Der Trollfürst presste seine Hände auf den Leib. Blutige Gedärme rutschten aus dem klaffenden Schnitt. Alfadas stand dicht vor Dumgar. Er hielt ihm einen schlanken Dolch entgegen. »Kennst du diese Waffe, Mörder? Sie gehörte einem Kind. Ich werde dir damit deine Leber herausschneiden und sie dann an meinen Hund verfüttern. Und solltest du wiedergeboren werden, so schwöre ich dir, werde ich dich finden und noch einmal töten.«
»Du bist sicher der Elfenjarl«, stieß Dumgar hervor. »Du kommst zu spät!« Ein Hustenkrampf schüttelte ihn. Er ging in die Knie. Noch immer hielt er mit beiden Händen seinen Leib umklammert. »Du hast ein hübsches, blondes Weib, dem du einen dicken Bauch gemacht hast, nicht wahr. Meine Jäger haben sie letzte Nacht im Wald gefunden. Von ihrem Stolz ist da nicht mehr viel geblieben.«
Alfadas ließ den Dolch sinken. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.
Der Troll zog seine Hände zurück. Bläuliche Darmschlingen quollen aus seinem feisten Leib und platschten in den Schnee.
»Es war köstlich, ihr begegnen zu dürfen.« Dumgar hustete. Weitere Darmschlingen quollen ihm aus dem Leib. »Sie liegt vor dir«, stieß er keuchend hervor. »Sie liegt vor dir!«
Hustend sank er vornüber in den Schnee.
Zum Licht
Ulric rieb sich über die nackten Arme. Er fror erbärmlich. Gundar hatte nicht Recht behalten. Ihre Kleider waren nicht trocken geworden. Und das Feuer war verloschen. Sie saßen schon eine Ewigkeit in der Dunkelheit. Die Kälte hatte Ulric geweckt. Er hätte nicht einschlafen sollen! Aber er war so müde gewesen. Er hatte verschlafen und kein neues Holz auf die Glut gelegt. Er könnte heulen vor Wut. Aber es half nicht. Er hatte die Asche durchwühlt in der Hoffnung, wenigstens noch einen winzigen Funken zu finden. Vergebens. Er hätte nicht einschlafen dürfen!
Halgard machte ihm keine Vorwürfe. Sie sprach schon lange nicht mehr. Ihre Zähne klapperten. Ihre Hände fühlten sich eisig an.
Wenn wenigstens Blut zurückkehren würde! Ob er wohl noch lebte? Ulric lauschte in die Finsternis. Er betete, das leise Plätschern von Wellen zu hören. Aber es war totenstill.
Totenstill! Ulric musste an Halgards Worte denken. Sie lagen hier in einem Grab. Yilvina atmete nicht. Der Troll... Manchmal glaubte Ulric zu hören, wie er sich ganz leise bewegte. Der Kerl war heimtückisch! Vielleicht hatte er sich ja nur tot gestellt? Oder er war eine Weile ohnmächtig gewesen. Und jetzt wartete er darauf, sie anzugreifen.
Trolle waren heimtückisch, hinterhältig und unbegreiflich! Er dachte daran, wie ihn der Troll mit den Brandnarben auf dem Bauch in Honnigsvald gepackt und ihm seinen Dolch abgenommen hatte. Der Mistkerl hatte sich gar nicht dazu herabgelassen, richtig mit ihm zu kämpfen. Seinen Dolch hatte er einfach weggeworfen. Und dann hatte der Troll ihn zu dem Platz gebracht, wo alle geschrien hatten. Ulric wusste, was da getan wurde! Er hatte es gesehen.
Dort hätte auch er umgebracht werden sollen.
Doch dann war dieser andere Troll mit dem Steinhammer im Gürtel gekommen. Die beiden hatten geredet. Der Steinhammertroll hatte Ulric dann lange angesehen und ihm schließlich etwas in seiner Grenzsprache gesagt. Ulric hatte das natürlich nicht verstanden, aber er hatte begriffen, dass er gehen durfte. Halgard hatte er schnell wieder gefunden. Er war gut darin, Halgard wieder zu finden!
Sie war sehr erleichtert gewesen, als er zurückgekehrt war. Ganz wie in der Stadt, als er von Großvaters Schlitten gesprungen war. Er hatte Erek gesagt, er werde nach hinten zu Kalf und Mutter gehen. Da hatte er gelogen. Hoffentlich würde Großvater ihm das verzeihen.
Halgard war verloren gegangen, als die Schlitten losgefahren waren, ganz wie er es befürchtet hatte. Aber er hatte sie gleich gefunden. Sie hätten es sogar fast noch geschafft, den letzten Schlitten zu erreichen, hätten nur die Wachen das Stadttor nicht so schnell geschlossen ... Als dann Trolle nach Honnigsvald gekommen waren, hatten sie ihn und Halgard wie alle anderen zum Ufer des Fjords gebracht. Und dann hatten sie damit angefangen, einzelne Männer und Frauen zu holen. Ulric erinnerte sich an die Schreie. Das war schlimm gewesen. Daran sollte er nicht denken! Es machte ihm selbst jetzt noch Angst.
