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Kalf lächelte. Er strich ihr das Haar glatt. Sie wagte kaum, zu ihm aufzublicken. Lachte er sie aus? Was mochte er jetzt wohl denken? Seit dem Kampf auf der Palisade war er ihr aus dem Weg gegangen. Zwei endlose Tage lang. Als er am Abend nach dem Kampf nicht zu ihr gekommen war, hatte sie sich wie Dreck gefühlt. Wie eine lüsterne Hure. Nie wieder wollte sie auch nur ein einziges Wort mit ihm reden.

Ihre Schwüre hatten nicht lange gehalten. Sie ertrug es nicht, ohne ihn zu sein. Er und Kadlin waren das Einzige, was ihr noch Kraft gab. An Ulric wagte sie gar nicht zu denken. Dass Yilvina nicht zurückgekehrt war, konnte nur eines bedeuten.

Asla hatte die fünf Boten in ihre Hütte befohlen, um sie zu verabschieden. Sie wusste, dass dann auch Kalf kommen würde. Er hatte die fünf ausgewählt, und er konnte sie nicht einfach ziehen lassen, ohne noch ein paar Worte mit ihnen zu wechseln. Dazu war er nicht der Mann. Natürlich hatte die Möglichkeit bestanden, dass er an der Palisade auf die Boten wartete, um dort kurz mit ihnen zu sprechen. Asla hatte dafür gebetet, dass er die Gelegenheit ergriff, in ihre Hütte zu kommen, ohne dass jemand dies als anstößig empfinden konnte. Kalf strich ihr sanft über die Wange. »Du bist eine wunderschöne Frau.«

Wütend blickte sie auf. Wie konnte er sie wunderschön nennen, so wie sie aussah! Wollte er sie verspotten? Die Traurigkeit war aus seinen Augen gewichen. Sie strahlten. Aslas Zorn verrauchte. Er meinte tatsächlich, was er sagte.

Sie ergriff seine Hand und legte sie auf ihre rechte Brust. Er ließ es geschehen. »Wir dürfen nicht ...«

»Warum? Willst du es nicht?«

Diesmal wich er ihrem Blick nicht mehr aus. »Ich will es, seit ich zum ersten Mal gemerkt habe, dass du mir vom Ufer aus heimlich zusiehst, wenn ich mit meinem Boot hinausfahre. Seit damals weiß ich, dass du die Frau bist, die Luth mir auserwählt hat. Keine andere.«

Sie lächelte traurig. Warum hatten sie nicht zueinander gefunden? Welchen Plan verfolgte der Schicksalsweber mit ihnen? Sie würde Kalf auf den Pfad der Liebe führen müssen. Die Vorstellung, dass er nie zuvor bei einer Frau gelegen hatte, erregte sie und erfüllte sie zugleich auch mit Trauer.

»Wir dürfen nicht... Die Leute ...«, sagte er und ließ die Hand doch auf ihrer Brust ruhen.

»Vergiss die Leute! Bevor der Mond sich wieder rundet, wird vielleicht niemand mehr leben, der weiß, dass du einmal diese Hütte betreten hast. Wir waren füreinander bestimmt. Lass uns die vergangenen Jahre vergessen.« Asla lächelte kokett. »Stell dir vor, es wäre noch einmal jene Sommernacht, in der du mir nachgeschlichen bist, um mir zuzusehen, wie ich in dem kleinen See im Buchenwald bade.«

Kalf blickte erschrocken auf. »Das weißt du?«

»Ich wollte es. Der Weg an deiner Hütte vorbei war nicht der kürzeste Weg zum Buchenwald.« Sie griff nach seinem Waffengurt und löste ihn.

Plötzlich packte Kalf sie, zog sie ungestüm zu sich heran und küsste sie voller Leidenschaft. Asla gab sich ihm hin, auch als sie spürte, wie sich das Kind in ihr bewegte. Einen Augenblick lang dachte sie an Alfadas, doch sie fühlte sich nicht schuldig dabei. Was jetzt geschah, war richtig.

Sie ließ sich in Kalfs Arme sinken. Es war ein Gefühl, als treibe sie in warmem Wasser.

Behutsam bettete der Fischer sie auf das Lager aus alten Decken. Keinen Augenblick ließ er sie dabei los. Seine wilden Küsse und das Gewicht seines Körpers raubten ihr den Atem. Die großen, starken Hände tasteten über ihren Leib. Sie drängten unter das wattierte Kleid. Ungeschickt und voller Sehnsucht.

»Öffne die Lederlaschen an der Seite«, flüsterte sie.

Sie hörte, wie der mürbe Stoff einriss, als er sich an dem Kleid zu schaffen machte. Sie tastete nach den Laschen, um ihm zu helfen. Ihre Hände fanden einander. Die Finger verschränkten sich.

Plötzlich erstarrte Kaff. Dann richtete er sich auf.

