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»Ich war verwundet und sehr müde.« Die Elfe sah sich um. Ihre Augen erschienen Svenja wie Abgründe. Sie verschlangen gierig, was sie sahen.

»Wie bin ich hierher gekommen, Menschentochter? Und wie ist dein Name?«

»Svenja heiße ich.« Die Amme wunderte sich, wie sicher ihre Stimme klang. Ihre Hände hatten aufgehört zu zittern. Tiefe Ruhe überkam sie. Sie berichtete, wie die Elfen nach Firnstayn gekommen waren, wie der Geisterhund sie heimgesucht hatte und schließlich von Gundar getötet worden war. Dann erzählte sie von den Trollen und der Flucht über das Eis, die bis hierher nach Sunnenberg geführt hatte. Während sie sprach, erwachte Kadlin. Das kleine Mädchen ging hinüber zu der Elfe, so als habe sie die fremde Königin schon immer gekannt. Die Herrin der Elfen strich Kadlin sanft über das Haar. »Du bist die Tochter von Alfadas. Ich kannte deinen Vater schon, als er so groß wie du war.«

»Vater fort«, sagte Kadlin undeutlich.

Svenja lief ein Schauer über den Rücken. Die Kleine konnte noch nicht sprechen! Was hatte die Königin mit ihr gemacht? Svenja wollte aufstehen und Kadlin in die Arme schließen, doch ihre Beine waren wie gelähmt. »Ulric fort. Mama traurig. Gut, dass du aufwachst.« Die Stimme des Mädchens wurde immer deutlicher. Svenja sah seit fast dreißig Jahren nach Kindern, doch so etwas hatte sie noch nie erlebt.

»Lass Kadlin gehen«, sagte sie ängstlich.

Die Kleine wandte sich zu ihr um. »Mir geht es gut, Tante. Mach dir keine Sorgen.«

Emerelle nahm die Hand vom Kopf des Kindes. Wieder war in der Ferne das Kriegshorn zu hören. »Ich bin es, was die Trolle wollen. Ich werde gehen und mich ihnen stellen. Dies ist nicht euer Krieg, Menschenkinder. Er hätte es niemals sein dürfen. Ich habe es nicht gesehen ...«

Die Amme verstand nicht, was die Königin mit ihren letzten Worten sagen wollte. Sie atmete tief ein. Plötzlich fühlte sie sich voller Kraft. Sie sprang auf und schloss Kadlin in ihre Arme.

Emerelle erhob sich von ihrem Lager, als habe sie nur kurz geruht. Blass und mit einem dünnen Nachthemd bekleidet, sah sie wie ein Geist aus. Sie verbeugte sich knapp vor Svenja. »Ich danke dir dafür, dass du so viele Stunden an meinem Lager gewacht hast. Du hast eine sehr schöne Singstimme, Menschentochter. Das ist eine besondere Gabe. Ich hoffe, du wirst den Kindern bald wieder fröhlichere Lieder singen.« Mit diesen Worten öffnete sie die Tür. Der eisige Atem des Winters kroch in die kleine Hütte. »Kadlin mag dich übrigens sehr, Svenja. Sie wollte, dass ich dir das sage.«

Die Amme drückte das kleine Mädchen eng an sich.

»Dada.« Kadlin deutete auf die Tür. Eine Windbö stürmte gegen die kleine Hütte an und ließ die hölzernen Dachschindeln klappern. Die Tür schwang knarrend in den Angeln.

»Sperr den Winter aus, bevor uns Väterchen Firn allen in die Nasen beißt«, befahl Svenja Loki. Dann beäugte sie misstrauisch Kadlin. Das Kind schien unverändert. »Was hast du mit der Elfe besprochen?«

Kadlin legte den Kopf schief und lächelte. »Hawda.« Erleichtert atmete die Amme auf. Der Spuk war vorüber.

Die Zuflucht

Blut bahnte ihnen einen Weg durch den tiefen Schnee. Vor einer Weile hatten sie Lichter auf dem Eis des Fjords gesehen und hielten sich deshalb wieder tiefer in den Wäldern verborgen. Ulric war sehr müde, aber er hatte sich fest vorgenommen, sich nicht zu beklagen. Schließlich hielt Halgard auch durch, obwohl das blinde Mädchen seit einer Weile bei jedem Schritt leise seufzte. Der Junge blickte zu der Elfe hinüber. Yilvina ging schweigend. Sie presste die linke Hand auf ihre Hüfte. Ihr notdürftiger Verband war blutdurchtränkt. Die Wunde hatte sich wieder geöffnet, obwohl schon so viele Tage vergangen waren, seit sie ins Lager der Trolle gekommen war, um ihn und Halgard zu holen.

Ulrics Magen knurrte. Sie hatten seit drei Tagen kaum etwas gegessen. Die Elfe hatte ein paar Nussverstecke von Eichhörnchen aufgestöbert, aber Nüsse allein machten nicht satt. Yilvina hatte sie tief in den Wald, weit fort vom Fjord geführt. Sie glaubte, dass dort niemand nach ihnen suchen würde.

