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Melvyn duckte sich instinktiv. Keinen Augenblick zu spät. Über ihm schlugen zwei Armbrustbolzen in die Bruchsteinmauer.

Überall rings auf den Dächern konnte Misht jetzt geduckte Gestalten erkennen. Man hatte Melvyn in eine Falle gelockt! Shandral musste geahnt haben, dass der Wolfself in dieser Nacht sein Weib besuchen käme. Und er ging die Sache wenig subtil an.

Nossew zielte auf den Spinnenmann, der am Schornstein der Schmiede hing. Der Kerl hatte die höchste Schussposition rings herum. Wahrscheinlich hatte er sie schon entdeckt. Nossew blickte zu seinem Fähnchen. Der Seidenstreifen hing schlaff vom Zahnstocher herab. Ein leises Singen des Stahlbogens der Armbrust war trotz des Lärms der Schmiedehämmer zu hören. Nossew riss den Spannhebel zurück. Ein neuer Bolzen glitt auf die Führungsschiene.

Misht sah, wie der Kerl am Schornstein die Arme hochriss und stürzte. Sein Schrei ging im stählernen Getöse der Hämmer unter. Von der Schlacht über den Dächern würde kaum jemand etwas mitbekommen, so lange die Wasserräder liefen und die Hämmer nicht zur Ruhe kamen.

Eine Dachpfanne neben ihm zerbarst. Sie waren entdeckt! Misht riss die Repetierarmbrust hoch und feuerte auf einen der Schatten bei der Gaube. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Bewaffnete auf den Balkon von Shandrals Stadthaus stürmten. Doch Melvyn war verschwunden.

Im Namen der Königin

Ollowain zügelte den Hengst auf der Hügelkuppe und blickte hinab auf die große Stadt. Schutzlos streckte sie sich am Flussufer. Der Schwertmeister konnte nicht fassen, wie man so leichtfertig sein konnte! Fünfzehn Jahre waren vergangen, seit die Trolle zurückgekehrt waren, und trotzdem gab es keine Stadtmauern und Türme. Feylanviek war nicht zu verteidigen, sobald der Mika zufror. Es würde einfach überrannt werden. Keine Macht der Welt würde das verhindern können. Die Schreckensbilder des brennenden Vahan Calyd kamen Ollowain in Erinnerung. Er hatte erlebt, wie eine Stadt in einer einzigen Nacht gestorben war.

Sein Blick wanderte über die Klippenlandschaft aus steilen Dachgiebeln. Feylanviek würde brennen. Die Fachwerkhäuser waren wie ein riesiger Scheiterhaufen. Sobald der erste Straßenzug in Flammen stand, würde niemand mehr das Feuer unter Kontrolle bringen können.

Ollowain glitt aus dem Sattel und löste den Lederriemen seines Helms. Müde schüttelte er den Kopf, entspannte die Nackenmuskeln und atmete die schwüle Nachtluft. Fledermäuse tanzten in unstetem Flug durch den Himmel. In der Ferne hörte man Schmiedehämmer. Selbst in der Nacht kam die Stadt nicht zur Ruhe, als sei sie begierig, jede Stunde zu nutzen, die ihr noch blieb. Der Schwertmeister hängte den Helm ans Sattelhorn und klopfte dem großen Schimmel auf den Hals.

»Reitet voraus zum Lager. Ich möchte mich ein wenig in der Stadt umsehen, bevor die Nachricht die Runde macht, dass Emerelle mich geschickt hat.«

Obilee räusperte sich. »Herr?«

Die junge Kriegerin befehligte die kleine Eskorte, die Ollowain durch das goldene Netz gefolgt war. Ihre scheue Zurückhaltung grenzte fast schon an die abergläubische Demut, mit der die Menschen ihre Götzenbilder verehrten. Als sie ihn vor zwei Stunden aus dem Kartensaal der Burg geholt hatte, hatte sie kaum die Zähne auseinander bekommen. Mit den übrigen Kriegern der Eskorte war es nicht besser. Für sie war er eine lebende Legende. Dass er fünfzehn Jahre lang verschwunden war, hatte dem keinen Abbruch getan. Im Gegenteil, in seiner Abwesenheit schienen die Geschichten über ihn nur gewachsen zu sein. Was ihn aber mehr bedrückte als sein unverdienter Ruhm, war die Hoffnung, die er in den Augen der jungen Krieger sah. Sie waren davon überzeugt, dass er ein Wunder vollbringen würde. Sie glaubten tatsächlich, er könne die Übermacht der Trolle besiegen. Dass Emerelle ihn hergeschickt hatte, damit er einen ehrenvollen Tod auf dem Schlachtfeld fand, statt sein Haupt auf den Richtblock eines Henkers zu betten, ahnte niemand.

