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»Und wie lernt man diesen Tanz? Es gibt etliche feine Damen, die mich für einen recht begabten Tänzer halten. Sowohl in der Senkrechten als auch in der Waagerechten.«

Ollowain erstickte ein leises Lachen mit einem Räuspern. »Zunächst musst du alle gegnerischen Schützen erfassen und alle plausiblen Flugbahnen für Pfeile oder Bolzen einschätzen. Du musst dir sämtliche Flugbahnen wie ein leuchtendes Netz vorstellen. Dann bewegst du dich durch die weitesten Maschen dieses Netzes und schlägst mit deinem Schwert einen Schutzschirm. Aber man darf sich nichts vormachen. Selbst die größten Meister im Pfeiltanz werden mit ihrem Schutzschirm höchstens acht von zehn Pfeilen ablenken können. Es wäre ein tödlicher Irrtum zu glauben, man sei unverwundbar.«

Melvyn grinste breit. »Ich wette, Madrogs Meuchlerbande sieht das anders. Die werden noch in dieser Nacht überall herumerzählen, dass du unverwundbar bist.«

Ollowain zuckte mit den Schultern. »Ich werde sie nicht daran hindern. Wie sagte Madrog auch? Ich kann mich schließlich nicht mit solchen Kleinigkeiten aufhalten.«

Der junge Elf lachte. »Du bist anders, als sie erzählen, Schwertmeister.« Ollowain dachte an Lyndwyn. Sie hatte ihn verändert. Ihm einen Teil seines Panzers geraubt, hinter dem er allzu lange seine Gefühle versteckt hatte. Aber er sollte auf der Hut sein. Als Oberbefehlshaber konnte er sich zu viel Gefühlsduselei nicht leisten.

Seine Aufgabe verlangte, dass er Männer in den Tod schickte, ohne dabei Gewissensbisse zu haben. So wurden Schlachten gewonnen. Und er war fest entschlossen zu siegen! »Hatte ich erwähnt, dass du unter Arrest stehst, Melvyn?«

Der junge Elf grinste noch immer. Offenbar hielt er diese Worte für einen Scherz.

»Du wirst mich jetzt ins Heerlager begleiten, und dort lasse ich dich in Eisen legen, bis ich die Muße habe, mich wieder um Kleinigkeiten zu kümmern.«

»Natürlich.« Melvyn brach wieder in schallendes Gelächter aus. »Du hast wirklich Humor.«

Selkies

Sebastien liebte das Meer. Bruder Jules musste das gewusst haben. Warum sonst hätte er ausgerechnet ihm den Auftrag gegeben, die Albenkinder der See büßen zu lassen. Der frühere Abt spürte einen dunklen Gedanken. Die Bestie in ihm versuchte wieder die Herrschaft zu übernehmen. Sie ruhte nie. Doch die verbliebenen Brüder und Schwestern umgaben ihn wie einen schützenden Schild. Drei von ihnen hatten bereits mit ihrem Leben bezahlt. Alles war anders gekommen, als Bruder Jules es vorhergesagt hatte. Sebastien fühlte sich elend. Er hatte nicht den Mut gehabt, Jules zu gestehen, dass sie nicht wirklich eins geworden waren. Er hatte es nach der vermeintlichen Verschmelzung ihrer Seelen sofort gewusst. Die dreißig hätten nur noch ein Gedanke sein dürfen, nachdem sie ihr Licht gegeben hatten. Eine Macht, stark genug, der Kreatur zu trotzen, mit der das Wunder ihres Ordensbruders sie verbunden hatte. Aber sie waren die dreißig geblieben. Sie hatten ihre Disziplin behalten. Alle beugten sich seinen Befehlen. Sie waren treue Herzen, ihrer Sache unverbrüchlich ergeben, dachte Sebastien traurig. Und sie würden verlöschen, einer nach dem anderen. Die Schattengestalt war zu mächtig. Sie versuchte, ihnen ihren Willen aufzuzwingen. Sie wollte töten, töten, töten. Sie war unfähig, ein anderes Ziel zu verfolgen. Dabei war sie von bösartiger Intelligenz. Wenn es keine Beute gab, versuchte sie ihre Gedanken zu manipulieren. Ihre Stimme war in ihnen. Es gab keine Möglichkeit, sich vor ihr zu verschließen. Zuhören mussten sie ihr alle, auch wenn sie ihr die Kontrolle über den Leib, den das Wunder erschaffen hatte, verwehren konnten. Noch ...

»Du denkst zu viel, Sebastien, das macht uns schwach. Wir sind erschaffen worden, um uns am Lebenslicht der Albenkinder zu laben. Zögere nicht. Damit versündigst du dich vor deinem Gott.«

Der Abt versuchte sich gegen die Gedanken zu sperren. Diese Kreatur war die reine Boshaftigkeit! Alles, was sie tat, tat sie aus Eigennutz.

