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»Weil sie eine Diebin ist. Dieben hackt man die Hand ab«, klang es von einem anderen Baum. »Wir sind ehrliche Leute. Mit solchem Gelichter haben wir nichts zu schaffen.«

»Ich bin Ollowain, der Schwertmeister der Königin, und kein Scharfrichter!«, sagte er stolz. Sollten sie ihm doch gestohlen bleiben! Im Elfenpalast am Hügel würde ihm gewiss geholfen werden.

»Da findest du niemanden mehr«, rief eine keckernde Stimme. »Sie sind alle in den Norden gegangen, um für die Königin zu kämpfen. Der Krieg blutet das Land aus. Die Elfen haben viele von unseren Söhnen mitgenommen. Ihnen mit schönen Worten von Ruhm und Heldenmut die Köpfe verdreht.« Und viel leiser fragte er: »Sind sie schon da?« Ein winziger Kobold erhob sich vor ihm und kletterte auf einen schneeweißen Pilz. Er hatte sich ein Büschel Gras auf den Rücken gebunden, sodass er, wenn er sich bückte, eins wurde mit der blumenübersäten Waldwiese.

Ollowain überging die Frage des Mauslings. »Stell dir vor, deinem Sohn würde es in der Fremde so ergehen wie dieser Lutin hier. Verletzt und hilfsbedürftig würde ihn ein Kamerad von Tür zu Tür tragen ...«

»Spar dir dein hohles Geschwätz, Elf. Ich habe keinen Sohn in der Fremde. Und ich habe so viel Elfenpathos zu hören bekommen, dass meine Ohren für immer taub dafür geworden sind.«

Er sprang von der Pilzkappe und winkte. »Komm, ich bring dich zur Flusshexe. Sie kann der Lutin helfen.«

Ein einzelner Faun zeigte sich halb hinter einem Baum, wagte sich aber nicht zu ihnen herüber.

»Was ist hier los?«, drängte Ollowain. »Ich bin der Schwertmeister. Ich sorge dafür, dass euch Gerechtigkeit widerfahren wird.«

Der Mausling verzog die Lippen zu einem schmerzlichen Lächeln. »Wie sollte ich Gerechtigkeit von einem Mann erwarten, der mir nicht einmal die Wahrheit über sich erzählt. Ich kenne den Schwertmeister. Ich habe ihn ein paarmal bei Hof gesehen, und glaube mir, Fremder, du hast nichts mit ihm gemein. Im Übrigen ist es nicht klug, von sich zu behaupten, man sei ein Held, der schon seit vielen Jahren tot ist. Die Trolle haben sich Ollowain geschnappt. Jeder weiß, dass Albenmark längst seinen besten Heerführer verloren hat.«

Ollowain traute seinen Ohren nicht! Er ein Gefangener der Trolle ... Der Schwertmeister war einen Augenblick versucht, dem Mausling seine Meinung zu diesem Unsinn zu sagen. Doch es war klüger zu schweigen. Schließlich hatte er keine Ahnung, was in der langen Zeit seiner Abwesenheit geschehen war. »Welch eine Tragödie für Albenmark«, sagte er lediglich und bemühte sich, dabei nicht ironisch zu klingen.

Sie hatten den lichten Wald verlassen und steuerten auf den Wall aus Schilf zu, der sich am Ende der Wiese erhob. Eine Rohrdommel sang ihr trauriges Lied in der Hitze des Spätnachmittags. Der Mausling war verstummt. Ängstlich sah er sich um. »Komm, nimm mich zu dir auf den Arm, Lügenmeister!«, forderte er überraschend. »Hier am Waldrand gibt es ein Frettchen, das sich nicht mehr an den alten Pakt zwischen unseren Völkern hält. Es frisst Mauslinge, als seien wir irgendwelche unbedeutenden Feld-oder Wiesenmäuse.«

Ollowain nahm den verbitterten Kobold auf und setzte ihn sich auf die Schulter, wo er sich an einer Strähne seines Haars festhielt. »Du kanntest also Ollowain ...«

»Sag ich doch! Das war ein echter Held. Ein strahlender Streiter. Nicht so eine abgerissene Gestalt wie du. Du ...« Der Mausling sah ihn plötzlich argwöhnisch an. »Jetzt sag schon! Sind sie schon im Herzland? Waren sie es, die der Lutin die Hand abgehackt haben? Hat es eine Schlacht um Burg Elfenlicht gegeben? Bist du deshalb ganz mit Blut verschmiert?«

»Wer soll hier sein?«

»Die Trolle, Mann. Die Trolle! Jetzt stell dich nicht so begriffsstutzig! Sie wollen Emerelles Kopf, und wenn sie den haben, dann geht es allen hier im Herzland an den Kragen, weil wir ja angeblich Emerelles Diener sind. Was glaubst du, warum sich das kleine Volk versteckt?« Er zupfte Ollowain am Haar. »Halt dich jetzt mehr nach links. Siehst du die Kornblumen? Geh von da aus immer geradeaus auf das Schilf zu.«

