Ollowain blickte zu Alfadas und dessen Sohn. So frisch waren die Erinnerungen an die Schwertkampfstunden des Jarls. Es hatte ihm Freude bereitet, den Jungen zu formen, sein Talent wachsen zu sehen. Er lächelte verhalten und nickte dann leicht.
»Es wäre mir eine Ehre, wenn ich Ulric einige Schwertkampflektionen erteilen dürfte. Selbst wenn dein Vater das Schwert als unmännliche Waffe verachtete, war er sehr begabt im Umgang damit. Und mir scheint es, dass auch in deinem Sohn dieses Erbe weiterlebt.«
»Welchen besseren Lehrer könnte Ulric jemals haben? Er wird begeistert sein, wenn ich ihm das sage. Er hält große Stücke auf dich, Ollowain. Ich habe oft von dir erzählt.«
Blut, der ziellos über die Felsnase gestreift war, begann plötzlich laut zu bellen. Er kläffte etwas an, das in einer Spalte verborgen war. Ulric rannte zu dem großen Hund hinüber und winkte dann seinem Vater. »Hier ist etwas ... Ein toter Hase. Er sieht seltsam aus.«
Ollowain folgte seinem Freund auf die Felsen hinaus. Inzwischen hatte sich Ulric flach auf den Boden gepresst und stocherte mit seinem Schwert in der Spalte herum. Tief zwischen den Felsen lag ein toter Hase. Er war zusammengeschrumpelt wie eine Dörrpflaume. Sein Fell wies keine Wunden auf.
»Was ist mit dem Hasen passiert, Vater?«
»Das ist nichts Besonderes«, sagte Alfadas leichthin. »Er muss dort hinabgestürzt sein, und dann ist er nicht mehr aus der Spalte herausgekommen. Die Hitze der letzten Tage hat ihn ausgetrocknet. Dort unten kommen Raben und andere Aasfresser nicht an ihn heran. Deshalb hat er sich so gut erhalten.« Der Jarl nahm das Holzschwert seines Sohns, legte sich flach auf den Fels und schaffte es mit ausgestrecktem Arm, den Kadaver herumzudrehen.
Verwundert bemerkte Ollowain, dass keinerlei Maden auf dem Tier zu sehen waren.
»Fühlst du, wie warm die Steine noch sind?«, fragte Alfadas seinen Sohn.
Ulric presste die flache Hand auf den Felsboden und nickte.
»Die Hitze der Mittagsstunden hat sich noch gehalten. Dort unten liegt der Hase wie in einem Ofen. Er ist gänzlich ausgetrocknet und besteht nur noch aus Fell und Knochen.« Blut knurrte, so als würde ihm diese Erklärung nicht gefallen, und Kadlin, die Alfadas endlich losgelassen hatte, fing ebenfalls an zu knurren.
Der Jarl stupste die Kleine leicht an, schnitt eine Grimasse und knurrte zurück. Selbst Ulric machte jetzt bei dem Spiel mit und begann zu bellen. Verwundert sah Ollowain zu. Er würde die Menschen niemals begreifen. Der Elf fühlte sich fehl am Platz und zog sich zurück. Er wollte den anderen den Spaß nicht verderben. Er ging zum Ufer und sah wieder hinaus auf den Fjord. Das Boot, das er vor einer Weile gesehen hatte, war bis auf hundert Schritt herangekommen. Es handelte sich um ein einfaches, fast rundes Fischerboot mit einem Rumpf aus Tierhäuten.
Nur ein alter Mann war an Bord. Er winkte ihm und rief etwas, doch der böige Wind verschluckte einen Teil seiner Botschaft. »Alfadas ... Dorf.. Krieger!«
Im fünften Jahr, in welchem Alfadas Mandredson Jarl von Firnstayn war, kehrten die Elfen zurück. Sie suchten Zuflucht in seiner Halle, dort wo heute die Halle der Könige steht. Und niemand Geringeres als eine Königin begab sich in seinen Schutz. Die Herrin der Albenlande, schwer verwundet und von ihren Feinden vertrieben, besann sich auf ihren Ziehsohn. Doch als sie das Land der Fjorde erreichte, versank sie in einen tiefen Schlaf. Kein Rufen oder Schütteln, ja nicht einmal die Macht der Magie vermochte sie aufzuwecken.