Wir dienen dem Herrn. Was wir tun, ist gut und richtig. Wir sind die Aufrechten, so lange wir uns nicht den Einflüsterungen des Finsteren ergeben.

»Aufrechte Mörder?«, höhnte die Stimme.

Wir dienen Tjured, das ist eine heilige Pflicht.

»Und ich diene meinem Hunger. Das ist nicht minder heilig, denn zu fressen, kräftigt unseren Leib, und ihr macht diesen Leib doch zum Werkzeug Gottes!«

Hört nicht auf ihn, Brüder und Schwestern! Er ist die Versuchung. Er will das Böse in uns wecken, will, dass wir uns der Verderbnis hingeben. Auch wenn er mit einer Seidenzunge spricht und seine Worte uns zutiefst berühren, kennt er nur ein Zieclass="underline" uns zu verderben!

»Du bist zu engstirnig. Ich habe viel Freude an euch und euren Seelenqualen. Ich möchte euch nicht missen. Welche Fesseln ihr euch auch auferlegt, jeder von euch weiß um die Finsternis, die tief in seiner Seele ruht. Jedes denkende Wesen wird mit diesem Makel geboren. Empfindet ihr nicht tiefe Genugtuung, wenn ihr die Albenkinder tötet? Ist das rechtschaffen? Ihr mordet nicht nur, ihr löscht unsterbliche Seelen aus, indem ihr das Lebenslicht der Opfer verschlingt. Ist euch bewusst, was für ein Verbrechen dies ist? Die Geschöpfe, die wir getötet haben, können wiedergeboren werden, so lange ihre Seele lebt und nicht ihre Erfüllung gefunden hat. Wir aber löschen sie aus. Ist das Tjureds Wille?«

Der lebende Heilige hat diese Kreatur aus uns erschaffen, mahnte Sebastien seine Brüder und Schwestern. Sie ist die Verkörperung von Tjureds Willen.

»Und wenn er ein Betrüger wäre, der euren naiven Glauben ausnutzt?« Gott würde so etwas nicht zulassen! Wie könnte einer seiner Diener etwas anderes sein als sein Werkzeug? Bringt den Flüsterer zum Schweigen! Seine Brüder und Schwestern stimmten in Gedanken einen Choral an. Sie alle waren in Gedanken miteinander verbunden. Bruder Jules hatte gut daran getan, sie so lange auf ihr großes Werk vorzubereiten. Auch wenn sie nicht zu einem Gedanken verschmolzen waren, so kannten sie doch alle Disziplin und Selbstaufgabe. Nur das bewahrte sie vor dem Wahnsinn! Sie alle konnten einander in die Seele sehen. Hätten sich all ihre Gedanken vermengt, sie wären längst wahnsinnig geworden. Wären Sklaven jenes Schattens geworden, mit dem sie sich ihren neuen Leib teilten.

Vielleicht war er wie die dunklen Gedanken, die ihn früher, als er noch ein Mensch war, manchmal überkommen hatten, überlegte Sebastien. Nur stärker. Eigenständiger. Der Versucher hatte Recht. In jeder Seele gab es einen Hort der Finsternis. Diese Dunkelheit zu bezwingen, war die erste Aufgabe, die Tjured jedem seiner Kinder stellte. So sehr sie sich verändert hatten, als sie in einem Leib vereinigt wurden: Der Kampf gegen das Dunkel in ihnen war geblieben. Er war sogar noch schwerer geworden. Vielleicht gehörte das zu Tjureds Plan? Vielleicht war es eine Prüfung für sie? Gott war vollkommen! Er musste um die Gefahr gewusst haben. Also lag es in seiner Absicht, dass sie mit dieser Kreatur rangen. Wenn sie nur nicht so stark wäre!

Drei von ihnen waren schon vergangen. Sie waren eins geworden mit der Dunkelheit. Sie waren die Schwächsten gewesen. Die Übrigen hatten mehr Seelenkraft, um sich zu widersetzen. Sie würden nicht so schnell besiegt sein, wie diese Kreatur der Finsternis vielleicht glaubte. Und wenn ihr Glaube stark blieb, dann würden sie es sein, die triumphierten.

Der Choral, den seine Brüder und Schwestern in Gedanken angestimmt hatten, hatte eine beruhigende Wirkung auf Sebastien. Er fand zu seiner Zuversicht zurück. Und er konnte sein Herz endlich der Schönheit der Küstenlandschaft öffnen. Das Meer brandete in sanften Wellen gegen ein Labyrinth schwarzer Klippen an. Kleine Strände mit schneeweißem Sand wurden von Eichen beschattet, die dicht hinter den Dünen wuchsen. Die Luft war erfüllt von den Liedern der Vögel, die sich mit dem Wind und der Brandung zu einer großartigen Harmonie vereinigten.