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»Ganz gleich, was geschieht, Herrin, ich werde stets an deiner Seite sein.«

Emerelle seufzte. »Kannst du dir vorstellen, dass sich ein Trollkönig um die Gesetze Albenmarks schert? Würde sich ein Troll jemals als der erste Diener seines Landes begreifen? Ihre Herrschaft hieße Willkür. Die Starken würden noch stärker werden. Und die Schwachen würden sein wie welkes Laub im Herbstwind. Sie würden fortgetrieben. Ich weiß, auch ich habe meine Schwächen. Aber ich habe mich stets um Gerechtigkeit bemüht. Solange ich herrsche, wird niemand über dem Gesetz stehen. Gesetze sind wie Mauern, die einen Acker einfrieden. Sie setzen Grenzen. Sie halten das Wild fern. Sie geben die Gewissheit, dass das, was heute gilt, auch morgen noch Recht sein wird. Manche glauben, ich würde mein Volk bevorzugen. Sie irren. Wir Elfen sind stark genug, unsere Rechte mit dem Schwert in der Hand einzufordern. Erst wenn wir nicht mehr ihr lebender Schild sind, werden die Schwachen begreifen, wie sehr sie uns gebraucht haben.« Die Königin straffte die Schultern. »Zu herrschen ist ein einsames Geschäft, Obilee. Aber ich werde nicht aufgeben. Das Glück ist die Gefährtin der Tapferen. Eleborn und all die anderen werden sehen, was sie davon haben, sich nicht beizeiten gegen die Trolle entschieden zu haben. Sie werden ...«

Alle Farbe wich aus Emerelles Antlitz. Sie griff an ihr Herz und ließ sich kraftlos auf den Thronsessel sinken.

Mit drei weiten Schritten stürmte Obilee die Stufen zum Thron herauf. »Herrin!«

Die Königin lächelte. »Ich spüre ihn! Er ist zurück. Ich wusste, dass wir ihn nicht verloren haben. Ollowain ist zurückgekehrt! Nun wird sich unser Schicksal wenden. Der Schwertmeister ist mehr wert als Eleborn und all seine Wassermänner und Seeelfen zusammen. Er wird das Blatt wenden.« Der euphorische Ausbruch der Königin wirkte auf Obilee befremdlich. In all den Jahren bei Hof hatte sie Emerelle noch nie in einer solchen Stimmung erlebt. Die Herrscherin bemerkte ihre Skepsis. »Lass mir doch einen Abend lang meine Illusionen. Jetzt komm mit und hilf mir, ein Kleid auszusuchen.

»Ich weiß nicht, ob ich dafür die Richtige bin«, entgegnete Obilee steif.

»Du bist genau die Richtige!« Die Königin lächelte verschwörerisch. »Du bist jetzt eine fahrende Ritterin. In ein paar Tagen wirst du die Burg schon wieder verlassen. Ich muss mir also keine Sorgen machen, dass meine Geheimnisse bei Hof die Runde machen.«

»Ich würde niemals ...«

Emerelle legte ihr freundschaftlich den Arm um die Schultern.

»Auf 'ich würde' werde ich mich nicht verlassen. Du kannst nicht. Komm jetzt.« Sie führte Obilee aus dem Thronsaal hinauf in ihre Gemächer im Königinnenturm. Nur eine Hand voll Vertrauter hatte dort Zutritt. Früher einmal hatte Noroelle zu ihnen gehört.

Emerelle war immer noch in ausgelassener Stimmung. Sie nahm zwei Stufen auf einmal und summte dabei leise eine Melodie, die der Barde Nuramon vor langer Zeit einmal für Noroelle ersonnen hatte. Jede einzelne Note war ein Stich in Obilees Seele. Nuramon! So lange war er nun schon verschwunden! Ob er und Farodin Noroelle wohl gefunden hatten? Sie alle waren Verbannte. Sie würden nie mehr nach Albenmark zurückkehren. Aber vielleicht fand wenigstens ihre Geschichte hierher. Vielleicht waren sie auch schon längst tot. So oft schon hatte Obilee versucht, Nuramon zu vergessen. Doch er nistete in ihren Gedanken wie die Tauben in den Turmfenstern der Burg. Einst, bevor die Schatten alle Vögel vertrieben hatten.

Schweigend erreichten sie den kurzen Flur, an dessen Ende eine schmucklose Tür lag. Emerelle öffnete sie.

Ihre Kammer war nicht sonderlich groß. Es gab nur wenige Möbel aus einem warmen, honigfarbenen Holz. Das Bett war nicht gemacht. Obilee musste schmunzeln. Sie würde sich nicht wundern, wenn Emerelles Leibdiener den Befehl hatten, es so zu belassen. Hier oben, dichter beim Himmel, erlaubte es sich die Königin, unvollkommen zu sein.

