräumig sein, doch Elfen mussten dort geduckt gehen. Über schmale Balkenpfade, gesichert nur mit einem Seil als Handlauf, konnte man über die großen Schmiedehämmer hinwegsteigen, die durch die Kraft des Wassers bewegt wurden. Dort fertigten die Grobschmiede der Kobolde den Feystahl, den die Elfenschmiede zum Silberstahl veredelten.

Dass die Fürsten von Arkadien so nahe bei einer Koboldschmiede einen Palast unterhielten, war ungewöhnlich. Gewöhnlich mieden die Edlen des Elfenvolkes solchen Lärm. Aber die Fürstenfamilie von Arkadien galt immer schon als sonderbar, und Shandral trieb dieses obskure Verhalten bis auf die Spitze. Nachdem nie geklärt werden konnte, was mit seinem Onkel Shahondin geschehen war, der während der Kämpfe um Vahan Calyd spurlos verschwunden war, traute Shandral keinem anderen Edlen Arkadiens mehr. In seiner Leibwache gab es keinen einzigen Elfen. Sie bestand vollständig aus Kobolden. Er hatte seine Krieger aus dem Volk der Spinnenmänner rekrutiert. Wer denen über den Weg traute, musste schon wahnsinnig sein. Wahrscheinlich hatten ihm die dunklen Zauber, die Alathaia ihn lehrte, den Verstand verdreht. Er war es nicht wert, solch eine hübsche Frau zu haben. Leylin war hier so fehl am Platze wie eine Rose in einem Distelbeet.

Melvyn strich die Safranvorhänge zur Seite und hielt inne. Der zarte Seidenstoff verströmte einen betörenden Duft von Myrrhe und Rosenöl. Drei Lampen tauchten das große Schlafgemach in aquamarinfarbenes Licht. Letzte Klümpchen von Holzkohle glommen in einer kupfernen Feuerschale.

Der Halbelf verharrte; ein Schatten, umspielt von Safran. Das Nachtlager von Shandral und Leylin war nur zwei Schritte entfernt. Sie lagen unter einem blutroten Seidentuch, auf das ein Muster aus goldenen Schlangen gedruckt war. Beide waren nackt. Shandral hatte helle Haut von der Farbe alten Elfenbeins. Sein Leib war drahtig, nicht sonderlich muskulös. Es war nicht zu übersehen, dass er kein Krieger war. Das Laken war um seine Hüften geschlungen. Er hatte sich zur Seite gedreht, von Leylin abgewandt.

Die Elfe lag auf dem Rücken. Ihre Haut hatte einen zarten Alabasterton. Das lange Haar umgab sie wie eine Decke, gewoben aus Finsternis. Die Tusche um ihre Augen war verlaufen, als habe sie geweint.

Sanft erhoben sich ihre kleinen Brüste aus der Flut der Haare, gekrönt von zarten Knospen. Wovon mochte sie wohl träumen? Melvyn bemerkte die Verfärbungen. Ein Muster dunkler, ineinander verlaufender Flecken rahmte ihre linke Brust. Auf der Innenseite ihrer Schenkel sah er ähnliche Flecken. Er ballte die Fäuste. Shandral sollte einen Unfall haben!

Im selben Moment, indem er das dachte, schlug sie die Augen auf. Obwohl sie ihn geradewegs ansah, zuckte sie nicht zusammen. Sie blinzelte. Lange sah sie ihn schweigend an. Shandral reckte sich unruhig.

»Geh!«, bedeutete sie ihm in Zeichensprache. »Er wird dich töten, wenn er erwacht.« Melvyn hob die Hände, sodass Leylin sie gut sehen konnte. »Ich gehe nur mit dir.«

»Ein Laut von ihm, und die Wachen kommen. Bitte geh! Er würde dich in die Schmiede schaffen lassen ...« Welch einen besonderen Schrecken die Schmiede haben sollte, verstand Melvyn nicht. »Ich fürchte nicht den Tod. Zwei Tage habe ich dich nun nicht gesehen. Welchen Schrecken hat der Tod, wenn das Leben mein Herz verbrennt?«

Sie lächelte traurig. »Ich kenne deinen Ruf.«

»Aber kennst du deshalb mich?«

»Was willst du hier?«

Nun lächelte er. »Dich holen«, antworteten seine Hände.

»Das Haus ist voller Wachen. Du bist verrückt! Wir kämen nicht einmal bis zur Treppe.«

»Ich habe einen Wolkentaucher zum Freund. Und ja, ich bin verrückt. Verrückt in meiner Liebe zu dir.«

Ihre Augen schimmerten. »Ich kenne dich. Geh!«

»Und wenn es Lügen wären, die man über mich erzählt? Man nennt mich auch einen Räuber, und doch bin ich hier, um für die Freiheit von Feylanviek zu kämpfen. Welchen Gewinn hätte ein Räuber davon?«

Sie schüttelte sanft den Kopf. Zugleich glaubte er ihrer Miene zu entnehmen, dass sie sich wünschte, die Worte, die seine Finger ins Dunkel zeichneten, seien wahr.

Shandral bewegte sich unruhig im Schlaf. Er gab einen gurrenden Laut von sich. Ein Wort in einer fremden Sprache? Etwas an diesem Ton war Ekel erregend. Melvyn strich über die Wülste seiner breiten Armschienen. Er könnte Shandral binnen eines Atemzuges töten. Doch als Mörder eines Elfenfürsten wäre er für immer geächtet. Emerelles Häscher würden ihn finden, das wäre nur eine Frage der Zeit. Shandrals Wunden würden verraten, wer ihn getötet hatte. Natürlich könnte er den Fürsten auch mit dem Seidenlaken erdrosseln. Doch dann würde der Verdacht auf Leylin fallen. Und vielleicht würde sie auch gar nicht zusehen, wie er ihren Gatten ermordete, sondern die Wachen rufen. Melvyn kannte den Ruf der Spinnenmänner. Er würde dieses Haus nicht lebend verlassen, wenn sie ihn hier entdeckten.