Jetzt hörte es auch Asla. Den langen, klagenden Ruf des Wachhorns. Die Trolle! Sie griffen die Palisade an.

Mit einem Satz war Kalf auf den Beinen. Er griff nach seinem Schwertgurt. Erst in der Tür verharrte er. »Ich werde wiederkommen.« Dann verschwand er in der Nacht.

Asla sah, wie eine kleine Spinne durch die Binsen am Boden eilte. Wütend zertrat sie das Tier. »Ich verfluche dich, Luth. Hättest du uns nicht diese eine Stunde gönnen können? Eine Stunde in einem ganzen Leben! Ist das zu viel verlangt?«

Sie griff nach ihrem Schwert. Es blieb keine Zeit mehr, um das Kettenhemd überzustreifen. Asla rannte hinaus in die Kälte. Und sie wusste, dass sie beide niemals wieder in diese Hütte zurückkehren würden. Luth würde ihr den Fluch nicht vergeben! Und sie würde dem launischen Gott auch nicht vergeben!

Erwachen

Svenja begann zu zittern, als sie den Ruf des Horns hörte. Die Trolle hatten noch nie bei Nacht angegriffen! Als die Sonne untergegangen war, hatte sie sich sicher gefühlt. Zumindest für die Nacht. Sie stellte sich vor, wie ihre Nichte Asla in diesem grässlichen Kettenhemd auf den Wall kletterte, um bei den Männern zu sein. Eine Frau sollte nicht mitten in einer Schlachtreihe stehen! Schon gar nicht, wenn sie ein Kind unter dem Herzen trug. Was hatten sie den Göttern getan, dass sie ihnen eine solch schwere Prüfung auferlegten?

Svenja blickte auf und besann sich auf ihre Pflichten. Sie würde bei den Kindern bleiben. Ganz gleich, was geschah. Sie würde sie niemals allein lassen. Die meisten der Kleinen konnten nicht einmal laufen. Es waren schon viel zu viele Kinder gestorben! Sie sah zu der schweren Pfanne neben dem Feuer. Eine Frau sollte nicht mit einem Schwert herumlaufen! Aber sie musste nicht wehrlos sein.

»Sing uns noch ein Lied«, drängte Loki. Sein Vater war vor zwei Tagen gestorben. Die Trolle hatten ihn mit einem Seil vom Wall gezerrt. Der Junge hatte nicht geweint. Er war sechs. Alt genug, um zu begreifen.

»Mein Vöglein flieg ...«, begann Svenja und stockte. So viele Lieder mochte sie nicht mehr singen. Früher hatte sie über die Worte der Kinderlieder nicht weiter nachgedacht. Sie hatte sie gesungen, so wie ihre Mutter für sie gesungen hatte. Aber jetzt...

»Weiter«, drängte Loki.

Auch Kadlin, die in ihren Armen schlief, bewegte sich unruhig. Man hatte ihr all die kleinen Kinder gebracht, die noch lebten. Es waren nur siebzehn. Die meisten schliefen jetzt ruhig bei der gemauerten Feuergrube. So wie die Königin. Die Elfe war Svenja unheimlich. Sie lag da wie eine Tote. Sie rührte sich nicht, man hörte sie nicht einmal atmen. Ihr Gesicht war weiß wie Schnee und von kalter Schönheit, so wie der Fjord an einem Wintermorgen. Asla hatte ihr erzählt, die Königin sei viele hundert Jahre alt. Das konnte nicht stimmen! Sie hatte ein Gesicht wie eine Jungfer, die noch von Männern träumte, weil sie es nicht besser wusste. Es fehlten all die Narben, die das Leben schlug. Die feinen Fältchen um die Augen, die das Lachen schenkte. Die tiefen Furchen um die Mundwinkel, die von Verzweiflung und Enttäuschung kündeten.

»Das Lied!«, sagte Loki. »Hast du vergessen, wie es weitergeht?«

Svenja lächelte. »Ja, hab ich. Ich sing euch ein anderes. Das Lied vom goldenen König. Das ist auch viel schöner.« Sie atmete tief ein. Kadlin bewegte sich im Schlaf und drückte ihr den Kopf gegen den Busen.

»Sind so viele Fische, tief am Fjordengrund ...«

Svenja versagte die Stimme. Die Elfe! Sie hatte die Augen geöffnet und sah sie an. Was für Augen! Die Amme begann wieder zu zittern. Jetzt glaubte sie, dass die Königin schon seit Jahrhunderten lebte.

»Du musst keine Angst vor mir haben, Menschentochter.« Die Elfe sprach mit weicher, freundlicher Stimme. Wer so eine Stimme hatte, vor dem musste man sich nicht fürchten, ganz gleich, wie die Augen aussahen. Die Kinder blickten jetzt zu der Königin. Keines schien vor ihr Angst zu haben. Loki ging sogar zu ihr hinüber.

»Warum hast du so lange geschlafen?«, fragte der Junge.