»Ich habe mich mit meiner Gefährtin auf den Albenpfaden verirrt, mein Freund. Erzähl mir, was geschehen ist. Vor wie vielen Jahren ist Ollowain denn verschwunden?«

Der Kobold zwickte sich gedankenverloren in sein Kinn. Dann zählte er leise murmelnd etwas an den Fingern ab. »Also, er war schon fort, als Breitnase geboren wurde. Das war vor vierzehn Jahren.«

Ollowain blieb wie angewurzelt stehen. »Vierzehn Jahre!«

Und der Krieg mit den Trollen hatte immer noch kein Ende. Er hätte Emerelle den Befehl verweigern sollen. Sein Platz wäre hier gewesen! »Wie steht die Schlacht? Sind die Trolle tief ins Windland vorgedrungen? Waren ihre Heere nicht geschwächt?«

»Richtig schlimm geworden ist es erst seit einem Jahr. Vorher haben sie sich nur mit den Kentauren herumgeschlagen, Vieh gestohlen und ein bisschen geplündert. Aber dann hat Emerelle jeden, der eine Waffe tragen kann, in den Norden geschickt. Man hört seither keine Nachrichten ... Aber wir wissen, dass es wieder losgegangen ist.

Niemand kann sagen, was auf der Burg der Königin geschah, als ihr Schwertmeister verschwand. Aber mit ihm ist der Glanz der Elfen gegangen. Das Licht der Elfen, das Albenmark so lange geleuchtet hat, verblasst. Die Burg ist ein düsterer Ort geworden. Niemand geht dort mehr hin. In all den Jahren hat es dort kein Fest mehr gegeben. Die Auenfeen sind von den Wiesen vor der Burg geflohen ... Und man hört üble Geschichten von Schatten, die in der Burg lauern und die Seelen jener fressen, die dort noch ausharren. Selbst Emerelle soll jetzt von düsterem Gemüt sein.«

»Und ihr harrt trotzdem aus? Warum flüchtet ihr nicht, wenn ihr fürchtet, dass die Trolle alle Bewohner des Herzlands töten werden?«

»Viele sind längst fort ... Aber sieh mich an! Was hätte ein Troll davon, mich unter seinem berggroßen Fuß zu zerquetschen? Wir Mauslinge haben schon immer im Herzland gelebt

... Wohin sollten wir gehen? Und was haben wir den Trollen getan? Doch jetzt sag schon, woher kommt all das Blut?«

»Wir haben gegen einen Minotauren gekämpft, bevor wir ins goldene Netz geflohen sind«, entgegnete der Elf knapp. Sein Kopf schwirrte ihm von all den Neuigkeiten. Vierzehn Jahre! Er konnte es noch immer nicht fassen. Wäre er doch bloß niemals nach Iskendria gegangen! Hoffentlich war das verdammte Buch es wert!

Ollowain zerteilte das hohe Schilf vorsichtig mit den Armen. Brackiges Wasser umspülte seine Knöchel.

»Immer weiter rein«, drängte sein Führer. Die Rohrdommel war jetzt verstummt. Blaugrün schillernde Libellen schossen durch das Röhricht. Das Wasser stieg dem Elfen bis zu den Hüften. Blutegel stiegen aus dem Schlamm empor und setzten sich auf seine Beine. Ganda stöhnte leise.

»Ist es noch weit?«

Der Mausling sah sich verwirrt um. Dann deutete er zu einem flachen Hügel im Schilf. »Dort. Dort ist die Hütte der Flusshexe.«

Ollowain ging in die angegebene Richtung. Und tatsächlich wurde das Wasser wieder flacher. Er erklomm ein schlammiges Ufer. Wohl verborgen im Schilf fand er eine Hütte, die ihm nur bis knapp über die Hüften reichte. Wie eine üppige Frauenbrust erhob sie sich. Sie war aus goldgelbem Schilfrohr errichtet, das man im Zenit des gewölbten Daches mit einer Grasschnur zusammengebunden hatte.

»Kommt herein, Kinderchen«, erklang eine sinnliche Stimme.

»Ich bleibe draußen«, flüsterte der Mausling. »Und nimm mich bloß wieder mit, wenn du gehst.« Er gesellte sich zu einer kleinen Schildkröte, die in der Sonne döste.

Ollowain ging auf die Knie. Die Lutin und das Buch hielt er dicht an die Brust gepresst. Vorsichtig zerteilte er das Schilf der Hütte. Blaugrauer Rauch schlug ihm entgegen. Umspielt von dünnen, goldenen Lichtbahnen hockte ein nacktes Koboldweib auf einer bunten Decke. Um sich herum hatte sie dutzende kleiner Töpfe und Tiegel aufgestellt. Aus manchen stiegen dünne Rauchfäden. In anderen gluckerte etwas wie kochende Suppe, obwohl sie auf keinem Feuer standen. Die Flusshexe hatte graue, warzenübersäte Haut. Deutlich malten sich ihre Rippen ab. Schwarzes Haar hing ihr in fettigen Strähnen vom Kopf. Sie hatte sich Federn ins Haar geflochten und auch eine kleine Jadeechse mit einer Haarsträhne festgebunden.