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»Dada!« Kadlin brabbelte unablässig vor sich hin und deutete auf alles, was ihre Neugier erweckte. Ein Fels am Ufer. Ein goldenes Blatt im Gras, ein Stück Holz, das angetrieben worden war. Für sie war die Welt noch voller Wunder. Blut folgte jeder ihrer Gesten mit Blicken. Ab und an antwortete er ihr sogar mit einem kurzen Kläffen. Alfadas ging das Ufer entlang. Er wollte keinen Platz auswählen, an dem er sich gern aufhielt. Bald würden die ersten Salme den Fjord hinaufkommen. Er freute sich darauf, den ganzen Tag am Wasser zu verbringen und zu fischen.

Endlich erreichten sie einen kargen Uferstreifen. Hier gab es keinen Fels, der zum Lagern einlud, keine alte Feuerstelle zwischen rußgeschwärzten Steinen. Es war ein Platz ohne Geschichte. Beliebig. Ein Ort, den man leicht wieder vergessen konnte.

Der Jarl setzte Kadlin ab. Sofort richtete sich die Kleine auf und lief über den Kiesstreifen zum Ufer. Sie packte einen grauen Kiesel und wollte ihn ins Wasser werfen, doch er fiel zu kurz. Mit ärgerlichem Gemurmel suchte sie einen neuen Stein. Blut legte sich ganz in ihrer Nähe nieder. Der große Hund wirkte angespannt. Seine Ohren blieben aufgerichtet. Ahnte er, was kam? Alfadas holte den Braten aus seiner Tasche und warf Blut die Fleischklumpen zu. Doch der Hund regte sich nicht. Stattdessen kam Kadlin vom Ufer. Sie zupfte mit ihren kleinen Fingern Fleischfasern von den Bratenstücken und stopfte sie sich in den Mund. Erst jetzt fraß auch Blut einen der Fleischklumpen.

Plötzlich sprang der Hund auf und warf dabei die Kleine um. Kadlin schüttelte sich nur und lachte. Sie hielt es für ein Spiel. Mit steifen Beinen, den Kopf vorgestreckt, stieß Blut ein tiefes, kehliges Knurren aus. Kadlin griff in sein Fell und zog sich hoch. Sie versuchte das Knurren nachzuahmen.

Aus dem Wald über dem Uferstreifen trat eine weißhaarige Gestalt. Gundar, der Luthpriester. Er trug einen grauen Kittel und hatte eine speckige Ledertasche umgehängt.

Blut hörte auf zu knurren, ließ den Ankömmling aber nicht aus den Augen. Der Priester fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er hatte einen hochroten Kopf und atmete stoßweise. »Du hast einen strammen Schritt, Jarl«, keuchte der Alte. »Ich bin nicht mehr für Spaziergänge vor dem ersten Frühstück geschaffen.« Der Priester ließ sich auf dem Kies nieder und holte eine Flasche aus der Tasche. In langen Zügen trank er, dann hielt er Alfadas die Flasche hin. »Ein guter Tropfen. Bestes Quellwasser, vom Fuß des Hartungskliffs. Das wird dir schmecken.«

Der Jarl nahm die Flasche, setzte sie aber nicht an die Lippen.

»Warum bist du mir gefolgt?«

»Ach ... Ich hatte einen Traum. Ich glaube, der Hund taugt was. Und ich hatte so eine Ahnung, dass du einen Fehler begehen könntest.«

Alfadas schüttelte den Kopf. »Träume, Ahnungen ... Wir beide wissen, was Ole aus Blut gemacht hat. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Hund jemanden anfällt. Und ich möchte nicht erleben, dass es meine Frau oder meine Kinder sind. Er muss weg ...«

»Ich verstehe deine Sorgen, Jarl. Aber vertraue den Göttern! Hast du schon vergessen, was gestern Nacht geschah? Luth hat dir ein Zeichen gegeben. Achte ihn. Du bist einer der wichtigsten Fäden in dem Teppich, den er zum Schmuck für seine goldene Halle webt. Ich glaube, es wäre falsch, den Hund zu töten.« Der Priester zwinkerte. »Sei ehrlich, Jarl. Es war doch nicht deine Idee, in aller Früh mit einem Hund, einem Kind und einer Axt einen Spaziergang am Fjord zu machen.«

Alfadas musste unwillkürlich schmunzeln. Verdammter Kerl! Konnte er in sein Herz sehen? Aber er würde sich nicht gegen Asla stellen. Ihre Entscheidung war richtig. Ungerecht, aber vernünftig. »Ich habe gesehen, was jenseits der Welt liegt, Priester. Das Nichts. Ein bodenloser Abgrund. Finsternis, bevölkert von körperlosen Schrecken, die nach dem Seelenlicht der Lebenden gieren. Dort gibt es keine Götter und auch keine goldenen Hallen. Ich schätze dich, Gundar. Und ich weiß, wie viel du für das Dorf tust. Aber erwarte nicht, dass ich an deinen Gott glaube oder gar auf ihn höre.«

