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»Ich will Maruk hier haben!« Die Schamanin hatte die Holztruhe geöffnet und einen Kreidestein herausgeholt. Sie begann damit, um die beiden Elfen einen großen Kreis auf den Boden zu ziehen. Shahondin und Vahelmin wanden sich vergeblich in ihren Fesseln. In ihren Augen stand die nackte Angst. Wussten sie, was Skanga plante?

»Mach dich nützlich, Welpe!« Skanga drückte ihm den Kreidestein in die Hand. »Zieh die Linie noch einmal nach. Sie muss nicht hübsch und auch nicht regelmäßig sein. Sie darf nur keine Lücke haben. Also streng dich an!«

Orgrim gehorchte, und er hielt sich an ihren Befehl, keine Fragen zu stellen. Sorgfältig zog er den Kreidestrich nach, während Skanga mit einem Blutstein einen zweiten, kleineren Kreis zeichnete. Dann holte sie aus der Truhe Schmuck und Kleider aus hauchzartem Stoff. Den Sachen haftete ein Brandgeruch an, der den Duft des Meeres aus der Höhle vertrieb.

»Du dachtest, du könntest dich über Branbart lustig machen, nicht wahr?« Erschrocken blickte Orgrim auf. Doch Skanga meinte nicht ihn. Sie sprach mit dem geknebelten Elfenfürsten.

»Du denkst, wir Trolle sind dumm. Und es war dein Plan, uns zu hintergehen. Dir würde es niemals einfallen, uns deine Hilfe anzubieten, wenn du nicht ganz sicher wärst, du könntest uns hereinlegen. Doch ich habe dich durchschaut, Shahondin. Dir ging es nicht allein darum, Emerelle zu töten, wie du uns erzählt hast. Du wolltest ihre Krone. Und selbst jetzt hast du diesen Traum noch nicht aufgegeben.« Der Elf setzte sich halb auf. Erstickte Geräusche drangen durch seinen Knebel.

»Nein. Ich habe heute Morgen genug von dir gehört. Doch weißt du was? Du wirst Branbart und mir ein treuer und aufopfernder Diener sein. Du wirst uns hassen. Mehr noch als Emerelle. Und trotzdem wirst du alles geben, um mir meinen Wunsch zu erfüllen.« Die Alte kicherte. »Verlässt dich dein Mut? Glaub mir, du kannst dir in deinen wildesten Albträumen nicht ausmalen, was ich mit dir und deinem Sohn vorhabe. Ihr werdet Emerelle für mich finden. Ich werde euch zu vollkommenen Jägern machen.«

Skanga beugte sich vor und schnupperte an Shahondins Haar. Dabei machte sie ein enttäuschtes Gesicht. »Nicht einmal jetzt riechst du nach Angst, Elflein. Gar kein Geruch haftet euch an, es sei denn, ihr schmückt euch mit ihm. Ich hatte das schon befürchtet. Dabei mögen sie starke Gerüche. Sie werden davon angezogen, wie der Geruch des Blutes die Haie von weither in den Hafen von Vahan Calyd lockt.« Sie wandte sich um. »Ah, Manuk. Da bist du ja.« Sie winkte den Bootsführer zu sich, der etwas unschlüssig an der Mündung des Tunnels stand. »Komm hierher und stell dich kurz zu den beiden Elflein. Achte darauf, dass sie nicht zu sehr herumrutschen und den Rand des Kreidekreises verwischen.«

Die Schamanin begutachtete Orgrims Arbeit und nickte zufrieden. »Sehr gut, Welpe. Hol nun die Kerzen, die du in der Kiste findest, und stell sie hier nach deinem Gutdünken auf. Kerzen sind immer gut, wenn man mit der Finsternis zu tun hat, nicht wahr?«

»Ja, gewiss«, antwortete Orgrim zögerlich. Er fragte sich, ob Skanga verrückt geworden war.

Die Schamanin zog eine kleine, lederne Flasche aus einer der Falten ihres Flickengewandes. Mit einem Zug trank sie die Flasche leer; dabei blähte sie die Backen. Sodann pustete sie durch ihre zusammengepressten Lippen einen Nebel dunkelbraunen Saftes über die beiden Gefangenen. Wieder lachte sie. »So ist es besser, meine Hübschen. Lebertran und Robbenblut. Nun riecht ihr nach etwas, Elflein. Ich muss nur noch Sorge dafür tragen, wie ich euch später auseinander halte.«

Orgrim holte die Kerzen aus der Truhe, doch er fand nichts, um sie anzuzünden. Brud und die Seeleute mit den Fackeln hatten sich zurückgezogen. »Skanga?«

Die Schamanin brachte ihn mit einer ärgerlichen Geste zum Schweigen. »Stell sie einfach hin. Um den Rest kümmere ich mich später. Störe eine alte Frau nicht, wenn sie noch einmal Freude an ihrem Leben hat.« Sie strich mit ihren krummen Fingern über Shahondins Gesicht. »Du bist doch sicher hunderte Jahre alt, Elflein. Und trotzdem ist dein Gesicht so glatt und makellos, wie es die Titten einer Jungfrau sind, der zum ersten Mal das Blut fließt. Darum habe ich euch Elflein schon immer beneidet.«

Orgrim ließ Skanga nicht aus den Augen, während er die dicken, schwarzen Kerzen aufstellte. Was sollte dieses Getue mit den Elfen? Plötzlich drückte die Schamanin einen Finger seitlich in Shahondins Auge, sodass der Augapfel heraussprang. An einem dünnen Fädchen hing das Auge über der Wange des Elfen. Der Fürst bäumte sich in seinen Fesseln auf. Sein Knebel erstickte seinen Schrei zu einem dumpfen Gurgeln.

