Schließlich führten ihn seine Schritte zu Blut. Sie hatten den Hund am späten Nachmittag mehr tot als lebendig in einer Schneewehe am Ufer gefunden. Sein Fell war ganz mit Eis überzogen gewesen. Obwohl er am Ende seiner Kräfte war und einen Lauf gebrochen hatte, versuchte er sich davonzuschleppen, als Alfadas zu ihm kam. Der Herzog hatte sich fast eine Stunde Zeit für den Hund genommen. Er hatte ihm das Eis aus dem Fell gebürstet und ihn mit kleinen Streifen Trockenfleisch gefüttert. Blut war mit einem dicken Seil an einem der Schlitten angebunden. Als der Hund Alfadas sah, sprang er auf und kläffte. Wieder wollte er davonlaufen. »Ruhig, mein Feiner. Ruhig. Ich weiß, was du willst.«
Der Herzog kniete neben ihm nieder. »Du willst mich zu Kadlin bringen, nicht wahr. Gedulde dich noch diese Nacht. Morgen werde ich mit dir kommen.«
»Bist du dir da sicher?«
Alfadas musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer hinter ihm stand. Es hatte ihn schon gewundert, dass Ollowain während des Kriegsrats kein einziges Wort gesagt hatte.
»Bist du dir sicher, dass du leben willst? Dein Schlachtplan ist die blanke Unvernunft. Ich war dabei, als der junge Holzfäller von den Trollen erzählt hat. Er sagte, es seien vier- oder fünfhundert. Deine Veteranen mögen sehr tapfer sein, Herzog, aber du musst vier von ihnen für jeden Troll aufbieten, den es zu besiegen gilt. Wenn du morgen kämpfst, werden sie alle sterben. Denk an Asla und Kadlin!«, ermahnte ihn der Elf.
Alfadas strich Blut über das struppige Fell. »Ich denke an nichts anderes. Sie hätten den Hund nicht geschickt, wenn sie nicht in höchster Gefahr wären.«
»Du machst dir da etwas vor, mein Freund! Asla weiß doch nicht einmal, dass du zurückgekehrt bist. Warum sollte sie den Hund schicken?«
»Sie spürt, dass ich auf dem Weg zu ihr bin«, entgegnete er wütend.
»Das redest du dir ein, und das weißt du auch. Es gibt nur einen vernünftigen Grund, warum Blut nicht mehr bei deiner Tochter und deinem Weib ist.« Ollowain packte ihn bei den Schultern. »Verschließ dich nicht vor dem Offensichtlichen! Führe deine Männer nicht in den Tod, um zu retten, was längst verloren ist!«
»Sie leben!« Alfadas stieß seinen Freund von sich. »Sie sind hinter der zweiten Palisade, und sie warten auf mich. Du musst morgen nicht kämpfen, wenn du Angst hast. Die Maurawan werden dort sein. Sie sind der Schlüssel zum Sieg. Und vielleicht kommen auch noch Orimedes und seine Kentauren. Lysilla hat ihn sicher längst gefunden.«
»Du weißt, dass ich den Tod nicht fürchte«, sagte Ollowain traurig. »Aber ein Feldherr, der seine Schlachtreihen mit Hoffnungen statt mit Kriegern füllt, der macht mir in der Tat Angst. Dennoch werde ich morgen bei dir sein, mein Freund. Wenn du schon nicht auf dich achtest, dann muss ich es tun.«
Alfadas blickte nach Süden. Die Sturmböen hatten nachgelassen. Es fing an zu schneien. »Sie sind dort irgendwo«, sagte er leise. »Und sie brauchen mich.«
»Sie liegt vor dir!«
Ollowain blickte die Schlachtlinie entlang. Alle waren sie gekommen, obwohl Alfadas ihnen freigestellt hatte zu gehen. Oder vielleicht gerade weil er es getan hatte?
Er sah nach rechts zu dem Hügel. Die Maurawan waren nicht erschienen! Nicht einmal Silwyna war zurückgekehrt. Aber die Trolle hatten sich eingefunden. Auch wenn es keine fünfhundert zu sein schienen, waren es allemal mehr als genug, um die Menschensöhne in Stücke zu schlagen.
Der Herzog saß mit versteinerter Miene auf dem grauen Hengst, den ihm Fürst Fenryl zum Abschied geschenkt hatte. Jetzt war es zu spät, um sich noch zurückzuziehen.
Die Trolle rückten in einem ungeordneten Pulk vor. Sie bewegten sich auf den rechten Flügel zu, dorthin, wo der Hügel lag, den niemand besetzt hielt. Wenn sie ihn erreichten, könnten sie die ganze Schlachtlinie der Menschenkinder aufrollen.
