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»Warum sie mein Haus wohl so schnell verlassen hat?«, sagte Alfadas tief in Gedanken.

»Vielleicht weil sie einen Wald deinen verräucherten vier Wänden vorzieht?« entgegnete Ollowain scherzend. Der Jarl lachte. »Das tut sie ganz gewiss. Außerdem glaube ich, hat sie sofort verstanden, was zwischen mir und Asla ist.«

»Das konnte wohl jeder verstehen, der Augen dafür hatte, dass du ohne Hose herumgelaufen bist.« Der Menschensohn errötete. »Silwyna ist noch immer wunderschön. Als sie vor mir in der Tür stand, da war es für mich, als wäre sie nur einen Augenblick fort gewesen und nicht zehn Jahre. Ich ... Wenn Asla nicht wäre ...«

»Aber es gibt Asla nun mal. Und sei froh darum, dass du sie hast. Sie ...«

»Sie hat sofort gespürt, dass ich Silwyna kannte«, unterbrach ihn der Jarl. »Dabei habe ich ihr niemals von unserer Liebe erzählt.«

»Hat sie denn nicht gefragt, wie dein Leben am Hof Emerelles verlaufen ist?« Ollowain war überrascht. Er hatte ein anderes Bild von Menschen gehabt. Er stellte sich vor, dass sie nicht sehr feinfühlig waren. Etwa so wie Kentauren. Dass Asla so klug sein könnte, eine Frage nicht zu stellen, deren Antwort sie nicht ertragen könnte, hätte er ihr nicht zugetraut.

»Sie mag es nicht, wenn ich von dieser Zeit erzähle. Ich spüre, wie es an ihr nagt. Sie wird jedes Mal wütend, wenn ich zum Steinkreis hinaufschaue. Aber sie stellt keine Fragen. Asla ist eine wunderbare Frau.«

Sie hatten den Rand des Waldes erreicht. Vor ihnen lag ein felsiger Uferabschnitt. Ulric stürmte voraus zum Wasser. Und die kleine Tochter zog ihren Vater an den Haaren und wollte von seinen Schultern herab. »Ich fürchte, ich bin ihr kein guter Gatte«, sagte er leise. »Sie nennt mich oft mein schöner, fremder Mann. Ihre Worte sollen ein Scherz sein. Und doch ist es genau das, was sie empfindet. Wir haben zwei Kinder. Wir leben seit acht Jahren zusammen. Und ich bin ihr fremd.«

Ollowain legte seinem Freund die Hand auf den Arm. Schon als kleiner Junge, wenn Alfadas niedergeschlagen gewesen war, weil die jungen Elfen ihm in so vielem überlegen gewesen waren und er trotzdem mit ihnen hatte mithalten wollen, war er zu Ollowain gekommen. Schon damals war es dem Schwertmeister schwer gefallen, ihm einen Rat zu geben. Und heute ... Was wusste er von den Herzen der Menschen? Er konnte nur hier sein und zuhören.

Kadlin begann mit ihren kleinen Fäusten auf den Kopf ihres Vaters zu trommeln. Sie gab sich keine Mühe mehr, sich festzuhalten. Sie wollte herunter.

»Wie es scheint, hast du da eine kleine Kriegerin«, scherzte Ollowain, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

Alfadas lächelte matt und setzte seine Tochter ab. »Hier werden Frauen nicht zum Kampf ausgebildet.«

Kadlin stampfte wütend mit den Füßen auf und beschwerte sich lautstark, als er sie an einem Zipfel ihres Kleides festhielt, statt sie auf dem von tiefen Spalten durchzogenen Klippenstreifen herumlaufen zu lassen. Böiger Wind drückte das Wasser des Fjords gegen das Ufer. Platschend brachen sich die Wellen in einem Labyrinth aus Höhlen und Spalten. Manchmal schoss überraschend eine Gischtfahne aus dem zerklüfteten Untergrund. Ulric war schon ganz nass. Er stand auf einer Felsnase, die weit in den Fjord hineinreichte, und rief dem König vom dunklen Grund eine Herausforderung entgegen.

Ollowains Blick wanderte über das weite Wasser. Das Wetter war umgeschlagen, der Himmel bedeckt, und Wellen mit kleinen weißen Schaumkronen eilten dem Ufer entgegen. Weit entfernt sah er ein kleines Boot, das mit halb gerefftem Segel gegen den Seegang ankämpfte. Es fröstelte den Elfen. Die Landschaft war von rauer Schönheit. Sie passte zu den Menschen, dachte er. »Gegen wen will dein Sohn denn jetzt kämpfen?«, fragte er.

»Wer ist dieser König vom dunklen Grund?«

Alfadas winkte ab. »Nur eine von vielen Geschichten, wie sie sich die Fjordländer gern in langen Winternächten an ihren Feuergruben erzählen.«

»Glaubst du, man könnte sie auch einem Elfen an einem dunklen Herbsttag erzählen?«

Der Jarl sah ihn verwundert an. »Es ist wirklich nichts Besonderes.«

»Zumindest deinen Sohn scheint sie sehr beeindruckt zu haben.«

Ulric stand noch immer auf der Felsnase. Er hielt jetzt sein Holzschwert dem Himmel entgegengestreckt, als habe er gerade einen großen Sieg errungen.

