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Ollowain nahm ihn in die Arme. Das hatte er zuletzt getan, als er als kleiner Junge immer und immer wieder von den Elfenfechtschülern besiegt worden war. So sehr er sich auch bemüht hatte, nie war er so flink gewesen wie sie. Der Schwertmeister hatte ihm damals gesagt, dass er trotzdem gewinnen würde, wenn er mehr Treffer einstecken könnte als die anderen. Sie hatten ihn mit den hölzernen Übungsschwertern grün und blau geprügelt. Er hatte es mit zusammengebissenen Zähnen weggesteckt. Und tatsächlich hatte er von da an zumindest manchmal gesiegt.

Alfadas biss die Zähne zusammen. Jetzt war es wieder so. Er musste sie aushalten, die Treffer, die das Leben austeilte. Zumindest war ihm ein wunderbarer Sohn geblieben.

»Ich muss jetzt gehen«, sagte er gefasst. »Du weißt ja, was sie wollen.«

»Ja. Und ich glaube, dass es richtig ist!«

Alfadas war sich da nicht so sicher. Er dachte daran, wie Lambi Phylangan verlassen hatte. Seine Vorwürfe an ihn waren berechtigt gewesen. Er hatte keinen Gedanken daran verschwendet, was aus seinen Männern werden würde, wenn sie ins Fjordland zurückkehrten.

Schweigend ging Alfadas neben Ollowain den steilen Rentierpfad hinab. Dann bogen sie nach links in den Weg ab, der zur großen Scheune hinter dem Dorf führte.

»Ich dachte schon, du hättest dich verdrückt!« Unter einer Gruppe Tannen trat Lambi hervor. »Ich suche dich seit einer Ewigkeit, Alfadas. Eins sag ich dir, du führst dich schlimmer auf als eine Jungfer vor der Hochzeit! Komm jetzt!«

Der Jarl hielt etwas unter den Arm geklemmt, das in weißes Tuch eingeschlagen war. Als er den Blick des Herzogs bemerkte, zog er die Brauen zusammen. »Heute ist ein Festtag. Ich will nicht mit dir streiten.«

»Warum sollten wir streiten?«

Lambi schlug das Tuch zurück und zeigte ihm einen golden glänzenden Flügelhelm. »Ein König sollte eine Krone haben. Setz ihn mal auf! Ich hab etwas Pergament dabei, um ihn auszupolstern, falls der Helm zu weit für dich ist.«

Alfadas erkannte den Helm sofort wieder. »Du hast ihn aus dem Grab gestohlen. Du ...«

»Sein Besitzer hatte nichts dagegen, dass ich ihn nehme«, unterbrach ihn Lambi. »Und ein König braucht eine Krone oder zumindest etwas, das ein wenig wie eine Krone aussieht.«

Ollowain lachte. »Lass ihn machen, Alfadas. Man wird nicht König ohne eine Krönungszeremonie. Und das geht nicht ohne Krone. Selbst Emerelle lässt es hin und wieder über sich ergehen.«

Der Herzog betrachtete zweifelnd den alten Helm. »Du verstehst das nicht. Die Leute glauben, das sei der Helm eines berühmten Königs. Es ist ...«

»Das ist ja gerade der verdammte Plan!«, platzte es aus Lambi heraus. »Es heißt, König Osaberg würde zurückkehren, wenn das Fjordland ihn am dringendsten braucht. Und genau das ist geschehen. Jahrhundertelang war er verschwunden. Eine Figur aus alten Geschichten. Und dann ist er plötzlich da – in der schwersten Stunde unseres Volkes. Die alte Prophezeiung ist wahr geworden! Er kam, um deinem Sohn das Schwert zu geben, mit dem er den Troll erschlug. Und jetzt gibt er dir seine Krone. Deine Herrschaft beginnt...«

»... mit einer Lüge!«, unterbrach ihn Alfadas aufgebracht.

»Nicht Osaberg krönt mich, sondern mein bester Freund, der nur bedauerlicherweise keinerlei Moral hat.«

»Vertrau ihm, Alfadas. Was Lambi will, ist gut und richtig. Könige werden mit einem anderen Maß gemessen. Die Leute werden zu dir aufschauen, und je nachdem, was sie in dir sehen, werden sie Hoffnung aus dir schöpfen oder an dir verzweifeln. Nutze die Geschichten um König Osaberg. Wunder geschehen nicht einfach, Alfadas. Sie werden gemacht. Und wem schadest du, wenn du diesen Helm mit seiner verwunschenen Geschichte zu deiner Krone machst? Sei großzügig! Schenke deinen künftigen Untertanen ein Wunder, das ihnen Kraft gibt in dieser schweren Zeit!«

»Hör auf jemanden, der sich mit Königen und Fürsten gut auskennt!«, murmelte Lambi. »Und jetzt komm endlich mit.«

Alfadas gab ihnen nach, obwohl seine Zweifel nicht ausgeräumt waren. Sie brachten ihn zur Scheune, und er trat durch eine schmale Tür an der Rückseite ein.