Er starrte in die Dunkelheit.
Wenn er nur ein klein wenig sehen könnte! Ulric hob die Hand und bewegte sie langsam auf sein Gesicht zu. Selbst als die Handfläche seine Nasenspitze berührte, konnte er sie nicht erkennen. Zu Hause war es nie so dunkel gewesen. Selbst wenn die dicke Wolldecke vor seiner Nische zugezogen war, kam immer noch ein leichter Lichtschimmer herein. Es war, als habe er keine Augen mehr im Kopf. Er stutzte. Konnte das sein? Vielleicht hatte der Troll ihm ja die Augen fortgehext?
Ulric tastete nach seinem Gesicht. Nein. Sie waren noch da.
»Hast du auch Angst?«, fragte Halgard.
Der Junge konnte ihre Worte kaum verstehen, so schwach war ihre Stimme.
»Nein!«, sagte er entschieden. Er war doch ihr Held! Er durfte keine Angst haben. Er hatte sie vor dem Troll beschützt. Und er war zurück nach Honnigsvald gegangen, um sie zu holen. Wenn es nur nicht so dunkel wäre ... Es war leichter, keine Angst zu haben, wenn man sehen konnte.
»Ob es draußen wohl Tag ist?«
»Ich weiß nicht.« Ulric kam sich so nutzlos vor. Er machte sich von dem Mädchen los. »Ich seh einmal nach Yilvina. Vielleicht kann ich etwas für sie tun.« Eigentlich hätte er nicht einmal aufstehen müssen, um die Elfe zu berühren. Aber Männer taten etwas. Sie saßen nicht nur herum!
Als er Yilvinas Leib anfasste, erschrak er. Sie war eiskalt! Die ganze Flucht über hatte sie immer warme Hände gehabt, Kälte hatte ihr nie etwas anhaben können. Das war bei Elfen wohl so. Sie froren einfach nicht. Er wünschte sich, auch ein Elf zu sein! Wenn sie jetzt kalt war ... Ulric schluckte. Dann war sie wohl auch tot. Wieder packte ihn die Angst. Hier in der Höhle starb man! Das war kein Ort für die Lebenden. »Wie geht es ihr?«, wollte Halgard wissen.
Er konnte ihr das nicht sagen. Es würde ihr sicher noch größere Angst machen als ihm. Sie war schließlich ein Mädchen. »Sie schläft tief und fest. Yilvina wird sicher wieder gesund.«
»Sie hat sich schlimm angefühlt...«
»Yilvina ist eine Elfe. Die bringt so was nicht um. Sie ...« Plötzlich konnte er die Tränen nicht mehr unterdrücken. Es war alles so schrecklich. Niemand würde sie hier in dieser Höhle finden! Halgard kroch zu ihm herüber. Ihre Hand strich sanft durch sein Haar. »Ist es hier ganz dunkel?«
»Ja«, schluchzte er mit halb erstickter Stimme.
»Vielleicht sollten wir ins Wasser gehen? Draußen war doch ein Windbruch, hast du gesagt. Da, wo ich mich mit den Haaren verfangen habe. Da finden wir sicher trockenes Holz. Und eine Erdhöhle, in die wir uns verkriechen und ein Feuer machen können. Yilvina hat irgendwo einen Feuerstein. Ich habe gehört, wie sie Funken daraus geschlagen hat. Den nehmen wir mit. Und ihr Messer.«
»Ich glaube, die Sachen sind in ihrer Jagdtasche.« Ulric tastete aufgeregt umher. Das war eine gute Idee! Hier im Dunklen würde es ihnen niemals mehr gelingen, ein Feuer anzuzünden. Man musste dabei sehen, was man tat!
Aber draußen ... Da würde es schon glücken.
Er fand die Tasche. Hastig durchfühlte er sie. Da waren ein kleiner Dolch, runde Holzdöschen, die sich angenehm glatt anfühlten, lederne Beutelchen, irgendwelche Kräuter, die zwischen seinen Fingern knisterten. Und endlich ertastete er auch den Feuerstein. »Ich hab die Sachen«, verkündete er stolz.
»Dann lass uns zum Wasser gehen. Aber du musst mich bei der Hand halten. Ich habe Angst, dass ich sonst verloren gehe.«
»Ich suche den Gürtel«, entgegnete der Junge eifrig.
»Den schnall ich mir um. Ich brauche meine Hände doch zum Schwimmen und um uns aus dem Eisloch zu ziehen. Mit dem Gürtel wird es gehen!« Die Vorstellung, hinaus zum Licht zu kommen, ließ ihn fast die Kälte vergessen. Nur dumm, dass Halgard auf die Idee gekommen war. Das hätte ihm auch einfallen können. Wäre es bestimmt auch, wenn er noch ein wenig nachgedacht hätte!