Rotes Abendlicht fiel durch die Scheiben der Flügeltür, die hinaus auf den kleinen Balkon führte.

Die Herrscherin trat vor den großen Spiegel, der die Wand gegenüber ihrem Bett einnahm. Der schwere Ebenholzrahmen war mit Intarsien aus schillerndem Perlmutt geschmückt. Stilisierte Rosenblüten und Blätter rankten ineinander.

Eine flüchtige Bewegung der Herrscherin betätigte eine geheime Feder. Lautlos glitt der Spiegel zur Seite und gab den Blick auf eine Kammer frei, in der sie leuchtende Gestalten erwarteten. Obilee reckte neugierig den Hals. Dort war sie noch nie gewesen.

Emerelle trat durch die schmale Tür. »Willkommen in meinem Allerheiligsten.« Sie drehte sich um und lächelte kokett. »Außer einer stummen Kobolddienerin weiß niemand um diese Kammer. Nicht einmal Meister Alvias. Hierher komme ich, wenn ich vor den Bildern der Silberschale und den Qualen der Herrscherin fliehen möchte. Hier suche ich die junge Emerelle, die sich einst stundenlang an schönen Kleidern begeistern konnte. Jenes verliebte Mädchen, das zu einer einsamen Königin wurde. Doch nicht heute. Heute kehrt das Glück vielleicht zurück.«

Jetzt konnte Obilee besser in die Kammer blicken. Was sie für leuchtende Gestalten gehalten hatte, waren aus Weidenruten gefertigte Kleiderständer. Wie Lampenschirme waren Kleider darauf gespannt. Viele Kleider! Unter einigen brannten Lichter, die berauschenden Weihrauchduft verströmten.

»Wirst du Ollowain sagen, was einst zwischen euch war?«

Die Königin schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge. »Natürlich nicht.« Sie strich gedankenverloren über den Ärmel eines grünen Kleides aus schwerem Samt. »Ich möchte nicht, dass er es wie eine Verpflichtung aus der Vergangenheit sieht. Nenn es eine alberne Schwärmerei, aber ich sehne mich danach, dass er sich noch einmal in mich verliebt. Vielleicht wird heute der Tag sein, den ich so lange herbeisehne. Komm, hilf mir, die Haken an meinem Kleid zu öffnen. Vieles hängt nun von der richtigen Wahl ab.« Sie drehte Obilee den Rücken zu.

Die fahrende Ritterin öffnete die kleinen Haken und achtete darauf, dass sich Emerelles Haare nicht darin verfingen, als sie ihr das Kleid über den Kopf streifte. Verlegen wandte sie sich ab. Die Königin trug nur noch einen fein bestickten Leinengürtel, von dem die Bänder herabhingen, die ihre langen Seidenstrümpfe hielten. Ihre Füße steckten in zierlichen, lichtgrauen Schuhen.

»Welches Kleid soll ich nur nehmen? Er trägt gewiss weiß. Sollte ich auch weiß ... Nein, das wäre langweilig. Eine große Hilfe bist du nicht, Obilee.«

»Herrin, ich möchte dir nicht zu nahe treten ... Aber hast du bedacht, dass du nicht mehr die bist, in die sich einst Ollowains Seele verliebte?«

»Natürlich nicht. Ich bin gewachsen, so wie ein Baum.« Sie wandte sich der fahrenden Ritterin zu. »Hier«, sie legte sich die Hand auf die nackte Brust. »Hier ist noch all das, was er einst liebenswert an mir fand. All das ...« Ihre Lippen begannen zu zittern. »Ich ... Ich weiß, dass ich mich verändert habe. Verändern musste ... Ich ... Glaubst du, er erkennt mich nicht wieder, weil ich die Königin bin? Hat diese Bürde für immer eine Mauer zwischen uns errichtet? Ich kann die Krone nicht ablegen ... Nicht in diesen Tagen! Das wäre Verrat an Albenmark. Glaub mir, ich würde es gerne tun. Weißt du, dass ich dich beneide? Dich und deine Freiheit, als fahrende Ritterin durch die Wälder zu streifen. Und die Freiheit, nur dir selbst Rechenschaft schuldig zu sein. Ich hingegen werde zwischen meinen Pflichten aufgerieben ... Rate mir. Was soll ich tun, Obilee? Muss ich mein Glück auf dem Altar Albenmarks opfern?«

Obilee wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Bisher hatte sie immer geglaubt, es erfülle Emerelle, die Geschicke Albenmarks zu lenken. Wie eine Gefangene der Krone war sie ihr jedenfalls nie erschienen. »Vielleicht solltest du die Burg einmal verlassen. Die drückenden Schatten hier töten die Freude, ja, sie erlauben kaum ein Lächeln, das von Herzen kommt.«