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Obilee stand wie vom Donner gerührt. Sie hatte sich so sehr bemüht, sich nichts anmerken zu lassen! Diese Liebe war ein Fluch! Sie wusste, dass sie nicht auf Nuramon hoffen durfte. Ihn zu lieben, war Verrat. Er hatte sein Herz Noroelle geschenkt, die Obilee einst in ihren Dienst genommen hatte. Noroelle war wie eine große Schwester für sie gewesen. Niemandem hatte sie so vertraut wie ihr. Dann war sie von der Königin verbannt worden, weil sie einem Dämonenkind das Leben geschenkt hatte und sich weigerte, Emerelle zu verraten, wohin sie ihren Sohn gebracht hatte. Es war eine grausame Strafe. Sie war an einem Ort, um den nur die Königin wusste. Niemand durfte darauf hoffen, sie jemals wieder zu finden. Doch Nuramon hatte sie nicht aufgegeben. Er suchte nach ihr, gemeinsam mit seinen Gefährten Farodin und Mandred. Diese drei waren Noroelles einzige Hoffnung. »Es steht mir nicht zu, Nuramon mein Herz zu öffnen. Er liebt eine andere, und ich darf ihn nicht von seiner Suche abbringen, denn auch ich liebe sie und wünsche ihr Glück.«

»Du glaubst also, du wärst eine Verräterin, wenn du zu Nuramon sprichst. Ach, Kind, was soll schon geschehen? Ist Nuramons Liebe zu Noroelle so beständig, wie es scheint, dann sind deine Worte keine Gefahr für die beiden. Ist sie es aber nicht, dann bewahrst du Nuramon davor, sich zu verirren. Und noch etwas gilt es zu bedenken. Auch Farodin liebt Noroelle. Sie wird zuletzt, falls die beiden Noroelle jemals finden sollten, nur einen von ihnen erwählen. Stell dir vor, es ist Farodin. Wenn dies geschieht, dann würde das Eingeständnis deiner Liebe Nuramon ein Trost sein. Es gibt aber noch einen dritten Grund, und dies ist der wichtigste von allen. Es wird der Tag kommen, an dem du es bitter bereust, wenn du nicht zu Nuramon sprichst. Ganz gleich, was er antwortet, seine Antwort wird dich befreien. Lehnt er deine Liebe ab, so nimmt er dir eine Illusion. Bei allem Schmerz, den dir das zunächst bereiten wird, schafft er so in deinem Herzen Platz für einen anderen. Ein Herz muss sich mitteilen, Obilee, sonst wird es versteinern. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Geh das Wagnis ein und sprich zu ihm, falls ihr euch noch einmal begegnet.«

Die Worte der Königin schnürten Obilee die Kehle zu. War das ein guter Rat? Emerelles Blick war offen und freundlich. Nichts erinnerte mehr an jene machtvolle Elfe, die sie zu einem Bluteid gezwungen hatte. Hatte sie von sich gesprochen? War es ihr Herz, das zu Stein geworden war? Viele dachten so von der Königin. Sie schien kalt und unnahbar. Obilee kannte jetzt die andere Emerelle. Doch wie viel war von der jungen Elfe noch geblieben, die einst den Feldherrn Falrach geliebt hatte? Genug, um sein wiedergeborenes Herz zu erringen?

Erwartungen

Blut sickerte aus dem halb rohen Fleisch und ließ die angebrannten Zwiebelstücke wie Inseln in purpurner See ausschauen. Ollowain blickte auf. Noch nie war er bei Hof so schlecht bewirtet worden. Seit er angekommen war, lag eine fast greifbare Spannung in der Luft. Die Königin hatte ihn ins Bad geschickt. Es war angenehm, gewaschen zu sein und saubere Kleider zu tragen. Wie ein wandernder Koboldkesselflicker hatte er ausgesehen und obendrein gestunken wie ein Fjordländer.

Zweimal schon hatte er auf das gestohlene Buch zu sprechen kommen wollen, doch Emerelle blockte ab. Sie schien etwas zu erwarten. Etwas, das nichts mit der langen Reise zu tun hatte. Sie beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und aß tapfer von diesem ungenießbaren Mahl.

Sie speisten auf der Terrasse bei den Maulbeerbäumen, dort, wo seine Reise vor fünfzehn Jahren begonnen hatte. Außer zwei Kobolden, die sich in respektvoller Distanz hielten, war niemand zugegen.

