»Nun, Eichhörnchen, wie steht es mit uns?«, rief der Steinwerfer. »Komm her und stell dich zum Kampf.«
»Wenn ich richtig gezählt habe, habe ich schon zwei von deinesgleichen die Kehle durchtrennt. Glaubst du wirklich, du könntest mich besiegen?«
Der Troll hob den riesigen Kriegshammer auf, der neben ihm im Becken lag. »Bleib einen Augenblick lang still stehen, und ich zeige es dir.«
Ollowain musste schmunzeln. Der Kerl hatte Humor. Einen Troll wie ihn hatte er noch nie getroffen.
»Lass das Quatschen, Urk!«
Aus den Augenwinkeln sah Ollowain jenen Hünen heranstürmen, der seinen Gefährten getötet hatte. Er schwang den Arm des Elfen wie eine Keule.
Der Schwertmeister ließ sich auf die Knie fallen und beugte sich zurück. Bluttropfen sprenkelten sein Antlitz, als der Arm ihn um wenige Zoll verfehlte. Ollowain spannte sich, schnellte hoch und verpasste dem Troll einen kräftigen Tritt ins Gemächt.
Wie ein silberner Blitz fuhr die Klinge des Elfen hinauf Der Trollkrieger riss den Arm seines Opfers hoch. Der kalte Stahl durchtrennte Fleisch und Knochen. Mit einer Drehung des Handgelenks verwandelte Ollowain den Hieb in einen Stoß. Das Schwert fand seinen Weg zwischen den Rippen des Trolls. Ollowain stemmte sich vor und rammte die Waffe bis zum Heft in den Leib seines Gegners. Blut quoll ihm entgegen und spritzte ihm auf Brust und Gesicht. Der Troll wollte seine Keule heben, doch die Waffe entglitt den kraftlosen Fingern. Ollowains Schwert hatte ihn ins Herz getroffen.
Dicke Muskelstränge zuckten unter der dunkelgrauen Haut des Trolls; mit ihren hellen Einsprengseln sah sie aus wie lebendig gewordener Granit. Der Hüne kippte nach hinten. Ollowain nutzte das Gewicht des fallenden Körpers, um mit einer Drehung seine Klinge freizubekommen.
Ein Schlag traf den Elfen an der Schulter. Er wurde halb herumgerissen. Grelle Punkte tanzten vor seinen Augen. Das Schwert entglitt seinen tauben Fingern. Ollowain versuchte den sengenden Schmerz zu verbannen, als ihn ein zweiter Schlag von den Beinen riss. Ein Marmorfuß hatte ihn in den Bauch getroffen.
Urk setzte mit einem langen Schritt über ihn hinweg und kickte Ollowains Schwert außer Reichweite. »Na also, mein Eichhörnchen. Hab ich dich da, wo ich wollte. Du solltest doch nur einen Augenblick lang stillhalten!«
Der Schwertmeister rollte sich zur Seite, war aber nicht schnell genug, um einem Fußtritt zu entkommen. Er schlitterte durch das flache Wasser und schlug gegen den Sockel einer Statue. Bevor er sich aufraffen konnte, war Urk über ihm und setzte Ollowain seinen riesigen Fuß auf die Brust.
»Ich werde dich braten und essen, Elflein.« Die blasse Zunge des Trolls zuckte über seine dunklen Lippen. Geifer rann ihm aus den Mundwinkeln. »Du bist wirklich ein großer Krieger. Ich ...«
Der Druck des Fußes verstärkte sich und presste Ollowain die Luft aus dem Leib. Urk starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Eine zweite, stählerne Zunge ragte aus seinem Maul. Ein Pfeil!
Ein schlanker Fuß traf den Troll in die Kniekehle. Er knickte nach hinten ein und stürzte.
Ollowain sah alles verschwommen. Sein ganzer Leib schien nur noch Schmerz zu sein. Ein Gesicht beugte sich vor.
»Wir sind zu spät«, sagte er mit tonloser Stimme.
»Nein!« Das Gesicht lächelte.
Ollowain blinzelte. Silwyna stand über ihn gebeugt.
»Kannst du gehen? Wir sind ein wenig in Eile.« Die Maurawani streckte ihm ihre Hand entgegen und half ihm auf.
Ollowain hatte das Gefühl, auf Stelzen zu stehen. Seine Beine waren taub, so als gehörten sie gar nicht mehr zu ihm. Jeder Atemzug schmerzte. Seine Rippen schienen wie eiserne Fesseln um seine Lungen zu liegen. »Ich kann alleine stehen«, keuchte er.
Die Bogenschützin schlang sich seinen Arm um die Schultern.