Skanga schloss die Hand um das Auge auf der Wange. »Ich liebe es, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Ich muss dich doch von Vahelmin unterscheiden können.« Mit einem Ruck zerriss sie den dünnen Faden, an dem der Augapfel hing, und schob ihn sich in den Mund. Genüsslich kauend wandte sie sich zu Orgrim um.

»Du hast genug Kerzen aufgestellt. Geh nun in den anderen Kreis und bewege dich nicht dort hinaus, bevor ich es dir erlaube.«

Skanga legte die Linke auf ihr Herz und schnippte mit den Fingern. Augenblicklich flammten alle Kerzen auf. Sie verbreiteten einen schweren, ranzigen Geruch.

Orgrim tat, wie ihm geheißen. Der rote Kreis war eng. Was hatte sie mit ihm vor? Warum musste er hier allein stehen? Und warum grinste ihn dieser Manuk so an? Wusste der Bootsführer, was geschehen würde? Er stand nun zusammen mit Skanga neben dem großen, weißen Kreis. Die Schamanin hatte ihm vertraulich die Hand auf die Schulter gelegt.

Orgrim roch, dass er den säuerlichen Geruch der Angst verströmte. Er war kein Feigling! Aber er kämpfte am besten, wenn er seinen Feind klar vor Augen hatte. Das hier war ihm unheimlich.

Skanga begann leise zu singen. Die dunklen Adern tief im Fels tanzten im Rhythmus ihres Liedes. Der Boden schien leicht zu vibrieren. Nahe dem weißen Kreis stieg ein Bogen aus goldenem Licht aus dem Fels. Er umschloss einen Durchgang in die Finsternis.

Das Nichts!

Wer es einmal gesehen hatte, würde es immer wieder erkennen. Selbst die Finsternis einer bewölkten, mondlosen Nacht konnte man nicht damit vergleichen. Das Nichts war dichter ... Und man ahnte, dass kein Licht jemals jenseits des goldenen Pfades scheinen würde. Skangas Lied hatte sich verändert. Ihre Stimme formte keine Worte mehr. Sie war zu einem tiefen, kehligen Knurren geworden. Gleichzeitig ging mit Manuk eine seltsame Veränderung vor sich. Seine Haut schrumpelte und wurde faltig. Er hatte die Augen weit aufgerissen. Aus seinem Mund troff ein Faden aus klebrigem, goldenem Licht. Sich windend wie ein Wurm, tanzte der Faden zu Skangas Gesang. Schwerelos hielt er sich in der Luft und verschwand durch das Portal, das die Schamanin geöffnet hatte.

Ein hechelnder Laut antwortete aus dem Nichts. Etwas schob sich durch die goldene Pforte. Gebückt, heimtückisch lauernd. Ein lebendig gewordener Schatten. Es wurde kühler in der Höhle. Der goldene Faden schien den Schatten durch das Tor gezogen zu haben ... Nein. Orgrim erkannte seinen Irrtum. Es war anders. Dieses Schattenwesen verschlang das Licht.

Noch eine zweite Kreatur trat aus der Finsternis. Die beiden begannen einen stummen Kampf um das Licht.

Maruk war kleiner geworden. Seine Haut spannte sich jetzt straff wie bei einem Greis über den Schädel. Deutlich zeichneten sich all seine Knochen ab. Er sah aus, als habe Skanga alles Fleisch aus seinem Leib geschmolzen. Seine Augen waren milchig weiß. Er war blind und musste nicht mehr mit ansehen, was sich an seiner Lebenskraft labte.

Der goldene Faden riss ab. Maruk kippte vornüber. Gierig verschlangen die Schattengestalten den Rest des Lichts. Dann strichen sie leise knurrend durch die Höhle. Sie erinnerten an große Hunde, nur dass sie keine Schwänze hatten. Ihre Form schien veränderlich. Sie schnupperten an den Kleidern und dem Schmuck, der auf dem Höhlenboden verteilt lag.

»Dies gehört Emerelle, der Königin der Elfen«, sagte Skanga leise. »In ihr brennt ein starkes Licht. Ich möchte, dass ihr sie für mich findet. Ihr werdet es spüren, wenn sie zurückkehrt. Immer wenn eine Zauberweberin mit einem Albenstein das Netz betritt, gibt es eine Erschütterung.«