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Steuerbord schäumte das Wasser auf. Riesige Kiefer stießen aus der See und zerteilten eine der treibenden Leichen mit einem einzigen Biss. Ein abgetrennter Arm drehte sich träge in der roten Flut. Es schien, als winke er Orgrim einen Abschiedsgruß zu, dann versank er.

Mit einem mulmigen Gefühl wandte der Troll den Blick ab. Skanga hatte nicht gesagt, was sie von ihm wollte oder wohin die Fahrt gehen sollte. Das große Schiff glitt zwischen den in fahlem Weiß leuchtenden Türmen an der Hafeneinfahrt hindurch. Die See lag spiegelglatt vor ihnen. Obwohl sich nicht das geringste Lüftchen regte, knarrten die Segel der Geisterwind und blähten sich. Orgrim hatte schon viele Geschichten über das Schiff der Schamanin gehört. Hätte er gewusst, dass sie ihn nicht in ihrem Zelt empfangen wollte, sondern an Bord dieses verfluchten Schiffes befehlen würde, dann wäre er erst gar nicht gekommen.

Skanga stand auf dem Achterdeck. Sie hatte eine Hand feierlich auf ihr Herz gelegt und blickte nach Osten.

Wie in feierlicher Prozession strebten dreieckige Haifischfinnen dem Hafen entgegen. Es mussten hunderte sein. Für den Augenblick vertrieb der Ärger über all das verlorene Fleisch seine Furcht. Er hatte auch Gerüchte über ein großes Fest gehört, das morgen im Rosenturm gefeiert werden sollte. Bis dahin würde er wohl kaum zurück sein.

Ein Stück voraus standen Shahondin und sein Sohn am Hauptmast der Geisterwind. Wie konnte Skanga diesen beiden Wichten nur trauen? Sie verrieten ihr eigenes Volk! Warum sollten sie den Trollen Treue erweisen?

Die große Galeasse machte gut Fahrt. Ihr Rumpf schwenkte langsam nach Osten und hielt auf das Waldmeer zu. Orgrim kauerte sich am Schanzkleid nieder und beobachtete die Besatzung. Es hieß, dass Skanga jeden einzelnen ihrer Männer persönlich ausgesucht hatte. Auch einige von seinen Leuten waren vor der Invasion an Bord der Geisterwind befohlen worden. Die Schamanin wollte auch Boltan haben. Orgrim hatte seinen Geschützmeister nur behalten, weil der nach dem Zwischenfall mit der Feuerkugel schwer verletzt gewesen war. Beunruhigt überlegte Orgrim, ob Skanga an ihm Gefallen gefunden haben könnte. Der Schamanin ging ein gewisser Ruf voraus. Lieber würde Orgrim darauf verzichten, je wieder mit einem Weib sein Lager zu teilen, als sich mit dieser alten Vettel einzulassen. Sollte sie sich doch mit den beiden Elfen vergnügen! Er grinste bei der Vorstellung, was Skanga mit den beiden wohl alles anstellen mochte. Hochnäsiges Pack! Jetzt war es an den Elfen zu lernen, was es hieß, der Gnade der Sieger ausgeliefert zu sein.

Seine Gedanken schweiften ab, und er brütete darüber, wie groß wohl seine Aussichten waren, jemals wieder von einem Weib auserwählt zu werden. In der Nacht, nachdem er Rudelführer geworden war, war er zum ersten Mal erwählt worden. Es waren stets die Weiber, die entschieden, wem sie sich hingaben. Und sie nahmen sich nur die Berühmtesten oder Größten unter den Kriegern. Gran stand trotz seines niederen Ranges in hohem Ansehen bei ihnen, dachte Orgrim eifersüchtig. Und der Mistkerl ließ keine Gelegenheit aus, mit seinen Abenteuern zu prahlen.

Auf zehn Krieger kam ein Weib. Viele Trolle warteten ihr ganzes Leben lang vergeblich darauf, erwählt zu werden. Das war der Fluch seines Volkes. Ihre Weiber waren nicht unfruchtbar, so wie man es von den Elfen erzählte, wo nur wenige Kinder geboren wurden. Die meisten Weibchen gebaren ständig neue Brut. Aber sie waren ein Volk von Kriegern. Die Weiber blieben wohl verborgen und gut bewacht in den Felsenburgen. Jede von ihnen hatte drei oder vier Leibwächter, die sie herumkommandieren konnte.

Orgrim dachte an den Einfluss, den Skanga auf den König hatte. Vielleicht waren sie ja insgeheim ein Volk, das von seinen Weibern kommandiert wurde. Er lächelte in sich hinein. Aber das würde immer ihr Geheimnis bleiben. Fremde bekamen niemals ein Trollweib zu sehen. Unter den übrigen Albenkindern machte eine Legende die Runde, dass Trolle in dunklen Höhlen aus Stein geboren wurden. Sollten sie das nur glauben! Es würde die Furcht schüren, die viele vor ihnen empfanden.