»Natürlich. Ich würde vorschlagen, dass wir uns unterwegs weiter unterhalten.«
Ein junger Elfenkrieger reichte ihm sein Schwert. Ollowain zitterte zu sehr, um es aus eigener Kraft in die Scheide auf seinem Rücken schieben zu können. »Wo sind die anderen?«
»Tot.« Der Elf wich seinem Blick aus. »Wir ... Ich ...«
Ollowain schüttelte müde den Kopf »Sag nichts. Wer einen Kampf mit Trollen überlebt, ist ein tapferer Krieger.«
Dem jungen Elfen standen Tränen in den Augen. »Sie waren so ... Ich sah, wie Marwyn einen von ihnen niederstechen wollte. Sein Schwert ist einfach an den Rippen abgeglitten. Und dann ... Dann ... Der Troll hat ihm mit der bloßen Faust ...«
»Still!«, herrschte Silwyna den Krieger an. »Hör auf zu jammern. Sei froh, dass du noch lebst!« Sie trug Ollowain mehr, als dass sie ihn stützte. So schnell es ihre Last zuließ, eilte sie die Treppen hinab.
»Was machst du hier?« Ollowain brachte kaum mehr als ein Flüstern zu Stande. Jede Bewegung, selbst zu reden, schmerzte.
»Ich dachte mir, du bist der Schwertmeister der Königin, weil du ein besonderes Talent hast, Situationen zu überleben, in denen jeder andere sterben würde. Deshalb bin ich dir gefolgt.«
»Aber wie hast du ...«
»Dich erkannt?« Sie lachte. »Wenn ich blind wäre, würde ich als Jägerin verhungern. Ich sah, wie du mit dem Gardisten unter Deck gegangen bist. Und ich sah jemanden heraufkommen, der zwar Ollowains Gewänder trug, sich aber nicht bewegte wie der Schwertmeister. Andere hast du mit diesem Mummenschanz vielleicht getäuscht. Aber als dann ein einfacher Gardist die Kentauren zur Barke der Königin holte, war mir klar, was du vorhattest.«
Ollowain versuchte den Schmerz aus seinen Gedanken zu verbannen. Er konnte schon wieder freier atmen. »Du bist uns also in die Zisternen gefolgt.«
»Nasses Kentaurenfell hat einen unverwechselbaren Geruch. Ich brauche keine herkömmliche Fährte, um meiner Beute zu folgen. Eine Duftspur ist genauso gut.«
Sie hatten einen kleinen Bootssteg am Fuß der Treppe erreicht. Silwyna deutete auf frische Schrammen im Holz. »Dieser Holde hat es tatsächlich geschafft, das Boot auf Kurs zu halten.« Sie bückte sich und hob einen feinen Holzsplitter auf. »Hoffentlich hält der Rumpf noch dicht.«
Vor ihnen erstreckte sich eine dunkle Wasserlandschaft. Glatte schwarze Flächen, durchzogen von niedrigen Inseln. Auf den meisten Inseln wuchsen Bäume, aus deren Geäst geisterhafte weiße Barte hingen. Wurzeln stachen senkrecht wie die Speere von Fallgruben aus dem Schlamm. Nebelbänke hingen dicht über dem Wasser. Hier gab es keine Lichter mehr. Hinter ihnen erklang der Ruf eines Horns.
»Sie haben die Toten gefunden. Wir sollten uns jetzt beeilen.« Silwyna deutete auf das Ende der Schrammenspur auf dem Steg. »Hier haben die Kentauren das Boot zu Wasser gelassen.« Sie hob den Kopf, witternd wie ein Spürhund. »Ihr Vorsprung ist noch nicht sehr groß. Wir werden sie einholen.«
Ollowain brauchte ihre Hilfe. Sie ließ ihn vom Steg herab, sodass er sich an einen der Pfähle klammern konnte. Das Holz war weich, zerfressen von Wasser und Zeit. Es roch vermodert. Das Wasser selbst war lauwarm und fühlte sich träge an. Nicht wie in den Zisternen oder in einem Quellbach. Es hatte etwas Anschmiegsames und zugleich Schleimiges. Es war dichter, als Wasser sein sollte. Fauliger Geruch trieb mit dem Nebel. Ollowains Füße versanken in Schlamm.
Zwischen den Pfählen des Landungsstegs trieben Leichen. Die Gesichter zeichneten sich als blasse Flecken im dunklen Wasser ab.
Silwyna und der überlebende Gardist ließen sich am Steg hinabgleiten. Die beiden griffen ihm unter die Arme. Ollowain starrte den jungen Mann an. Er kannte sein Gesicht, konnte sich aber nicht mehr an seinen Namen erinnern. Er sollte die Namen seiner Männer kennen! Zumindest das war er ihnen schuldig.
»Wir werden versuchen zu schwimmen, so gut es geht«, flüsterte Silwyna. »Im Schlamm zu waten ist zu laut und zu anstrengend.«
Ollowain ließ sich von den beiden ziehen. Das warme Wasser entspannte seine schmerzenden Glieder. Langsam fühlte er sich besser. Der Mond war hinter dem Horizont verschwunden. Nicht mehr lange, und es würde dämmern. Es war die beste Zeit für eine Flucht durch die Mangroven. Der Atem der ersterbenden Nacht brachte Nebel.