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»Wie soll ich über ein Land herrschen, wenn ich nicht einmal meine Familie zu schützen vermag?«, fragte der Herzog verbittert. »Ich will keine Krone! Ich werde meine Frau und mein Kind suchen. Nichts anderes ist jetzt mehr von Bedeutung für mich.«

Das war genug! Alfadas musste wieder anfangen, klar zu denken! Verzweifelt packte Lambi ihn bei den Schultern. »Komm wieder zu dir! Was läufst du diesem lahmen Kläffer hinterher? Ich weiß nicht, was der Troll zu dir gesagt hat, als er vor deinen Füßen verreckt ist, aber diese dreckigen Bastarde sind Lügner. Vergiss ihn! Seine Worte waren die letzte Waffe, die ihm noch blieb. Dieser stinkende Misthaufen wollte dich verletzen, begreif das doch endlich! Und so wie es aussieht, hat er dich wirklich tief in deinem Herzen getroffen. Wir sind Waffenbrüder. Wir sind zusammen durch das Blut von Freunden und Feinden gewatet. Du hast mich in eine fremde Welt und wieder zurückgeführt. Traue meinen Worten und nicht diesem Mistkerl von einem sabbernden Trollfürsten! Ich kann verstehen, dass du deine Familie suchst. Aber warum hier?« Lambi deutete auf die steile Felswand vor ihnen. »Das führt zu nichts! Warum bist du nicht in den Bergen auf dem Rentierpfad? Das hier macht keinen Sinn! Ich hätte nicht übel Lust, dir mit einer Keule eines über den Schädel zu ziehen, damit du ein paar Stunden zur Ruhe kommst. Wenn du erst einmal geschlafen hast, wirst du einsehen, dass du hier nur Gespenstern nachjagst!«

Alfadas machte sich los. »Du verstehst das nicht. Blut ist der Hund meiner Tochter Kadlin. Er gehorcht niemandem außer ihr. Er wird mich zu ihr führen. Es kann gar nicht anders sein. Du wirst schon sehen.« Mit diesen Worten duckte sich der Herzog unter dem Baumstamm hindurch.

Blut war nur ein paar Schritt von der Steilwand entfernt. Wie besessen kratze er am Eis, doch seine Pfoten rutschten nur haltlos vom kalten Panzer ab, mit dem der Fjord sich für den Winter gewappnet hatte. Kalter Wind fegte den Schnee in dünnen Schleiern über den Fjord und heulte in den Felsen.

Lambi standen Tränen der Wut in den Augen. Was konnte er denn noch tun, um seinen Freund wieder zur Vernunft zu bringen? Er wünschte, er wüsste, was dieser verfluchte Troll gesagt hatte. Ollowain, der daneben gestanden hatte, wollte es ihm nicht verraten. Was für Worte vermochten einen Mann wie Alfadas in den Wahnsinn zu treiben?

Veleif trat neben den Jarl. »Hast du es ihm gesagt?«, fragte der Skalde.

»Die Krone kümmert ihn einen Dreck! Und er wäre kein Mann, dem ich folgen würde, wenn es anders wäre. Gib ihm ein paar Tage, bis er sein Weib und seine Tochter gefunden hat.«

Veleif schüttelte den Kopf. »Menschen warten, Königreiche nicht. Das muss er begreifen. Ich glaube nicht, dass die Jarls ihn ein zweites Mal fragen werden. Eine Krone weist man nicht zurück.«

»Wen sollten sie sonst fragen? Jeder von ihnen hätte zu viele Neider. Nein, Alfadas ist der einzige Mann, auf den sich alle einigen können. Sie werden ihn wieder fragen!«, sagte Lambi mit Nachdruck.

»Und wenn man dich fragen würde?«

Der Jarl schnaufte. »Mich? Hast du jemals von einem König mit einer halben Nase gehört? Vergiss es, Veleif. Ich erinnere mich noch an die grinsenden Gesichter, als ich in Ketten nach Albenmark geschleppt wurde. Die betrachten mich nicht einmal als ihresgleichen. Eher findest du ein Schaf, das Goldstücke scheißt, als dass diese eingebildeten Hurenreiter mich über sich stellen.«

Der Skalde kauerte sich in den Windschatten des Stammes.

»Vielleicht sollte ich ein Heldenlied über dich dichten. Mit der Zeit würde man dich in einem anderen Licht sehen.«

»Worüber willst du singen? Über einen Helden, der goldene Türen klaut? Lass es! Wenn du mehr als zwei Verspaare über meine Heldentaten zusammenbringen wolltest, müsstest du hemmungslos lügen.« Lambis Blick wanderte zu den Elfen. Sie verharrten in einigem Abstand. Der eisige Wind zerrte an ihren Gewändern. Die Königin trug nicht mehr als ein dünnes Kleidchen und war barfuß! Fröstelnd wünschte sich der Jarl, er hätte sein goldenes Amulett behalten können.