Alfadas zog sein Schwert. Mit einem gezwungenen Lächeln wandte er sich dem kleinen Häuflein Reiter zu. »Wie es scheint, werden wir unsere Elfenfreunde aus den Wäldern ersetzen müssen.«
Das metallische Klacken der Armbrüste erklang. Dutzende Bolzen schlugen in die Flanke der Trolle. Krieger strauchelten und schrien, doch der Vormarsch auf den Hügel verlangsamte sich nicht. So gering schätzten die Hünen die Kampfkraft der Menschen, dass sie nicht einmal jene riesigen Schilde trugen, die Ollowain aus den Kämpfen um Phylangan kannte.
Die Bogenschützen unter Veleifs Kommando schossen Salve auf Salve. Doch sie waren zu weit entfernt, um großen Schaden anzurichten.
Alfadas hob sein Schwert hoch über den Kopf. »Vorwärts, Männer! In Horsas letzter Schlacht seid ihr besiegt worden. Nun zeigt allen, dass ihr heute die Tapfersten der Tapferen seid!« Ohne sich noch einmal umzudrehen, um zu sehen, wer ihm in diesen aussichtslosen Kampf folgte, gab Alfadas seinem Grauen die Sporen. Ollowain brachte seinen Hengst an die Seite des Menschensohns. Keiner der anderen Krieger blieb zurück. Sie waren zwanzig gegen ein paar hundert. Der Elf lächelte dünn. Es gab keinen Zweifel, wie dieses Gefecht ausgehen würde.
Im tiefen Schnee kamen die Pferde nur langsam voran. Die Trolle würden zuerst den Hügel erreichen. Der Schwertmeister sah, wie Mag versuchte, eine Einheit aus Speerträgern schwenken zu lassen, um auf die veränderte Lage zu reagieren. Binnen Augenblicken geriet die Formation hoffnungslos durcheinander. Lambis Männer schwenkten ein, doch die Speerträger standen ihnen nun im Weg. Die Trolle hatten es geschafft, mit ihrem Angriff auf die Flanke die ganze Schlachtlinie durcheinander zu bringen.
Ollowain trieb seinen Hengst an. Fünfzig Schritt noch, dann erreichten die Trolle den Hügel. Eine zweite Salve Armbrustbolzen riss einige ihrer Krieger zu Boden. Die hünenhaften Kämpfer brüllten ihnen ihre Schlachtrufe entgegen. Sie verhießen Tod und Gemetzel.
Plötzlich lief eine Welle über den Hügelkamm. Der Schnee wölbte sich auf. Schlanke weiße Gestalten wuchsen aus dem Boden. Ollowain erkannte Silwyna zwischen ihnen. Die Maurawan! Auf kürzeste Distanz schossen sie ihre Pfeile ab. Fast alle Krieger in der Frontreihe der Trolle wurden zu Boden gerissen. Die nachdrängenden Kämpfer strauchelten über die Gestürzten. Eine weitere Salve Pfeile ließ den Angriff vollends zusammenbrechen.
Ollowain konnte kaum fassen, was er sah. Die Maurawan mussten schon in der Nacht ihre Stellung auf dem Hügel bezogen haben. Sie hatten Mulden in den Schnee gegraben und sie mit ihren weißen Umhängen und Pelzen abgedeckt, um sich einschneien zu lassen. Der Neuschnee hatte alle Spuren gelöscht, sodass es ausgesehen hatte, als habe niemand den Hügel betreten.
Langsam erholten sich die Trolle von ihrem Schock. Entschlossen, den Sieg noch nicht verloren zu geben, rannten sie gegen den Pfeilsturm an.
»Vorwärts!«, rief Alfadas voller Begeisterung. »Fallen wir ihnen in die Flanke! Unsere Waffenbrüder aus Albenmark sollen nicht allen Ruhm allein ernten.«
Ein helles Signalhorn erklang. Noch einmal liefen Wellen durch den Schnee. Reiter und Pferde erhoben sich aus eingeschneiten Verstecken. Die Elfen schwangen sich in die Sättel. Gewappnet in weiße Rüstungen aus Leinen und Leder, mit silbernen Helmen, von denen helle Rosshaarschweife flatterten, sahen sie aus wie verzauberte Kinder, die der Winter selbst geboren hatte. Beritten auf Schimmeln, mit wehenden, schneeverkrusteten Umhängen, stürmten sie den Hang hinab. Lange Lanzen schimmerten im Morgenlicht. Binnen weniger Herzschläge bildeten sie einen Angriffskeil, der auf die Mitte der feindlichen Schlachtlinie zielte.
Auch Alfadas und seine Krieger hatten die Trolle nun fast erreicht. Pfeile sirrten über ihre Köpfe hinweg, dann legten die Schützen auf dem Hügel die Bögen nieder und zogen ihre Langschwerter. Angeführt von Silwyna, stürmten sie den Hang hinab.