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»Und du würdest mich hinrichten lassen, obwohl du davon überzeugt bist, dass ich dich belüge, um damit Ganda zu schützen?«

Emerelle sah ihn unendlich traurig an. »Begreifst du endlich, was du getan hast? Meine Herrschaft gründet auf Gerechtigkeit und Gesetz. Verurteile ich dich, vergieße ich unschuldiges Blut und lasse zu, dass eine Lüge siegt. Verurteile ich dich aber nicht

– und bin mir sicher, du würdest bis zuletzt bei der Behauptung bleiben, dass du der Dieb warst -, dann wird es heißen, ich habe eine Lutin geopfert, um den Schwertmeister zu retten. Wenn die Albenkinder untereinander so lange in Frieden gelebt haben, dann liegt es auch an ihrem unerschütterlichen Glauben an meine Gerechtigkeit. Wird dieser Glaube erschüttert, sind alle Gesetze nichts mehr wert. Man muss daran glauben, dass sie unverrückbar sind und nicht nur ein bisschen Tinte auf Papier. Ich werde also gezwungen sein, dich Albenmark zu opfern, obwohl ich in meinem Innersten weiß, dass ich einen Unschuldigen unter das Schwert des Henkers schicke. Und das wird meinen Glauben erschüttern. Du kennst mich gut, Ollowain. Auch meine dunklen Seiten. Bei allem, was ich getan habe, ging es mir darum, die Völker der Albenkinder zu beschützen. Ich wollte immer, dass die Schwachen in Frieden leben können, geborgen hinter einem Schild aus Recht und Ordnung. Ich habe Kriege geführt, um uns vor der Willkür der Trolle zu schützen. Selbst jetzt tue ich das noch, obwohl alles verloren scheint.«

Sie starrte in die Dunkelheit des Gartens. Eine Zeit lang schwiegen sie beide. Ollowain glaubte schon, sie wolle ihm durch ihr Schweigen bedeuten, dass es für ihn an der Zeit war zu gehen, da drehte sie sich überraschend um. Tränen standen ihr in den Augen, doch ihre Stimme war fest, als sie sprach.

»Weißt du, was das Schreckliche daran ist zu herrschen? Ganz gleich, was ich auch tue, wenn ich am Ende meines Lebens zurückblicke, werde ich einen riesigen Berg Leichen hinter mir sehen. Opfer auf dem Altar der Gerechtigkeit. Und bringe ich diese Opfer nicht, dann wird der Leichenberg hinter mir nur noch größer! Ich bin die Herrscherin, ja, aber zugleich bin ich auch eine Gefangene. Die Hohepriesterin eines Gottes, der nach Blut schreit! Immer lauter! Und nun werde ich dein Blut für ihn vergießen müssen. Geh! Geh mir aus den Augen, Ollowain! Du ahnst nicht, was du mir angetan hast! Geh! Such Meister Alvias und sage ihm, er soll dir jemanden suchen, der dich über die Albenpfade nach Feylanviek führt. Noch heute Nacht.«

»Aber...«

Emerelle schnitt ihm mit einer harschen Bewegung das Wort ab. »Es gibt nichts mehr zu besprechen. Du hast deine Entscheidung getroffen. Geh nach Feylanviek und finde einen ehrenvollen Tod. Für dich führt kein Weg mehr hierher zurück. Wenn die Hüter des Wissens kommen und deinen Kopf fordern, werde ich das Todesurteil über dich sprechen. Du hast mir diese Worte in den Mund gelegt, Ollowain, und dafür verdamme ich dich! Wenn ich dieses Urteil nicht sprechen kann, dann habe ich es nicht länger verdient, Königin zu sein.« Die Schminke unter ihren Augen zerlief, und sie weinte schwarze Tränen. »Geh und wisse, du nimmst meine Seele mit dir. Dein geheimnisvoller Falrach-Spieler wollte uns beide aus dem Spiel nehmen, und du hast ihm nach Kräften geholfen, diesen Zug zu gewinnen.«