Alfadas musste lächeln. »Ja, es ist die Art von Geschichte, die Kinder, alte Krieger und Narren in ihren Bann schlagen. Vor langer Zeit, als Eisen allein den Waffen der Götter vorbehalten war, regierte an den Fjorden ein stolzer Herrscher, König Osaberg. Viele nannten ihn auch den Goldenen, denn er trug eine schwere Brustplatte ganz aus goldener Bronze. Einen Helm mit Flügeln daran besaß er, ein Kettenhemd, das bis zu den Knien herabreichte, sowie einen großen, runden Schild, auf dem das Bild einer Seeschlange prangte. Er war ein stolzer und ein reicher König. Viele Kriege hatten seine Schatzkammer gefüllt und ihm etliche Feinde beschert. Selbst seine eigenen Fürsten beneideten ihn, denn neben diesem König wurde der Ruhm selbst des tapfersten Kriegers zu Asche. In dieser fernen Zeit fuhren selbst die Herrscher in Booten aus Lederhäuten, so wie es heute noch unsere Fischer tun. Eines Sommers wurden Osaberg und seine Männer auf einer Kriegsfahrt von übermächtigen Feinden gestellt. Es heißt, seine eigenen Fürsten hätten ihren Herrscher verraten. Jedenfalls flohen sie in ihren Booten, noch bevor sie einen Schwertstreich taten. Osaberg und seine letzten Getreuen wurden umzingelt. Sie kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, doch die Übermacht der Feinde war zu groß. Der König war der Letzte, der noch focht. Als er sah, dass seine Niederlage unabwendbar war, zerschnitt er mit dem Schwert die lederne Bootshaut und versank in seiner schweren Bronzerüstung im Fjord. Zuletzt rief er seinen Feinden noch zu, er werde wiederkehren, um aus ihren Knochen einen Thron am Grund des Fjords zu errichten. Zwei Tage später sanken die meisten Schiffe der Verräter und der siegreichen Feinde in einem plötzlichen Sturm. Seit jener Zeit, heißt es, wandert König Osaberg rastlos auf dem Grund der Fjorde umher. Und manchmal steigt er aus dem Wasser, um im Zweikampf den Mut der Tapferen zu erproben oder um Schrecken und Tod unter die Feinde des Fjordlands zu tragen.«

»Vielleicht solltest du deinem Sohn nicht gestatten, nach diesem dunklen Herrscher zu rufen. Hast du keine Angst, dass er ihn erhören könnte?«

Alfadas lachte leise. »Wir sind hier nicht in Albenmark, mein Freund. Es ist nur eine Geschichte. Der König lebt allein in der Vorstellung von Knaben wie Ulric und von ein paar alten Narren. Es gibt solche Geschöpfe nicht in meiner Welt.«

»Und der Manneber?«, wandte Ollowain ein. Er sah das aufgewühlte Wasser des Fjords jetzt mit anderen Augen. Lauerte dort in der Tiefe der Geist eines uralten Kriegerkönigs? »Und was ist mit den Trollen? Einige ihrer Burgen sind kaum dreihundert Meilen von hier entfernt. Ganz zu schweigen von den Verstoßenen aus Albenmark, die sich in deine Welt gerettet haben. Es mag ja sein, dass es diesen König Osaberg nicht gibt. Aber vielleicht lauert ja etwas anderes am Grund des Fjordes.«

»Nein, mein Freund. Mein Schwiegervater ist Fischer. Und sein Vater war es auch. Die Tradition reicht viele Generationen zurück. Sie wissen um alles, was im Fjord lebt. Dort gibt es keinen König. Es ist nur eine Geschichte, mit der man die Kinder erschreckt und sie davon abhält, zu nahe ans Wasser zu gehen.«

Ollowain betrachtete den Jungen. Er war kräftig. Sein blondes Haar hing ihm in langen Strähnen in den Nacken. Auf den rutschigen Felsen hielt er ohne Mühe das Gleichgewicht. Er würde gewiss ein guter Schwertkämpfer werden, wenn Alfadas die Zeit fand, ihn angemessen zu unterrichten. »Dein Sohn scheint sich von dieser Geschichte nicht sonderlich schrecken zu lassen.«

Die Augen des Jarls leuchteten vor Stolz. »Er ist in der Tat sehr mutig. Er wird ein besserer Anführer sein als ich, denn er weiß, wohin sein Herz gehört.«

Wehmütig dachte Ollowain, dass er nie ein Kind gehabt hatte. Er hatte nicht einmal eine Frau auf Dauer an sich binden können. Immer hatte es etwas in seinem Leben gegeben, das ihm dringender erschienen war. Seit Jahrhunderten hatte er sich ganz dem Dienste an Emerelle verschrieben. Und er war zutiefst davon überzeugt, den richtigen Weg gewählt zu haben, so befremdlich ihm einige Entscheidungen der Königin auch erscheinen mochten. Sie blickte Jahrhunderte voraus. Niemand konnte verstehen, was sie bewegte. Sie führte verborgene Kämpfe, um die Albenkinder zu schützen. List, Intrige und Einschüchterung waren oft genug ihre Waffen, und sie halfen, Kriege zu vermeiden. Ollowain wusste, dass Emerelle nur das Beste für Albenmark wollte. Auch jetzt ... Und doch, wenn er an den Untergang Vahan Calyds dachte, quälten ihn Zweifel. Wie viel hatte die Herrscherin gewusst? Welcher Schrecken in der Zukunft rechtfertigte ein solches Opfer? Er würde es nur erfahren, wenn er ihr weiterhin treu diente. Er musste sie retten und die Geduld haben abzuwarten, was die Zukunft brachte. Für den Augenblick jedoch konnte er nichts tun, als darauf zu hoffen, dass Emerelle bald aus ihrem magischen Schlaf erwachte. Oder ... Nein, im Gegenteil! Er hatte die Muße, sich mit anderem zu beschäftigen, solange Emerelle ruhte und nicht bedroht war. Allein könnte er gegen die Trolle in Albenmark nichts ausrichten! Nur die Königin hatte die Autorität, alle Albenkinder zum Krieg zu rufen. Niemand anderem würden die Völker folgen.