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Sie nahm den Leinenschal und wickelte ihn sich straff um ihre Brüste. Nun würde niemand mehr die verräterischen Knospen sehen. Vorsichtig streifte sie erneut das Kleid über. Verliebt darin, ihn zu berühren, strich sie den blauen Stoff glatt. Sie nahm ihren braunen Gürtel und schnallte sich ihn um die Taille. Dann zog sie das Jagdmesser aus dem Astloch und schob es zurück in Scheide. Schließlich warf sie sich den Köcher über die Schulter, nahm den Bogen und ihr altes Lederhemd und trat hinter dem Vorhang hervor.

Der Händler sah sie und stöhnte auf, als habe er einen Fausthieb in den Magen bekommen. »So geht das nicht. Man trägt kein Kleid auf einer Hose. Das sieht ja aus wie ...« er breitete die Arme aus. »Das sieht aus wie ... Wie eine Rose auf einem Kuhfladen!«

Björn lachte schallend. »Nein! Sie sieht aus wie eine Wildkatze, die sich in eine Kleidertruhe verirrt hat. So passt das Kleid zu ihr.«

Kadlin ballte die unverletzte Faust. Einen Atemzug lang war sie versucht, dem ungehobelten Kerl einen weiteren Haken zu verpassen. Aber wenn sie noch einmal so zuschlug wie heute Morgen, dann würde sie dem Bogenschützenwettkampf nur noch als Zuschauerin beiwohnen können.

»Wollen wir gehen?«, fragte sie kühl.

»Wohin immer du willst, meine Schöne. Ich würde dir mit Freuden bis ans Ende der Welt folgen.«

»Du hast Glück, vorerst will ich nur bis zum Schützenplatz am anderen Ende der Stadt.«

»So? In diesem Aufzug?« Er schüttelte den Kopf. »Das geht nicht!«

»Warum?« Sie war stehen geblieben und stemmte trotzig die Hände in die Hüften. »Bist du jetzt doch derselben Meinung wie der Krämer?«

»Du wirst sie völlig verrückt machen, die anderen Bogenschützen. Sie werden dich angaffen. Du wirst ihr Blut in Wallung bringen. Sie ..,«

»Ich denke, ich sehe aus wie eine Wildkatze, die durch eine Kleidertruhe getollt ist?«

Björn lächelte verzweifelt. »Ich wollte dich damit nicht beleidigen. Jeder Jäger bewundert die Wildkatzen, ihre Schönheit und die gleitende Anmut ihrer Bewegungen.«

Kadlin hielt ihm ärgerlich die bandagierte Hand entgegen.

»Von der Anmut meiner Bogenkünste hat dein Kinn nicht viel übrig gelassen. Mir ist es nur recht, wenn ich die anderen durcheinander bringe. Das ist Luths gerechter Ausgleich dafür, dass ich mit der gleichen Anmut schießen werde, mit der ein besoffenes Pferd durch einen Apfelhain taumelt.«

Vereinte Seelen

Jules ließ sich auf dem großen Felsblock inmitten der Lichtung nieder. Die Ordensbrüder und -schwestern waren niedergekniet, eine Bewegung vollkommener Harmonie. Sie alle hatten im gleichen Augenblick die Knie gebeugt und ihre Köpfe gesenkt. Da kauerten sie nun im Gras, stolz und demütig zugleich.

»Sie wären gute Krieger«, flüsterte Michel. »Nie zuvor habe ich solche Disziplin gesehen.« Der rothaarige Krieger hatte sich Jules vor drei Tagen ungefragt angeschlossen. Er war einer jener anstrengenden Menschen, die zu allem eine Meinung hatten und stets uneingeforderte Ratschläge auf den Lippen trugen. Wie eine Klette hing er an seiner Kutte.

Michel hielt sich für einen bedeutenden Krieger. Dabei war er spindeldürr. Das Leben in den Heerlagern hatte ihn ausgezehrt. Ständig kratzte er sich, und auf seiner linken Wange wucherte eine Hautkrankheit, die ihre grindigen Finger den Hals hinabstreckte und unter dem dünnen Schal verschwand, der Michels geschundenen Nacken vor dem scheuernden Kettenhemd schützte. Jules musste ihn nur ansehen, dann begann es auch ihn zu jucken.

Michel Sarti hatte wohl keine Ahnung, dass er ihn schon am ersten Abend erkannt hatte. Vor ein paar Jahren noch hätte er den Krieger sofort getötet, aber inzwischen war der ehemalige Söldnerhauptmann zu einem Opfer des Friedens geworden. Der Schlächter von Avron, der Blutfürst von Ruonnes, war heute nur mehr ein groteskes Zerrbild dessen, was er einmal gewesen war. Aber in ihm brannte noch immer ein Feuer. Michel war nach wie vor von der festen Überzeugung durchdrungen, zu Großem berufen zu sein, auch wenn ihm seine Söldner längst davongelaufen waren, weil ihn das Glück verlassen hatte.