Oswin kam zu ihnen herüber. Lambi fühlte sich unwohl in Anwesenheit des jungen Jarls. Oswin war zu hübsch für einen Mann! Mit seinen grünen Augen, dem langen, rotblonden Haar und den bartlosen Wangen sah er aus wie eine Jungfer. Und zu allem Überfluss benahm er sich in Gegenwart der Männer, die aus Albenmark zurückgekehrt waren, so unbeholfen wie ein Jüngling, der zum ersten Mal in Liebe entflammt war. Für ihn waren alle, die ins Elfenreich gezogen waren, Helden.

»Darf ich mich zu euch stellen?«, fragte Oswin. Lambi war versucht, es ihm zu verbieten, nur um zu sehen, wie der junge Jarl reagieren würde. »Mach nur«, brummte er stattdessen und sah zu Alfadas hinüber. Der Herzog kauerte auf dem Eis und starrte in das dunkle Wasser darunter. Noch immer versuchte der verrückte Hund, ein Loch ins Eis zu kratzen.

»Was Blut wohl erzählen würde, wenn er reden könnte«, sagte Veleif und rieb sich fröstelnd die Arme.

»Hunde, die reden? Man muss wohl Skalde sein, um sich so einen Unsinn auszudenken.«

»Na, irgendeinen Grund wird Blut schon haben, dass er Alfadas hierher schleppt.« Das dumme Geschwätz ärgerte Lambi.

»Ich hab auch nicht für alles einen Grund, was ich tue. Stell dir vor, manchmal kratz ich mich am Hintern, ohne dass es mich gejuckt hat.«

Oswin blickte betreten zu Boden. Offensichtlich war das kein Gespräch, wie er es von Helden erwartet hatte. Lambis Laune besserte sich sofort, als er sah, wie verlegen der junge Jarl wurde.

»Du vergleichst dich also mit einem Hund?«, fragte Veleif spitz.

»Wie kommst du darauf? Soll das ein Scherz sein? Mach noch so einen Spruch, und ich verknote dir deine Finger so, dass du in einsamen Nächten in Zukunft deine Füße zu Hilfe nehmen musst!«

»Du sagtest doch ...«, begann Veleif.

Oswin ließ sich auf die Knie nieder. »Seht ihr das?« Er wischte etwas Schnee zur Seite. »Bei allen Göttern! Das sind ja Kinder!«

Lambi sah nur weiße Schemen. Etwas hatte sich im Wasser zwischen den dunklen Ästen verfangen. Es bewegte sich sanft mit der Strömung. Plötzlich strich eine Hand über das Eis. Eine blasse Kinderhand! Ein Gesicht erschien. Einen Augenblick nur. Doch lange genug, es zu erkennen. Lambi hatte den Jungen nur ein einziges Mal zuvor gesehen ... Aber der Elfendolch ... Wie war das möglich? Der Kleine war doch schon in Honnigsvald ...

Die Strömung drückte den Jungen etwas tiefer. Wieder war er nur ein heller Schemen. Lambis Magen zog sich zusammen. Er blickte hinüber zu Alfadas. Wie sollte er ihm das sagen? Sollte er es sagen?

»Es ist sein Sohn, nicht wahr?«, flüsterte Veleif. »Ich dachte ...« Alfadas sah auf. Noch immer kratzte der Hund am Eis. »Hier ist eine Bruchstelle«, sagte der Herzog mit schwerer Stimme.

Lambi zog sich am Baumstamm hoch. Warum hatte er nur mitkommen müssen! Alfadas musste es wissen. Er sollte von seinem Jungen Abschied nehmen können!

Das Totenfeuer

Sein Haar klebte Alfadas nass in der Stirn. Er war in der Höhle gewesen und hatte die Spuren gelesen. Verzweifelt presste er die Lippen zusammen und kämpfte gegen die Tränen an. Sein Junge ... Er hatte Yilvina und Halgard verteidigt. Warum war Ulric ins Wasser gegangen? Wie lange mochte er in der Finsternis ausgeharrt haben? Wie lange hatte er darauf gewartet, dass Blut Hilfe brachte? Der Herzog ballte die Rechte zur Faust und biss hinein, doch der Schmerz in der Hand vermochte den tieferen Schmerz nicht auszublenden. Er hätte nicht warten dürfen! Wenn er sofort Blut gefolgt wäre ... Er war nur um ein paar Stunden zu spät gekommen. Ein paar lächerliche Stunden!

Yilvina lebte noch. Emerelle war zuversichtlich, dass sie durchkommen würde. Sie würde ihm erzählen können, was geschehen war. Ein einzelner, bitterer Lacher entrang sich Alfadas‘ Kehle. Er hatte seinen Sohn tot geglaubt. Nun war es so gekommen. Und doch fühlte es sich an, als sei Ulric ein zweites Mal gestorben. Ollowain kam über das Eis.