Ein Meer von Kerzen tauchte die Terrasse in flackerndes, goldenes Licht. Der Wind trug vom Garten den Duft von reifen Aprikosen heran. Auch roch es nach trockenem Gras und Staub. Der Atem des Spätsommers lag über ihnen. Ganz schwach war da auch noch ein anderer Geruch. Ein Duft, der etwas tief in Ollowain aufwühlte, ohne dass er ihn zuordnen konnte. Er war schwer und sinnlich. Er erregte ihn. Und das beunruhigte den Schwertmeister, denn Erregung war das letzte Gefühl, das er sich in Gegenwart der Königin anmerken lassen durfte. Seine Männlichkeit drückte gegen das Gefängnis der Beinkleider. Ollowain war froh zu sitzen, sodass seine missliche Lage unbemerkt bleiben würde. Er versuchte verzweifelt, seiner Erregung Herr zu werden, doch das ließ sein Blut nur noch heißer zwischen seinen Schenkeln pulsieren.

Er blickte hinüber zu dem Buch, das in die Lumpen einer Vogelscheuche eingewickelt auf dem steinernen Geländer lag. Er hatte den schäbigen Stoff von einem Feld gestohlen und das kostbare Dokument darin eingewickelt, damit es weniger Aufsehen erregte. Mit Erfolg! Emerelle beachtete es überhaupt nicht. Stattdessen beobachtete sie ihn verstohlen.

Die Königin trug ein tiefrotes Abendkleid. Dunkler Granatschmuck lag auf ihrer hellen Haut wie frische Wunden. Es war unheimlich still. Kein Vogel sang, nicht einmal die Grillen zirpten. So verstummte die Natur, wenn ein Jäger auf der Pirsch war. Ollowain sah sich um. Emerelle hatte noch nicht über die Schatten gesprochen. Waren sie noch hier? Hatten sie der Nacht ihre Stimmen geraubt?

Immer schwerer lastete die Stille auf ihnen. Das einzige Geräusch war das Klirren des silbernen Bestecks auf den kostbaren Tellern. Ollowain schob einen blutigen Streifen Fleisch zu den verbrannten Zwiebeln. Er konnte das nicht essen! »Du solltest deinen Koch davonjagen.«

Emerelle lächelte bemüht. »Diesen Koch und eine Ratgeberin.« Sie legte das Besteck auf den Teller und tupfte sich mit einem Seidentuch über die Lippen.

Die beiden Kobolde eilten herbei. Wortlos nahmen sie die Teller vom Tisch.

»Du warst lange fort«, sagte die Königin unvermittelt.

»Ganda war schwer verletzt, als sie das Tor zu den Albenpfaden öffnete. Ihr muss bei dem Zauber ein Fehler unterlaufen sein.«

»Schwer verletzt ...«

Ollowain erzählte von ihrer Suche und von dem geheimnisvollen Gestaltwandler, der ihnen so sehr zugesetzt hatte. Nur in einem Punkt hielt er sich nicht an die Wahrheit. Er behauptete, es sei seine Idee gewesen, das Buch an sich zu bringen, für das ihr gesichtsloser Feind so kaltblütig gemordet hatte.

»Und Ganda hat sich dem widersetzt. Eine Lutin, die keinen Anteil an einem Diebstahl haben mochte. Ungewöhnlich.« Emerelles schmallippiges Lächeln sagte mehr als Worte. Sie durchschaute ihn. »Und mein heldenhafter Schwertmeister wird zu einem gemeinen Dieb. Du bist sicher, dass es sich so zugetragen hat?«

Das Blut stieg ihm von den Schenkeln in den Kopf. »So und nicht anders.« Wenigstens klang seine Stimme noch fest. Was für ein erbärmlich schlechter Lügner er doch war!

Emerelle erhob sich und ging hinüber zur Brüstung des Balkons. Ihren Bewegungen haftete etwas Schwerfälliges und doch Sinnliches an. Der Klang feiner Silberglöckchen begleitete jeden ihrer Schritte, ohne dass Ollowain ein Schmuckstück entdecken konnte, das der Ursprung dieses metallisch-melodischen Wisperns war. Ihr Kleid war von den Hüften an aufwärts zu eng anliegend, als dass die Glöckchen, unter dem Stoff verborgen, noch hätten schwingen können. Sie musste sie an ihren Beinen tragen. Was bezweckte sie damit?

Die Königin war barfuß zum Essen gekommen. Ihr Kleid reichte bis knapp oberhalb der Knöchel. Dunkle Muster aus Schlangenlinien schmückten ihre schmalen Füße, aufgemalt mit dem Saft des Dinko-Busches.

Nein, es waren keine Schlangenlinien, sondern Schlangenleiber, die sich um die zarten Knöchel der Königin wanden und unter dem Saum ihres Kleides verschwanden. Dorthin, wo der lockende Silberklang herrührte.