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Als sie zurückkehrten, stand Gondoran am Rumpf des Nachens. Die Kentauren hatten die ungewöhnliche Sänfte wieder auf ihre Schultern gestemmt. Der Holde führte die Gruppe durch einen Garten auf der Rückseite des Hügels, bis sie zu einem Springbrunnen gelangten, hinter dem eine breite Treppe in die Tiefe führte. Selbst hier hatte man zum Fest der Lichter auf jede der Treppenstufen eine kleine Öllampe gestellt. Ollowain dachte daran, dass man nie wieder an diesem Tag feiern könnte, ohne an den schrecklichen Brand und all die Toten zu denken. Die eisenbeschlagenen Hufe der Kentauren lärmten auf den marmornen Stufen. Vorsichtig tasteten sie sich in die Tiefe, bis sie schließlich an ein großes Tor gelangten und die Sänfte behutsam auf den Boden setzten. Es gab hier keinen Riegel und auch keine Türangeln.

Ehrfürchtig tastete Orimedes über das Tor. »Das ist Gold, nicht wahr?«, hauchte er. »Pures Gold. Genug, um einen Palast zu kaufen. Ein Vermögen.«

»Jede Schleuse hier unten, jedes Zahnrad und jeder Beschlag ist aus Gold. Kein anderes Metall widersteht über die Jahrhunderte dem Wasser so gut, wie Gold es vermag«, erklärte Gondoran herablassend. »Beim Bau der Zisternen hat man von allen Materialien nur die besten verwendet.«

Er sprang aus dem Nachen und ging zu der goldenen Pforte. Gondoran presste seine Wange an das kalte Metall, strich in kreisenden Bewegungen über die Tür und flüsterte etwas. Einen Augenblick später erbebte das Tor und glitt lautlos in die Wand.

»Was hast du gesagt?«, fragte Orimedes.

»Das ist ein Geheimnis der Wasserhüter. Ginge es nicht um die Königin, würde ich euch niemals hier hineinlassen. Wir wollen nicht, dass jeder stinkende Barbar zu den Zisternen gelangen kann, um seine Hufe in Trinkwasser zu baden.« Gondoran wich einem Tritt des Fürsten aus und winkte sie in eine weite Halle hinein. Blausilbern schimmernde Mondsteine waren in die Streben der Kreuzgewölbe eingelassen und tauchten die Halle in geisterhaftes Licht. Irgendwo in der Ferne hörte man ein dumpfes Donnern. Ollowain glaubte, den Boden leicht unter seinen Füßen beben zu fühlen.

Die ganze Halle war aus Marmor erbaut. In Brusthöhe verlief ein breiter Fries aus Perlmutt und Onyx. Er zeigte ein Muster aus stilisierten Wellen. Im kalten Licht der Halle schien es, als bewegten sich die Wellen wie die sanfte Dünung in einer Vollmondnacht.

»Bringt die Sänfte hinein!«, befahl der Holde. »Von nun an werden wir die Tragehölzer nicht mehr brauchen. Zieht sie heraus. Wir können dann das Boot abdichten.«

Ollowain war überrascht von der natürlichen Autorität, die der kleine Bootsmeister plötzlich ausstrahlte. Er schien wie ausgewechselt. Dies hier unten war sein Reich, und keiner zweifelte das an. Ohne zu murren folgten die Kentauren seinen weiteren Anweisungen.

Der Schwertmeister sah sich um. Die kühle Pracht der Halle hatte etwas an sich, das einem das Gefühl vermittelte, unbedeutend zu sein. Sie war für die Ewigkeit geschaffen und wäre eines Königspalasts würdig gewesen.

Und doch kam kaum ein Bewohner der Stadt je hierher. All die Schönheit blieb verborgen. Ollowain blickte die lange Treppe hinauf, die im goldenen Licht der Öllampen erstrahlte. Die Brände im Hafen ließen den Nachthimmel purpurfarben erscheinen. In sich gekehrt dachte der Schwertmeister an den Vorhang einer Theaterbühne, der sich schloss. Hier unten, in der kühlen Pracht der Zisternen, fühlte er sich seltsam entrückt von all dem, was in dieser Nacht geschehen war. Ein Akt war beendet. Ein neuer Abschnitt in der Geschichte Albenmarks würde beginnen.

Das leise Sirren von Metall schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. Yilvina hatte ihre beiden Kurzschwerter gezogen. Mit einer der Klingen deutete sie die Treppe hinauf. »Dort oben ist jemand! Ein Bogenschütze. Ich habe deutlich seinen Schattenriss vor dem Nachthimmel gesehen.«

Ollowain konnte niemanden entdecken. Aber er zweifelte keinen Augenblick an den Worten der Kriegerin. Seit sie auf den Lotussteig gekommen waren, hatte er gespürt, dass sie verfolgt wurden. Die Gefahr war nicht vorüber. »Wie kommen wir zum Wasser?«, fragte er Gondoran.