Jules bedachte ihn mit einem Lächeln, das Michel wieder einmal als wohlwollend missverstand. Das Schicksal schlug manchmal seltsame Kapriolen. Ein Mann voller fanatischer Leidenschaft, in dem das Lebenslicht trotz aller Rückschläge noch stark brannte, kam ihm jetzt sehr gelegen. Seit dem ersten Abend, an dem sie sich begegnet waren, lag Michel ihm in den Ohren, dass der Orden sich bewaffnen müsse. Er brauche Schwert und Schild, um sich vor den Unwägbarkeiten der Adelspolitik zu schützen. Der Tjuredglaube wuchs über die Grenzen der Königreiche hinaus. Er brauchte Streiter, die nicht einem Herrscher unterstanden, sondern allein der Kirche. Die Idee war bestechend, fand Jules. Doch die Gründung eines solchen Ordens würde er gewiss nicht in die Hände von Michel legen.

Der Wanderer verabscheute Fanatiker. Er war auf sie angewiesen, denn sie waren überaus nützlich bei der Verbreitung des Tjuredglaubens. Vor fünfzehn Jahren hatte er die Kirche fast vernichtet. Drei Refugien waren seinen Versuchen, die Shi-

Handan zu erschaffen, zum Opfer gefallen. Mehr als hundertfünfzig Ordensbrüder und -schwestern waren damals umgekommen. Und es hatte ihm nichts gebracht außer Zweifeln. Die junge Kirche aber hatte der Aderlass in eine tiefe Krise gestürzt. Niemand zweifelte daran, dass diese Bluttaten grausame Racheakte der Elfen waren; schließlich hatten die heimtückischsten der Albenkinder ja auch den heiligen Guillaume ermordet. Aber in ihrer Angst hatten viele Priester die Ordenshäuser verlassen. Sie hatten das Gefühl, sie seien nirgends mehr sicher, es sei denn, sie schworen ihrem Gott Tjured ab.

Es war mühsam gewesen, diese Angst zu bekämpfen. Zu allem Übel war auch noch ein Krieg zwischen Angnos und Fargon ausgebrochen, und die Söldnerhorden beider Seiten hatten mit großer Hingabe die Refugien der Tjuredpriester geplündert. Jules sah den Krieger an seiner Seite an. Er war der Grausamste von allen gewesen. Sich jetzt bußfertig zu geben und darauf zu spekulieren, einen Kriegerorden innerhalb der Kirche anführen zu können, war geradezu tolldreist. Wäre er militärisch begabter gewesen oder zumindest aufrichtig vom Glauben an Tjured durchdrungen, vielleicht hätte er Michel Sarti dann tatsächlich mit dieser großen Aufgabe betraut. Aber so wie die Dinge standen, war es besser, ihn auf andere Weise im Dienst der Kirche einzusetzen.

Jules Finger gruben sich in das dicke Moospolster auf dem grauen Felsblock. Er streichelte über die gewundenen Spiralmuster, die tief in den Stein eingegraben waren. Die Lichtung lag nicht weit vom Refugium des heiligen Lucien, einer Neugründung, die noch keine zehn Jahre alt war. Es war eine von drei Niederlassungen der Kirche, in denen Jules seinen Einfluss nutze, um die Ordensbrüder auf einen neuen Weg zu führen. Das Refugium lag tief im Wald, weit abgelegen von jeder Siedlung. Regelmäßig war er in den letzten Jahren hierher gekommen, um die Fortschritte der Brüder und Schwestern zu beobachten.

»Erhebe dich, Bruder Sebastien. Ich hasse es, einen Freund knien zu sehen.« Alle Brüder und Schwestern erhoben sich zugleich, als der Abt aufstand. Sebastien war ein großgewachsener Mann mit breiten Schultern. Auch er war Krieger gewesen. Jules fand es sehr zweckmäßig, ehemalige Hauptleute zu Äbten zu machen. Wer eine Schar Kämpfer unter Kontrolle halten konnte, der war auch in der Lage, ein Refugium zu leiten. Stets achtete er allerdings darauf, dass die ehemaligen Krieger auch wirklich vom Glauben an Gott durchdrungen und willens waren, nun seine Soldaten zu sein.

»Jeder von euch weiß, was ich erwarte?« Seine Stimme klang wie die eines besorgten Vaters, dessen liebster Sohn sich aufmachte, eine gefährliche Reise anzutreten. Er hatte diesen Tonfall sorgfältig einstudiert. Die Fehler von vor fünfzehn Jahren würde er nicht noch einmal begehen. Die Ereignisse in Albenmark entglitten ihm langsam. Diesmal musste es gelingen! Die Trolle waren allzu stark geworden. Wenn er nicht eingriff, würden sie Emerelle besiegen, und der Krieg wäre in wenigen Monden vorüber. Er musste dafür sorgen, dass die übrigen Albenkinder sich mit mehr Elan auf die Seite der Königin schlugen. Er wollte einen Krieg, der Albenmark ausblutete und zuletzt zerstörte. Und dazu brauchte er die Shi-Handan.