Immer unbarmherziger bahnten sich die Kentauren ihren Weg und stießen jeden zur Seite, der ihnen nicht schnell genug auswich.
Ollowain drängte sich nach vorn zu Orimedes. Das dampfende, nasse Fell des Fürsten war mit Brandflecken übersät. Glühende Funken tanzten wie Fliegen um seinen zuckenden Schweif. »Wir müssen fort vom Kai!« Die Stimme des Schwertmeisters war kaum mehr als ein heiseres Krächzen, das im infernalischen Getöse der Flammen und dem Geschrei der Flüchtlinge fast unterging.
»Wir werden schon durchkommen«, rief der Kentaur. Eine junge Elfe umklammerte eines seiner Beine. Mit gesenktem Blick flehte sie ihn an, ihr zu helfen. Murrend zog er sie auf seinen Rücken. Jetzt erst konnte Ollowain das Antlitz der Geschundenen sehen. Wimpern, Augenbrauen und die Haare über der Stirn waren verbrannt, die Nase nur noch ein unförmiges Loch, und dort, wo Augen hätten sein sollen, klafften blutige Höhlen. Unablässig brabbelte sie eine Dankeslitanei, während sie ihr zerschundenes Gesicht im wallenden Haar des Kentauren verbarg. Der Schock über das plötzlich hereingebrochene Inferno schien ihr Empfinden für Schmerz ausgelöscht zu haben. Zumindest für den Augenblick.
»Wir nehmen den Lotussteig!«, befahl der Schwertmeister.
»Aber der Weg ist viel steiler! Wir werden nur langsam vorankommen«, wandte Orimedes ein.
»Die Häuser dort sind aus Stein! Die Flammen werden sich am Lotussteig nicht so schnell ausbreiten wie hier zwischen den hölzernen Lagerhallen.«
Ollowain konnte sehen, wie sich die Wangenmuskeln des Kentauren spannten. Er mahlte wütend mit den Kiefern, fügte sich aber dem Befehl.
Viele Flüchtlinge sprangen indessen ins Hafenbecken. Das Wasser bot Schutz vor der glühenden Lohe. Doch dort waren sie in der Falle, wenn die Angreifer von See her den Hafen besetzten. Wehrlos wären sie der Gnade der Eroberer ausgeliefert.
Er durfte Emerelle nicht in eine solche Lage bringen. Wer mochte ihr Feind sein? Mit wem hatte sich Shahondin verbündet?
Ein tiefer Ton zwischen dem allgegenwärtigen Geschrei und dem Tosen der Flammen ließ Ollowain aufhorchen. Es klang wie ein Seufzen, nur dass es das Seufzen eines Titanen sein musste.
»Die Wand ...!« Der Schrei ging in tausendfachem Klirren unter. Instinktiv riss Ollowain seinen Schild hoch. Schwere Schläge prasselten auf ihn nieder.
Die Königin! Der Schwertmeister griff über die Bordwand und zog sich hoch. Ringsherum prasselten große rote Schindeln nieder. Das Lagerhaus neben ihnen schien sich, gemartert von den Flammen, ein letztes Mal aufzubäumen. Es warf sein Dach ab!
Ollowain schirmte mit seinem großen, ovalen Schild den Kopf und Oberkörper Emerelles ab. Wie durch ein Wunder war die Königin von keiner der Dachschindeln getroffen worden. Lyndwyn hatte weniger Glück gehabt. Sie lag ohnmächtig neben Emerelle und blutete aus einer Platzwunde an der Stirn.
Die Holden suchten unter den flachen Ruderbänken des Nachens Schutz. Gondoran war als Einziger dicht bei der Königin geblieben. Mit verzweifeltem Mut schlug er mit einer zerbrochenen Ruderstange die Schindeln zur Seite, die in Emerelles Richtung stürzten. Schließlich flüchtete er fluchend unter Ollowains Schild.
Die Kentauren waren in Galopp verfallen. Der Nachen schwankte wild hin und her. Plötzlich gab es einen Ruck. Das Boot neigte sich und schlug krachend auf Stein, so als wäre es in stürmischer Brandung auf eine verborgene Klippe aufgelaufen. Ollowain wurde nach vorn geschleudert und prallte gegen den Mast. Sein Schildarm bekam die ganze Wucht des Schlages ab. Sengender Schmerz schoss durch seine Schulter, Tränen traten ihm in die Augen. Blinzelnd rappelte er sich auf, um zu sehen, was geschehen war.
Zwei Kentauren lagen mit grotesk verdrehten Gliedern regungslos am Boden. Ein Balken hatte die beiden niedergestreckt. Noch während Ollowain die Toten anstarrte, schlug dicht neben ihnen ein weiterer Balken auf. Brennende Dachlatten polterten auf das Pflaster. Einer der Kentauren scheute und stieg auf die Hinterläufe. Das Boot ruckte. Ollowain konnte sich gerade noch am Mast festhalten. Die Verwundeten rutschten auf dem Boden zum Heck hin. Einer der Männer stöhnte auf. Der andere Krieger regte sich nicht mehr.
