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Ollowain nickte knapp. »Gute Arbeit, Yilvina. Aber schick jemanden hinauf zum Vormast. Die Armbrustschützen dort sollen die Atem der See im Auge behalten. Vielleicht verbirgt sich auf einem ihrer Masten ein Bogenschütze.«

»Ich werde mich persönlich darum kümmern.« Die Elfe machte auf dem Absatz kehrt und eilte zum Vordeck. Emerelle hatte mit der feierlichen Rede begonnen, mit der sie ihren Verzicht auf den Thron erklärte. Sie stand an der Brüstung des Achterdecks und blickte zu den Fürsten hinab.

»... ein langer Mondzyklus ist verstrichen, und die Bürde der Macht ruht schwer auf meinen Schultern.« Der Königin gelang es, dass die altüberlieferten Floskeln aus ihrem Munde aufrichtig klangen. Doch Ollowain wusste genau, dass sie niemals auf ihre Herrschaft verzichten würde. Er ging zum Aufgang auf das Achterdeck. Es war besser, an Emerelles Seite zu bleiben, bis diese Nacht vorüber war.

»Seht her, ohne Krone bin ich vor euch getreten. Nun sagt mir: Wer aus unserer Mitte soll künftig die Last der Herrschaft tragen?«

Einen Augenblick herrschte Stille. Dann trat Hallandan der Fürst von Reilimee, der weißen Stadt am Meer – unter den Edlen hervor. »Ich benenne Emerelle, um den Schwanenreif zu tragen. Weisheit und Güte vereinen sich in ihr. Sie soll über uns herrschen.«

Eine frische Bö ließ die Fürstenbanner entlang der Reling knattern. Emerelle öffnete den Mund ... Sie wirkte orientierungslos.

Ollowain stürmte die Treppe zum Achterdeck hinauf. Doch schon hatte die Königin sich wieder gefangen. »Ihr Fürsten von Albenmark. Findet sich denn keiner, der die Bürde der Verantwortung an meiner Stelle tragen mag?«

Der Schwertmeister blickte zu Shahondin, doch der Herrscher Arkadiens blieb stumm.

»Wenn also kein anderer den Thron begehrt, so gelobet mir nun Treue«, fuhr Emerelle fort. »Ein Titel ist nur ein Wort. Eine Krone nur eitler Tand. Ihr aber seid das Fleisch meiner Herrschaft. Ohne euch gibt es kein Königtum.«

Nun traten die Fürsten einzeln vor, knieten vor Emerelle nieder und leisteten ihr den Treueid. Ollowain stand hinter seiner Königin. Er wünschte, er hätte in den Gedanken der Fürsten lesen können. Ihre Gesichter waren Masken. Sie verrieten keine Regung. Sicherlich waren die meisten Emerelle tatsächlich ergeben. Doch mindestens einer sann auf ihren Tod. Vielleicht Alathaia, Fürstin von Langollion, die schon lange im Streit mit Emerelle lag, weil sie sich angeblich der dunklen Seite der Magie verschrieben hatte und zu sehr nach den verborgenen Schätzen auf dem Albenhaupt strebte? Oder gar der stille Eleborn, ein weißhaariger Wassermann, der Herr über das Reich unter den Wogen? War es doch Shahondin? Oder am Ende irgendjemand ohne großen Namen, der einen Groll gegen die Königin hegte und auf Rache sann? Ollowain wünschte, diese Nacht sei endlich vorbei!

Eine junge Elfe in blütenweißem Kleid stieg zum Achterdeck empor. Auf einem blauen Samtkissen trug sie die Krone von Albenmark. Sie war aus weißem Gold und hunderten Diamantsplittern gefertigt und sah aus wie ein Schwan, der sich gerade aus dem Wasser eines Sees in die Lüfte erhob. Der stilisierte Kopf war weit nach vorne gestreckt, während die Flügel sich nach hinten krümmten und einen breiten Reif bildeten.

Emerelle nahm die Krone. Einen Herzschlag lang hielt sie das kostbare Kleinod hoch über ihren Kopf, sodass jeder an Bord es deutlich sehen konnte. Dann setzte sie die Krone auf. Es war ein Augenblick feierlicher Stille. »Nehmt Platz an meiner Tafel, edle Fürsten, und seid meine Gäste in dieser Nacht der Wunder.« Wie auf ein geheimes Signal hin schossen von allen Fürstentürmen schillernde Lichtfontänen in den schwarzen Himmel. Ausgelassenes Jubelgeschrei erklang auf den Kais und den Schiffen. Albenmark hatte wieder eine Königin.