Im Innern herrschte stickige Hitze. Der große Raum war völlig überfüllt. Es stank nach Schweiß, Lampenruß und zu lange getragenen Kleidern. Viele seiner Veteranen aus der Albenmark waren gekommen, um der Krönung beizuwohnen. Aber auch Flüchtlinge, Männer, Frauen und Kinder mit abgehärmten Gesichtern, in deren Augen sich dennoch Hoffnung spiegelte. Beschämt dachte Alfadas an das, was Ollowain ihm über Wunder gesagt hatte. Nun war es an ihm, Wunder zu schaffen. Er musste es wagen.

Am Ende der Scheune hatte man eine kleine Bühne gezimmert, damit alle sehen konnten, wie der neue König gekrönt wurde. Als Alfadas die Stufen hinaufstieg, fühlte er sich, als klettere er auf einen Galgen. Wenn er diese Bühne verließ, war sein altes Leben verwirkt.

In der vordersten Reihe der Anwesenden sah er seinen Sohn an der Seite von Emerelle. Ulric blickte voller Stolz zu ihm auf. Er hielt Halgard bei der Hand. Die Augen des Mädchens waren hinter einer schmalen Schneebrille verborgen.

Lambi ließ Alfadas niederknien. Dann schlug er Osabergs Helm aus dem weißen Tuch und hob ihn hoch über den Kopf. Der Jarl hielt eine ergreifende Rede über den goldenen König und seine Rückkehr in Zeiten der höchsten Not. Sie gipfelte darin, wie eine knochige Hand ihm den Helm reichte und Osaberg ihn mit dunkler Grabesstimme beauftragte, den Elfenjarl zum König zu machen.

Alfadas verschlugen diese dreisten Lügen schier die Sprache. Doch er sah auch, wie die Krieger, Bauern und Fischer dort unten vor der Bühne es aufnahmen. Nach all dem Leid wollten sie an das Wunder glauben. Schließlich krönte ihn Lambi mit dem schweren Flügelhelm. Alfadas erhob sich. Jubel brandete ihm entgegen. Inmitten des Lärms erklang Lautenschlag.

Alfadas spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Er erkannte die Melodie. Die Jubelrufe gingen in Gesang über.

»Dort kommt der Jarl vom Firnenstayn mit seinem Elfenschwerte fein. Den Held aus vielen Schlachten, die Götter zu uns brachten.«

Veleifs übertriebenes Heldenlied war ihm peinlich. Er dachte daran, dem Skalden eine wichtige Aufgabe bei Hof zu geben, um ihn in Zukunft vom Dichten abzuhalten. Auch Lambi sollte er besser in seiner Nähe behalten. Vielleicht eignete er sich ja zum Herzog?

Im Scheunentor erschien eine schmale, weiß gewandete Gestalt mit wehendem Umhang. Kaum jemand beachtete sie, doch Alfadas konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. Wie ein Kind des Winters, geboren aus Schnee, erschien sie ihm. Ganz so, wie an jenem fernen Tag, als er sie zum ersten Mal bei Hofe in Albenmark sah. Dem Tag, an dem er sein Herz an Silwyna verlor.

Sommer

Voller Liebe betrachtete der Fischer die blonde Frau am Ufer. Sie saß auf einem Fels in der Sonne und stillte ihre kleine Tochter. Sie beide hatten dem Mädchen den Namen Silwyna gegeben. Einen Jungen hätten sie Luthson genannt, denn der Schicksalsweber hatte sie überreichlich beschenkt. Jetzt sprang auch das kleine Mädchen zwischen den Büschen hervor. Sie hatte eine lange Rute bei sich und hielt sie ins Wasser, als wolle sie fischen. Doch schnell wurde sie ungeduldig und lief zu ihrer Mutter hinüber.

Der Fischer holte die Leine mit dem Vogelfuß ein, der ihm wie schon so oft gute Dienste geleistet hatte. Dabei dachte er an den Schneesturm und an die Trolle zurück. Er hatte nie verstanden, warum diese grausamen Menschenfresser sie zu einer Höhle gebracht hatten. Erst hatte er geglaubt, sie würden ihn schlachten. Sie hatten ein großes Feuer entzündet und einen reichlichen Vorrat an Brennholz zusammengetragen. Er konnte sich nicht mehr ganz klar an alles erinnern, was damals vorgefallen war. Ein Fieber hatte ihn geschüttelt. Irgendwann war er erwacht, und die Trolle waren verschwunden. Sie hatten ihnen sogar ein paar Nüsse und Bucheckern zurückgelassen.