»Bist du sicher, dass du alles gesehen hast? Wir sind nicht wie die Elfen, die dich großgezogen haben, Jarl. Wir sind keine Albenkinder. Und die Völker der Menschen wurden nicht von den Alben erschaffen. Wir haben etwas, das ihnen fehlt. Etwas, worum sie uns beneiden. Wir können in die goldenen Hallen der Götter eingehen, wenn wir es uns verdient haben. Und dort werden wir bis in alle Ewigkeit ein Fest feiern.«

Alfadas seufzte. Er mochte den Alten und wollte dessen Gefühle nicht verletzen. Wie sollte er ihm klar machen, dass Elfen ewig leben konnten? Das, was er als wunderbare Verheißung nach dem Tod sah, war ihre Wirklichkeit. Alfadas kannte die Geschichten seines Volkes. Aber welche Götterhalle konnte sich mit Emerelles Palast messen? Die Priester erzählten von riesigen Langhäusern mit goldbeschlagenen Holzpfeilern, in denen die Götter mit ihren Auserwählten ein niemals endendes Gelage abhielten. Hallen voller Rauch und dem Grölen von Zechern.

Wie viel wunderbarer waren die Festhallen der Elfen. Hoch und mit Wänden, die aussahen, als seien sie aus Morgenlicht erschaffen. Blütenduft lag dort in der Luft. Und wenn einer ihrer Meister auf der Flöte spielte oder die Laute anschlug, dann ging einem die Musik direkt ins Herz. Alfadas strich über den glatten Schaft der Axt. Das Holz war dunkel vom Schweiß. Der Jarl dachte an die lange Reise mit seinem Vater. An ihre verfluchte Suche nach dem Bastardkind.

»Ich habe das Nichts gesehen, alter Mann. Und andere Orte, die du dir in deinen kühnsten Träumen nicht vorstellen kannst. Aber an goldene Hallen glaube ich nicht.«

»Ich sage ja nicht, dass es dieses Nichts nicht gibt«, lenkte Gundar ein. »Einen Ort der Dunkelheit und der Verzweiflung. Wir alle haben gewiss Stunden durchlebt, in denen wir uns diesem Ort sehr nahe wähnten. Ich fürchte sogar, dass die meisten von uns dorthin gehen werden, wenn die Stunde gekommen ist. Doch es liegt bei uns zu entscheiden, was unser Schicksal sein wird.«

»Tut es das?«, fragte der Jarl zynisch, obwohl er zugleich froh war, das Unausweichliche noch ein wenig hinausschieben zu können, solange er mit dem Priester sprach. »Dein Gott ist doch der Schicksalsweber. Wie kann ich über meine Zukunft entscheiden, wenn mein Weg schon vorherbestimmt ist? Bin ich dann nicht der Sklave des Luth? Eine willenlose Figur im Spiel der Götter?«

Gundar holte einen Apfel aus seiner Tasche und biss herzhaft hinein. Er sah zu Kadlin, die wieder zum Ufer gegangen war und dort mit Kieseln spielte. »Du missverstehst das Wesen von Luth, Jarl. Er ist der Schicksalsweber, ja, doch er weiß, was du tun wirst, weil er dich sehr gut kennt, denn er hat den Faden deines Lebens gesponnen. Manchmal versucht er uns zu helfen, indem er uns Zeichen gibt. Er ist ein freundlicher Gott. Er wünscht sich, dass wir alle den Weg in die goldenen Hallen finden, auch wenn er weiß, dass die meisten es nicht schaffen werden. Er hofft, dass wir mit offenen Augen für das Wirken der Götter durch das Leben gehen. Wer schon im Leben mit Luths Wirken vertraut ist, der wird im Tode leichter zu ihm finden. Leider ist die Mehrheit von uns für seine Zeichen blind. Selbst ich verstehe ihn nicht immer.«

Alfadas schüttelte den Kopf. Diesen Götterglauben würde er niemals begreifen. Allein ihn anzuerkennen, fiel ihm schon schwer. Er wollte Gundar nicht verhöhnen, und doch gingen die Pferde mit ihm durch. »Wir sollten deinem Gott Gelegenheit geben, uns gleich hier eines seiner Zeichen zu schicken. Obwohl das Wasser des Fjords bitter ist, versucht Kadlin immer wieder, davon zu trinken. Blut wird sicher auch bald durstig sein. Trinkt Kadlin zuerst, dann schenke ich dem Hund das Leben.« Er blickte zum Himmel hinauf. »Hast du gehört, Luth? So leicht mache ich es dir. Das Leben von Blut liegt in deiner Hand. Entscheide!«

Der Priester blieb erstaunlich gelassen. Alfadas hatte mit empörtem Protest gerechnet. Oder zumindest mit einem Tadel, weil er den Gott herausforderte, doch Gundar aß in aller Ruhe seinen Apfel. Erst als er fertig war und die Kerne des Gehäuses ins Gras gespuckt hatte, sprach er. »Unter den Menschen mag es vielleicht keinen geben, der es mit dem berühmten Schwertkämpfer Alfadas aufnehmen kann, mit dem Herzog des Königs, dem Schrecken aller Feinde des Nordlands. Doch ganz gleich, was für Namen und Titel man dir geben mag, einen Gott zu fordern, übersteigt die Kräfte auch des besten aller Menschen. Es ist, als fordere Kadlin dich zu einem Zweikampf.« Er lächelte.