Ulric kannte genug Geschichten über die Jagd. Er war sich sicher zu wissen, was die Elfe dachte. Sie war wie eine Wölfin, der ein Eber den Bauch zerfetzt hatte. Sie wusste, dass ihre Kraft mehr und mehr versiegte, und wollte nur noch ihre Jungen retten. Deshalb waren sie zum Fjord zurückgekehrt. Yilvina hoffte darauf, die Flüchtlinge wieder zu finden. Sie wollte ihn und Halgard in sicherer Obhut wissen. Und dann würde sie sich in den Wald zurückziehen, um zu sterben.

Kurz nach Sonnenuntergang waren die Lichter auf dem Fjord erschienen. Sie hatten die schattenhaften Gestalten auf dem Eis nicht genau erkennen können. Es mussten die Trolle sein! Sie zogen weiter nach Süden, um sich neue Opfer zu suchen.

Eigentlich hatte Ulric erwartet, dass Yilvina als Elfe selbst bei Nacht noch auf eine Meile Entfernung ein Perlhuhn von einem Schneehasen unterscheiden könnte. Aber die Elfe sagte, ihr sei so schwindelig, dass sie kaum ihre eigenen Füße sehen könne. Deshalb hatten sie entschieden, einen Bogen um die Gestalten auf dem Eis zu machen.

Wenn er nur nicht so müde wäre, dachte Ulric verzweifelt. Gut, dass Blut ihnen einen Weg in den tiefen Schnee pflügte. Ulric hätte nicht die Kraft dazu gehabt. Sobald er die Spur verließ, versank er bis über die Knie im Schnee. Er würde wahrscheinlich keine Meile weit kommen. Es war besser, sich auf die Kraft des Hundes zu verlassen.

Halgard hielt sich an Bluts Schwanz fest. Zuerst hatte Ulric sich Sorgen gemacht. Er wusste, dass Hunde es eigentlich nicht mochten, wenn man sie am Schwanz zog. Aber Blut hatte es über sich ergehen lassen. Vielleicht spürte er ja, dass Halgard keine andere Wahl hatte. Manchmal stützte sie sich sogar auf den Hund auf. Ohne ihn wäre ihre Flucht schon lange gescheitert.

Gestern hatten sie einen Hof gefunden, der niedergebrannt und ausgeplündert war. Ulric hatte gelernt, dass es keinen Unterschied machte, ob man zwischen vier Wänden ohne Dach übernachtete oder zwischen ein paar Felsen, die sie vor dem Wind schützten.

Der Junge blickte zu Yilvina. Man konnte sehen, wie sie die Zähne zusammenbiss. Sicher hatte sie große Schmerzen. Dunkles Blut sickerte durch ihren Verband. Alle paar Schritt fiel ein dicker, roter Tropfen in den Schnee. Aber bei der breiten Fährte, die der Hund legte, mussten sie sich darum nicht mehr scheren. Man musste kein geübter Fährtenleser sein, wenn man sie verfolgen wollte. Es genügte, Augen im Kopf zu haben. Selbst bei Nacht war die tiefe Furche im Schnee unübersehbar.

Yilvina blickte zurück. Sie stützte sich gegen einen schneeüberzogenen Birkenstamm und blinzelte. Wütend schüttelte sie den Kopf.

Der Junge stutzte. War da ein Geräusch? Ulric schaute sich die Augen aus dem Kopf, konnte aber nichts erkennen. Schon nach wenigen Schritt verschwammen die dicht an dicht stehenden Baumstämme mit der Nacht zu einer undurchdringlichen schwarzen Mauer. Knirschten da Schritte im Schnee? Oder war es nur ein Geräusch von Ästen? Wer sollte ihnen folgen?

Ulric dachte an den Kampf im Trolllager. Yilvina und Blut waren mitten in der Nacht erschienen. Die Elfe hatte nur ihn und Halgard holen wollen. All die anderen Gefangenen hatten sie nicht gekümmert. Das war nicht gerecht! Er hatte dagegen aufbegehrt. Dadurch erst waren andere aufmerksam geworden. In Dunkelheit und Kälte war jeder mit sich beschäftigt gewesen. Die meisten hatten geschlafen. Manche hatten steif dagelegen. Erfroren.

Ulric wusste jetzt, wie man die Toten von den Schlafenden unterschied. Bei den Toten blieb Schnee in der feinen Linie zwischen den Lippen liegen.

Als er verlangt hatte, dass die Elfe sie alle rettete, hatten die anderen Gefangenen sich um sie geschart und mitgenommen werden wollen. Und dann waren die Wächter gekommen. Zwei Trolle mit Steinäxten. Yilvina hatte weniger Zeit gebraucht, sie zu töten, als Mutter benötigte, um ein Huhn zu schlachten und auszunehmen. Ulric wünschte sich, dass er auch einmal so kämpfen könnte. Die Elfe bewegte sich schneller, als seine Augen ihr zu folgen vermochten.