»Nessos, du übernimmst vorne links!«, kommandierte Orimedes ruhig. »Antafes, du läufst links neben der Sänfte. Ich halte mich rechts. Wir springen ein, sobald es einen weiteren Ausfall gibt. Die Sänfte darf nicht noch einmal stürzen! Los jetzt, wir...!« Ein unbeschreibliches Krachen und Knirschen schnitt ihm das Wort ab. Die Fassade des Lagerhauses begann sich in Richtung der Kais zu neigen.
So wie Shahondin sich stets übertrieben langsam vor Emerelle verbeugt hatte, um auf diese Weise die Geste der Unterwerfung zu verhöhnen, so neigte sich auch die Häuserwand mit verächtlicher Langsamkeit. Eine zwanzig Schritt hohe Flammenmauer, die sich vor dem Tod verneigte.
Einer der Holden sprang schreiend aus dem Nachen und versuchte das Hafenbecken zu erreichen. Die Kentauren gaben ihr Letztes, um aus dem Todesbereich zu entkommen. Rings herum prasselten Balken und Dachlatten nieder. Ollowain half Gondoran und dessen Gefährten, die brennenden Trümmer, die ins Boot stürzten, wieder über Bord zu werfen. Die Elfe, die sich an Orimedes festklammerte, verlor den Halt und rutschte von seinem Rücken. Ollowain sah, wie sie unter die Hufe der anderen Pferdemänner geriet. Wie eine Kinderpuppe wurde sie hin und her geschleudert und blieb zuletzt reglos liegen.
Der Kai hatte sich binnen Augenblicken geleert. Fast alle waren ins Hafenbecken gesprungen. Dicht übersät mit zersplitterten roten Dachschindeln, sah das Straßenpflaster aus, als blute es. Mit ihren eisenbeschlagenen Hufen gerieten die Kentauren auf dem unsicheren Grund immer wieder ins Rutschen. Das Boot schlingerte hin und her. Ollowain hatte sich niedergekauert, presste sich mit dem Rücken gegen eine der Bootsbänke und hielt Emerelle in seinen Armen. Kraftlos pendelte der Kopf der Königin bei jedem neuen Ruck.
Nessos strauchelte. Sofort sprang Antafes herbei und übernahm den Platz des Kentauren. Der blonde Nessos versuchte, wieder hochzukommen, doch seine Läufe wollten ihn nicht mehr tragen. Ollowain sah einen blutigen Knochen durch das Fell ragen. Trotzig streckte der Kentaur die Arme empor, als wollte er die Flammenwand umarmen, die ihm entgegenstürzte. Glühende Lohe verschluckte den Gestrauchelten. Wie eine Lawine aus Feuer schlug die Häuserwand über der Straße zusammen. Teile des Dachs stürzten ins Hafenbecken.
Die Hitze traf Ollowain wie ein Faustschlag ins Gesicht. Er spürte, wie seine Haut sich spannte. Seine Augen tränten wieder. Eine Wolke von Funken ging auf sie nieder. Schreie klangen aus dem Wasser. »Hier hinauf.« Die Kentauren waren am Lotussteig vorbeigelaufen. »Zurück!«
Eine breite Marmortreppe wand sich den Schanzhügel hinauf. Schon nach zwanzig Schritten und der ersten Wegkehre schienen sie in einer anderen Welt zu sein. Der Lotussteig war gesäumt von säulengeschmückten Prachtbauten. In schattigen Nischen wand sich Efeu. Auf jeder Treppenstufe waren Lichter aufgestellt. Nur wenige der Villen waren vom Feuer erfasst worden. Kobolde und bocksbeinige Faune versuchten, die Flammen hier unter Kontrolle zu bringen. Sie hatten eine Eimerkette zu einem Brunnen gebildet. Die hoch aufragenden Häuser mit ihren verspielten Giebeln verstellten den Blick auf den Hafen. Vom Inferno kündeten nur der rot leuchtende Himmel und einzelne, rußgeschwärzte Gestalten, die sich hierher gerettet hatten. Misstrauisch betrachtete Ollowain die wenigen Überlebenden, die aus den Flammen den Lotussteig hinaufkamen. Folgte ihnen jemand? Was mochte aus dem Bogenschützen geworden sein, der versucht hatte, Emerelle zu töten? Hatte er die Verkleidung durchschaut? Oder glaubte er, dass die Königin auf ihrer Prunk-Liburne aus dem Hafen geflohen war?
Ollowain spürte etwas Warmes über seine Hand rinnen. Die Wunde in der Brust der Königin blutete wieder. »Im Palast werden wir dir helfen«, flüsterte er und stützte ihren Kopf. Sie konnte ihn nicht hören, sagte ihm seine Vernunft, und dennoch hoffte er, dass er ihr auf irgendeine Weise beistand. Er fühlte sich weniger hilflos, solange er mit ihr redete.