»Herr«, sagte Obilee noch einmal zögerlich. »Ich fürchte, dass du in der Stadt nicht lange unerkannt bleiben wirst in deinem Gewand.«

Ollowain blickte an sich herab. Er trug einen leichten weißen Leinenpanzer, dazu eine Reithose und weiße Stiefel. Über seinen Schultern lag ein kurzer weißer Umhang. Obilee hatte Recht. Als weißen Ritter kannte ihn jedes Kind in Albenmark. Er wusste, dass seine Anwesenheit die Moral in der Stadt heben würde. Aber in dieser Nacht wollte er noch unerkannt sein.

Er lächelte die fahrende Ritterin an. »Was schlägst du vor?«

Wieder räusperte sich die junge Elfe, als habe sie ständig einen trockenen Hals, wenn sie mit ihm sprach. »Wenn du vielleicht meinen Umhang nehmen würdest, Herr ...« Sie öffnete die breite silberne Fibel und reichte ihm das Kleidungsstück. Es war aus festem und doch leichtem grünem Tuch. Eine dünne Borte aus stilisierten Eichenblättern schmückte den Saum.

Ollowain nahm seinen Mantel ab und reichte ihn der Elfe, dann warf er sich den grünen Umhang um die Schultern und zog ihn vor der Brust zusammen. »Ich sehe euch im Heerlager. Ich wünsche, dass sich zum Morgengrauen alle Befehlshaber für eine Besprechung einfinden. Die Zeit des Herumsitzens und Wartens ist vorbei. Wer ohne triftigen Grund bei der Lagebesprechung fehlt, verliert sein Kommando.«

Obilee nickte ernst. Dann gab sie den übrigen Reitern ein Zeichen und führte die Eskorte den Hügel hinab.

Ollowain atmete freier, als er allein war. Mit weiten Schritten stieg er den Hügel hinab und überquerte die erste der zahllosen Brücken der Stadt. Der Kanal stank nach Fäulnis, nach dem zähen, schwarzen Schlamm der Ufer, verrottendem Schilf und den Fäkalien der Stadt. Bei Tageslicht war das Wasser sicher eine unansehnliche dunkle Brühe. Doch der Mond verwandelte es in einen silbernen Spiegel.

Einen Herzschlag lang hatte Ollowain wieder den schweren, sinnlichen Duft der Königin in der Nase. Keine fünf Stunden waren vergangen, seit Emerelle ihm den Befehl zu seinem letzten Kommando gegeben hatte. Und doch schien es in einem anderen Zeitalter gewesen zu sein. So viel war in so kurzer Zeit geschehen. Er hatte sich in der Rüstkammer neu einkleiden lassen und danach die Zeit, die noch blieb, im Kartensaal verbracht. Obilee verwahrte für ihn eine lange Röhre aus zähem Leder. Darin befanden sich aufgerollt sieben Karten der Region. Die Trolle sammelten sich nahe dem Mordstein; das war kaum dreihundert Meilen entfernt. Doch der riesige Tross machte ihr Heer schwerfällig. Überraschende Manöver brauchte man von ihnen nicht zu befürchten.

Der Feldherr schlenderte ziellos durch die Stadt. Er ließ sich treiben. Auch wenn er einen aussichtslosen Kampf auszutragen hatte, fühlte er sich erleichtert. Hier draußen, nahe der Grenze zur Snaiwamark, war es klar, wie die Fronten verliefen. Nicht so wie in Iskendria, wo er das wahre Antlitz seines Feindes nicht einmal hatte erahnen können. Hoffentlich zog Emerelle wenigstens Nutzen aus dem verfluchten Buch.

Ollowain wich einer Schar lärmender Minotauren aus, die sturzbetrunken gefährlich nah am Rand eines Kanals entlangtorkelten. Unbewusst hatte sich seine Hand auf den Schwertgriff gelegt. Er musste sich in Erinnerung rufen, dass es nicht wirklich Kleos gewesen war, gegen den er in Iskendria gekämpft hatte, sondern nur dessen Leib. Und in dieser Schlacht waren die gehörnten Hünen ihre Verbündeten.

Der Schwertmeister beschleunigte seine Schritte und bog in eine Seitenstraße ein, die von der Front eines prächtigen Elfenpalastes beherrscht wurde. Das Geräusch der Hämmer war hier so laut, dass man ihren Lärm schon körperlich spüren konnte. Wie unsichtbare Wellen brandete das metallene Getöse in Form gezwungenen Stahls gegen ihn an. Und dann war da plötzlich ein anderes Geräusch. Ein schrilles Pfeifen, das Ollowain von Schlachtfeldern kannte. Ein Heuler!

Eine Schattengestalt fiel aus dem Nichts und landete federnd neben ihm auf dem Pflaster. Stählerne Krallen ragten über die geballten Fäuste des Kriegers. Geduckt, sichernd, drehte er sich halb im Kreis. Der Elf hatte zerzaustes blondes Haar und trug ein schmuddeliges, ledernes Jagdhemd. Seine Stiefel waren abgewetzt. Statt einer Hose trug er einen roten Lendenschurz.