Das sanfte Wiegen der Wellen ließ den Troll eindösen. Es war angenehm, keine Verantwortung für das Schiff zu haben, auf dem man reiste. Im Halbschlaf dachte er an die wenigen Nächte zurück, die er mit Weibern verbracht hatte. An die liebestollen Ringkämpfe, den Duft ihrer schweißüberströmten Leiber. Die wunderbaren Tätowierungen auf den kahlen Schädeln seiner Gespielinnen, üppige Brüste und starke, zupackende Hände.

Ein Ruf riss Orgrim aus dem Halbschlaf. Er spürte, wie das Schiff an Fahrt verlor. Blinzelnd sah er sich um. Der Mond stand hoch am Himmel. Es mussten drei oder vier Stunden vergangen sein, seit sie Vahan Calyd verlassen hatten. Zwei Anker rasselten ins Wasser. Mit dem Flaschenzug am Hauptmast wurde eines der großen Beiboote zu Wasser gelassen. Die Seeleute versahen ihren Dienst tadellos. Doch es herrschte eine gedrückte Stimmung an Bord. Nie wurde geflucht oder gelacht. Die Männer verrichteten ihre Arbeit in verbissener Stille. Eine Aura der Angst lag über der Geisterwind.

Ein Trupp Ruderer sammelte sich mittschiffs unter dem Kommando eines jungen Rudelführers. Ringsherum ragten riesige Zeugenbäume aus der See. Die Geisterwind musste tief ins Waldmeer vorgestoßen sein, während er geschlafen hatte. Etwa eine halbe Meile entfernt erhob sich eine Insel gleich einem großen Fangzahn aus der See. Am Strand brannten einige Feuer.

Schlurfende Schritte ließen Orgrim herumfahren. Skanga! Sie trat ans Schanzkleid und winkte ihn zu sich herüber. Mit einer knappen Geste deutete sie zur Insel. »Da haben unsere Späher heute Mittag die Spur der Flüchtigen aufgenommen und wieder verloren«, erklärte die Schamanin. »Es gibt dort einen großen Albenstern. Ich hatte geahnt, dass Emerelle und ihre Getreuen an einen Ort wie diesen kommen würden. Sie waren schnell.«

»Werden wir sie dann noch stellen können?«

Skanga bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick. »Zweifelst du an meinen Fähigkeiten? Die Elflein haben sich mit dieser Flucht ein wenig Zeit erkauft, mehr nicht. Im Labyrinth der Albenpfade können sie tausend Wege eingeschlagen haben. Ich werde einen besonderen Zauber wirken müssen ...« Sie sah zu den beiden Elfen. »Und die hochverehrten Elfenfürsten werden mir dabei eine große Hilfe sein. Komm mit mir, Orgrim. Ich wünsche, dass du alles verstehst, was heute Nacht geschieht.«

Skanga stieg in einen Sitz aus geflochtenen Lederriemen und ließ sich mit dem Flaschenzug über Bord hieven. Gestützt von zwei Kriegern, stieg sie aus und ließ sich im Beiboot nieder. Plötzlich stürzte sich eine ganze Gruppe Trolle auf die beiden Elfenfürsten. Sie wurden gefesselt und ohne auf ihre Proteste zu achten, über Bord geworfen. Vom Boot aus fischte man sie mit langen Stangen aus dem Wasser. Orgrim sah mit gemischten Gefühlen dabei zu. Den ganzen Tag über beteuerte Skanga, wie wichtig diese beiden Elfen waren. Und dann wurden sie so behandelt, nur um sich die Plackerei zu ersparen, sie mit dem Flaschenzug herabzulassen.

Der Troll kletterte das Fallreep hinab und ließ sich am Bug des Bootes nieder. Die Ruderer stießen das kleine Gefährt vom Rumpf der Geisterwind ab und begannen aus Leibeskräften zu pullen. Dabei hielten sie respektvollen Abstand zu den Zeugenbäumen, die von stachelartigen Wurzeln umringt waren. Der Mond überzog das Meer mit metallenem Licht. Jede Welle und jede Klippe hob sich überdeutlich von der silbernen See ab. Orgrim konnte sehen, wie sich Krabben die zerklüfteten Stämme der Baumriesen hinaufarbeiteten. Was war dies nur für eine seltsame Weltgegend! Es gab Bäume, die das Land verließen, um in der offenen See zu wurzeln, und Krabben, die das Meer verließen, um auf Bäume zu steigen. Was die Viecher dort oben zwischen den Ästen wohl machten? Nisten?