Letzte Worte

»(...) Wer die Wahrheit sucht, der läuft in Gefahr zu finden, was er nie wahr haben wollte. In diesem Buch habe ich nur einen Teil der Schrecken niedergelegt, derer ich angesichtig wurde. Worte vermögen nicht auszudrücken, was uns diese Bilder meinem Herzen angetan haben. Ich war ein Mann der Tinte und der Gänsekiele. Ich war so vermessen zu glauben, es gebe nichts, worüber ich nicht schreiben könnte, und kein Geheimnis, das ich nicht zu ergründen vermöchte. Ich bin gescheitert. Doch anders, als ich erwartet hätte. Ich sah, was ich nicht hätte sehen dürfen. Sie sind nicht von uns gegangen, Schwester. Ich weiß, dass du einst diese Zeilen lesen wirst, und ich hoffe, die Zeit wird dich gnädig gestimmt haben. Du warst immer eine Kriegerin. So lange ich dich kannte warst du eine Frau des Schwertes. Und ich weiß, dass du in Zukunft eine Frau der Worte werden und dennoch Kriegerin bleiben wirst. Eine Meisterin der Intrige im Dienste des Wohl aller Albenkinder. Doch du hast dich einem Artefakt anvertraut, das geschaffen wurde, uns ins Verderben zu stürzen. Noch gehört es mir, und ich habe Jahrhunderte damit verbracht, mögliche Zukünfte zu studieren bis meine Seele im spiegelnden Wasser verbrannte. Deshalb liege ich nun in einem Bad aus Tinte. Es heißt, in warmen Wasser sei es leichter, dem Tod, so wie ich ihn gewählt habe, zu begegnen. Es soll ganz ohne Schmerzen geschehen. In der Tinte sehe ich mein Blut nicht. Ich habe nur einen kleinen Schnitt gesetzt, damit mir die Zeit bleibt, meine letzten Gedanken zu ordnen und dich zu warnen. Ich habe jeden Schritt wohl bedacht und habe die Zukünfte ergründet. Ich weiß, ein Brief an dich hätte dich nicht erreicht. Deshalb nutze ich die letzten Seiten meines Buches, um niederzuschreiben, was dich erst so spät erreichen wird. Ich weiß, dass du Cabak, meinen treuen Diener, stellen wirst, bevor er den zweiten Teil meiner Aufgabe erfüllen kann. Er hat dich nicht belogen. Er war kein Dieb. Ich habe ihm befohlen, dieses Buch nach Iskendria zu bringen –

was er dir nicht verraten haben wird -, und ja, ich habe ihm tatsächlich befohlen, die Silberschale an sich zu nehmen und einen Weg zu finden, sie für immer zu vernichten. Er hat seine Hand zu Unrecht verloren. Er hat sie für meine Treue verloren. Es wird ihn verbittert machen und er wird zum ersten Meister der Diebe unter den Lutin werden, denn er wird beschließen, dass er nun das Recht hat zu tun, wofür er zu Unrecht bestraft wurde. Sein Volk wird ihm auf diesem Weg folgen. Bevor sie ihn zur letzten Ruhe betten, wird er ein einflussreicher Kobold gewesen sein und die Seinen werden seine Bitterkeit durch die Jahrhunderte mit sich tragen. Doch ich schweife ab ... Du weißt natürlich, wie es um die Lutin steht. Was mich weit mehr schmerzt als die kleine Wunde, aus der mein Leben fließt, ist mein Wissen. Du wirst dies lesen und wirst es nicht glauben wollen. Hüte dich vor der Silberschale! Sie wurde von den Yingiz erschaffen! Sie kann zwar nicht lügen, aber sie will uns mit der Wahrheit verwirren. Sie zeigt dir einen Mann, der sich mit blutigen Händen über einen Krieger beugt, dessen Augen die Angst hinausschreien. So hältst du den Heilkundigen, der um das Leben des Verletzten kämpft, für einen Mörder. Die Silberschale zeigt dir stets eine Zukunft, die dich mit Sorge erfüllt. Und sie will dich zu Fehlern verleiten, die du ohne dein vermeintliches Wissen um die Zukunft niemals begangen hättest. Mich hat sie zu Grunde gerichtet.

Mir ist kalt. Nur wenig Blut fließt noch in meinen Adern. Doch eines musst du noch wissen. Geh behutsam um mit den Albenpfaden. Die einen umgeben unsere Welt wie ein schützendes Netz. Sie halten die Yingiz fern. Dieses Netz darf nicht zerstört werden. Die anderen aber, die zur Welt der Menschen führen und in die zerbrochene Welt, die (...)

Zitiert nach:
Die Wege der Alben, von:
Meliander, Fürst von Arkadien

Über den Dächern von Feylanviek

»Melvyn wird uns nicht dafür lieben, dass wir hier sind.« Der Kobold duckte sich hinter einen Dachfirst und sah seinen Gefährten Nossew zweifelnd an. »Wirklich nicht. Der mag es nicht, wenn man ihm hinterherschleicht.«

Nossew hielt den Zeigefinger hoch und krümmte ihn leicht. Dann streichelte er über den glatt polierten Schaft seiner Repetierarmbrust.

»Ja, ja«, murrte Misht. »Ich hab schon verstanden. Dein Zeigefinger juckt. Ein todsicheres Zeichen für Ärger. Aber weißt du was, ich halte gar nichts davon, meinen Kopf hinzuhalten, nur weil Melvyn sich mal wieder in ein fremdes Bett legen muss.«