Der Holde deutete auf den Schmuckfries an der Wand. »Die siebente Welle. Wenn du auf sie drückst, wird sich eine verborgene Pforte öffnen.«

»Und wie schließt man das goldene Tor?«

»Es schließt sich von allein«, entgegnete Gondoran ruhig.

»Dies ist der Zugang zum verborgenen See und nicht das Torhaus einer Festung. Wir haben keinen Einfluss darauf, wann sich die Rosenpforte schließt. Aber die Tür hinab zu den Zisternen kann man von innen versperren. Wer nicht weiß, wie man sie findet, wird es schwer haben, uns zu folgen.«

Ollowain zählte die Wellen im Schmuckfries und drückte auf den verborgenen Auslöser. Ein leises Klicken erklang. Es folgte ein schabendes Geräusch. Ein Stück der Wand schwang auf. Das ferne Donnern war nun deutlicher zu hören. Ein Schwall nasskalter Luft drang aus der Tiefe hinauf. Ollowain fröstelte. Hinter der Geheimtür führte eine Treppe in einen dunklen Abgrund.

Gondoran huschte als Erster hindurch. »Hier muss es einen Vorrat an Fackeln geben.« Die Kentauren blickten unschlüssig ins Dunkel. »Vielleicht sollten wir uns dem Bogenschützen stellen«, murmelte einer von ihnen.

»Darum geht es nicht.« Orimedes griff nach dem Heck des Nachens. »Wir müssen die Königin aus der Stadt bringen.« Er reckte sein Kinn in Richtung der dunklen Pforte. »Und das dort ist der einzige Weg, der uns noch offen steht. Jetzt packt zu! Wir haben keine Zeit zu verlieren!«

Mit einem dumpfen Geräusch flammte eine Fackel auf. Gondoran stand vor einer Truhe mit goldenen Beschlägen. Der Holde holte noch zwei weitere Fackeln heraus, die er sich in den Gürtel schob. Zögerlich stiegen die Kentauren die Treppe hinab. Yilvina und Ollowain bildeten den Abschluss der Truppe. Während sie die schwere Geheimtür verschlossen, sahen sie, wie auch die goldene Pforte langsam aus der Wand glitt. Kurz meinte Ollowain, hastige Schritte auf dem Weg hinab zum Prunksaal zu hören, doch der Eindruck verflog.

Die Treppe führte an einer mit Kacheln geschmückten Wand vorbei. Sie zeigte Bilder von einer Flusslandschaft, in deren Uferdickicht sich allerlei Vögel verbargen. Die Luft war gesättigt von Feuchtigkeit und dem Geruch nach nassem Stein. Auch hier, tief unter der Erde, war es noch unangenehm warm. Ihr Weg führte sie zu einem steinernen Kai, an dem zwei Boote vertäut lagen.

Unter der Aufsicht Gondorans ließen die Kentauren vorsichtig den Nachen mit der Königin zu Wasser. Seine beiden Gefährten holten zwei Ruder hervor, die seitlich unter den Bänken verborgen gewesen waren, und legten sie ein. Währenddessen übernahm der Bootsmeister im Heck das Steuer. Der Holde steckte seine Fackel in eine Halterung am Mast. Die übrigen Lichter löschten sie.

Ollowain hatte nie Angst vor der Dunkelheit gehabt, doch die Finsternis hier unten machte ihm zu schaffen. Das blakende Licht am Mast reichte kaum über den Rand des Bootes hinaus. Er hatte das Gefühl, in die Leere geraten zu sein, die jenseits der Albenpfade lag. Ein Ort, wo jedes Leben fehl am Platze war. Wer auf einer Reise zwischen den Welten vom Pfad abwich, der war auf immer verloren, so hieß es. An welcher Stelle war er in dieser Nacht vom Pfad abgewichen? Wann hatte er den ersten falschen Schritt getan? Schon als er sich mit Silwyna traf?

Der Schwertmeister ließ sich vom Rand der Anlegestelle ins Wasser hinab und griff nach dem Boot. Erschrocken atmete er aus. Das Zisternenwasser war eisig!

»Wir hätten nicht in dieses Loch hinabsteigen sollen«, murrte Orimedes. »Gerade ist etwas an meinen Beinen entlang geglitten. Wir werden uns verirren und von Fischen gefressen werden.«

»Da muss dir wohl dein eigener zitternder Schweif zwischen die Beine geraten sein. Hier gibt es keine Fische!«, sagte Gondoran scharf. »Keine Käfer und auch keine Ratten! Nichts, was das Wasser verunreinigen könnte, lebt hier unten. Nur ein paar Geister. Aber bei einem Gespenst muss man sich keine Gedanken machen, dass es ins Wasser pisst, Pferdemann. Das hier unten ist Trinkwasser, und der Herr der Wasser duldet hier nichts, was es verschmutzen könnte. Gewöhnlich hätte ich euch niemals erlaubt, eure verschwitzten, dreckigen Leiber in eines der Becken zu bewegen.«