Ihre letzten Worte aber richtete sie an Alfadas Mandredson, den kühnen Herzog des Königs. Und sie bat ihn um Hilfe im Krieg gegen die Thronräuber.
Nun waren die letzten Getreuen Emerelles gestrandet, und sie blieben viele Tage in Firnstayn und sannen in ihrer Verzweiflung, was zu tun sei. Die Kunde von diesen seltsamen Gästen verbreitete sich wie der Wind. Und es dauerte nicht lange, bis König Horsa Starkschild erfuhr, wer da vom Hartungskliff herabgestiegen war. Da beschloss der alte Recke, noch einmal sein Schlachtross Mjölnak zu satteln, und er ritt den weiten Weg bis Firnstayn. In seinem Gefolge brachte er die berühmtesten aller Heilkundigen mit. Horsa wusste, dass der König die Seele des Landes ist. Und ist der König krank, so muss es auch seinem Land übel ergehen. Mit seinem großen Herzen hatte er entschieden, Emerelle zu helfen, wo er nur konnte. Doch Edelmut erzeugt stets auch Neid und Missgunst. Und wohl niemand ahnte in jenem Herbst, was für ein Unglück sich aus der Tat des Königs noch in selbigem Winter ergeben sollte.
Königliche Plane
»Du wirst morgen wieder zurück sein?«, fragte Asla.
Alfadas hatte mit einem Streit gerechnet, doch Asla war erstaunlich umgänglich geblieben. Welche Wahl hatte er auch, wenn der König ihn zu sich befahl?
»Ja, wenn alles gut geht, kann ich schon morgen Abend zurück sein.«
»Hoffentlich. Gäste, die über Tische und Bänke kotzen, wenn sie sich betrunken haben, bin ich ja gewohnt, aber dass man mir neben die Feuerstelle scheißt ...« Sie warf dem Kentauren einen bösen Blick zu. Orimedes machte sich gerade nützlich und spaltete Holz. Ihre übrigen Gäste hatten sich in den Schutz des Hauses zurückgezogen. »Was will der König von dir?«
Alfadas seufzte. Schon drei Mal hatte sie ihn das gefragt. »Ich weiß es wirklich nicht. Er hat mich zu sich nach Honnigsvald befohlen. Mehr hat der Bote nicht gesagt. Ich schätze, ihm sind Gerüchte über unsere Gäste zu Ohren gekommen, und er möchte wissen, was es damit auf sich hat.«
»Zieh nicht schon wieder für ihn in den Krieg. Bitte. Ich brauch dich hier.« Sie strich ihm sanft über die Wange. »Alle Zeichen deuten auf einen besonders harten Winter hin. Lass mich nicht allein, wenn die Zeit der Stürme und der Finsternis beginnt.«
Welch eine dumme Furcht! Er nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich. »Keine Sorge. Niemand ist so töricht und führt im Winter Krieg. Horsa wird meine Dienste als sein Heerführer nicht vor dem nächsten Frühjahr einfordern.« Er küsste sie und hoffte, all ihre Sorgen zerstreut zu haben. Dann schwang er sich in den Sattel und ritt den Hügel hinab. Unten grinsten ihn einige Männer an, die die Abschiedsszene beobachtet hatten. Hoffentlich wurde das Wetter bald schlechter. Dann würde die Belagerung seines Langhauses durch diese Gaffer endlich aufhören.
Am Fuß des Hügels drehte er sich noch einmal um. Asla stand in der Tür. Sie trug ihr grünes Festkleid und den feinen roten Umhang, den er ihr im letzten Sommer mitgebracht hatte. Ihr Haar war offen. Der Wind blies ihr eine lange Strähne quer über das Gesicht. Es war golden wie reifes Korn.