Emerelle ließ sich auf ihren Thronsessel sinken. Sie wirkte sehr erschöpft. Der Schwertmeister sah, dass ihre rechte Hand zitterte. Er trat neben den Thron und beugte sich leicht vor.

»Geht es dir gut, Herrin?«

»Die Albenpfade«, flüsterte Emerelle. »Etwas hat nach ihnen gegriffen. Das unsichtbare Netz zwischen den Welten ist erschüttert worden. Jemand hat die Macht eines Albensteins genutzt, um neue Fäden zu spinnen.«

»Wir haben eine volle Ruderbesatzung unter Deck, Herrin. Ein Wort, und die Leinen werden gekappt.« Ollowain deutete zu den beiden Türmen, die den Hafeneingang markierten. »In weniger als einer halben Stunde sind wir auf offener See – wenn du es wünschst.«

Emerelle schüttelte müde den Kopf. »Ich bin die Königin. Ich kann nicht einfach fortlaufen. Schon gar nicht, wenn ich nicht einmal weiß, wovor ich fliehe. Es ist an mir, die Völker Albenmarks zu beschützen. Doch es ist gut zu wissen, dass die Mondschatten schnell einsatzbereit ist.« Sie winkte der jungen Elfe, die ihr die Krone gebracht hatte. Das Mädchen stand etwas verloren am Geländer über dem Hauptdeck. »Leiste mir Gesellschaft, meine Kleine. Wie heißt du?«

»Sansella, meine Königin.«

»Und wer hat dich zu dieser Aufgabe bestimmt?«

Die Elfe deutete hinab zu den Gästen, die sich an der Tafel niedergelassen hatten. »Hallandan, der Fürst von Reilimee, mein Vater«, sagte sie stolz.

»Ich erinnere mich, dich als kleines Kind gesehen zu haben. Und ich kenne dich von früher, aus deinen vorangegangenen Leben. Du warst stets sehr tapfer, Sansella. In deiner Brust schlägt das Herz einer Heldin.«

Das junge Mädchen errötete. Sie sah zur Königin auf, öffnete den Mund, verzagte aber.

»Was willst du mich fragen?«

»Kannst du mir erzählen, wie ich früher war?«

Emerelle sah sie durchdringend an. »Du weißt, dass es gefährlich ist! Wenn ich dir erzähle, wer du warst, dann mag es geschehen, dass der Schleier reißt, der deine früheren Leben vor dir verbirgt, und binnen eines Augenblicks alle Erinnerungen zurückkehren. Und es werden nicht nur gute Erinnerungen sein.«

Sansella wirkte niedergeschlagen. »Das sagt auch mein Vater.«

»Eins kann ich dir jedoch verraten, denke ich. Während der Trollkriege hast du mir einmal fast das Leben gerettet. Ollowain, mein Schwertmeister, ist dir damals in die Quere gekommen. Er ist sehr erfahren darin, mich zu retten.« Emerelle lächelte versonnen. »Sehr erfahren.«

Ollowain musterte das junge Mädchen scharf. Sansella? Der Name war ihm fremd. Aber das Antlitz kam ihm vertraut vor. Er erinnerte sich an eine junge Kriegerin, die beim letzten Sturm der Trolle auf die Shalyn Falah in den Abgrund geschleudert worden war. War diese Kriegerin in dem Mädchen wiedergeboren? Er sah noch die Todesangst in den Augen der jungen Elfe, als sie auf der Brücke den Halt verloren hatte. Es war gut, dass man ohne Erinnerung wiedergeboren wurde!

»Herrin!« Shahondin hatte sich an der Festtafel erhoben. »Ich habe ein besonderes Geschenk zu unser aller Unterhaltung vorbereitet. Willst du es entgegennehmen, Emerelle?«

»Würdest du es an meiner Stelle annehmen?«

Der Fürst von Arkadien schürzte die Lippen. »Der Abend wäre um eine unvergessliche Erinnerung ärmer, wenn du es ablehntest.«

Ollowains Hand sank zum Schwertgriff. Was sollte das? Unwillkürlich blickte er zu den Masten der Atem der See.