Falk schluckte trocken, sein fröhliches Grinsen verschwand und machte einer Mischung aus Bedauern und Verzweiflung Platz. Zara kannte diesen Ausdruck nur zu gut. Es war die Miene von jemandem, dem die Hoffnung unter den Füßen weggezogen worden war. Doch wie konnte sie jemandem Hoffnung geben, wenn sie selbst keine hatte? Wie konnte sie sich anmaßen, andere zu belehren, wie sie ihr Leben zu führen hatten, wo sie nicht einmal mit ihrem eigenen zurechtkam?
Sie sah Falks traurige Miene, und er kam ihr vor wie ein geprügelter Hund, der mit eingezogenem Schwanz in irgendeiner Ecke Schutz vor dem Stock suchte. Irgendwo in ihr begann eine Saite zu klingen, die lange Zeit geschwiegen hatte, und obgleich sie sich nach Kräften bemühte, sie zu ignorieren, gelang es ihr nicht, sodass sie schließlich resigniert seufzte. Einen Augenblick lang sah sie Falk schweigend an. Dann sagte sie knapp: „Zara.“
Falk sah sie überrascht an. „Wie meinen?“ „Zara“ wiederholte sie. „Das ist mein Name.“ Bevor Falk darauf irgendetwas erwidern konnte, schnalzte Zara mit der Zunge, trieb Kjell ihre Hacken in die Flanken und schoss davon. Falk trabte gemächlich weiter dahin und sah Zara nach, die in gestrecktem Galopp durch den Wald jagte, und genauso schlagartig, wie das Grinsen vorhin aus seinen Zügen verschwunden war, kehrte es jetzt auf sein Gesicht zurück, bis es schier von einem Ohr zum anderen reichte. „Also dann, Zara“, murmelte er zufrieden. „Lass uns reiten!“ Lächelnd gab er seinem Pferd die Sporen und ritt hinter Zara her.
Hätte er zu diesem Zeitpunkt geahnt, wie dramatisch sich sein Leben in den nächsten Tagen und Wochen wandeln würde, er hätte sich vermutlich anders entschieden. Doch so folgte er Zara tiefer in den Dunkelforst...
VI.
Hoch über den Baumwipfeln näherte sich die Sonne allmählich dem Zenit, doch unter dem dichten Dach der Bäume herrschte noch immer das gleiche düstere Zwielicht wie am Morgen. Nur hier und da durchbrachen vereinzelte Sonnenstrahlen das Blätterdach, um als schräge Lichtbalken zu Boden zu fallen, in denen Staubkörner und Insekten zu einer unhörbaren Melodie tanzten. Die Luft war trocken und kühl, die Farne am Wegesrand wiegten sich in einer sanften Brise, die von überall und nirgends zu kommen schien, ein paar Schritte weiter wuselte ein Eichhörnchen mit einem buschigen flammenroten Schwanz den Stamm einer Kiefer hinauf, und wenn Falks pausenloses Geplapper nicht gewesen wäre, hätte die Szene beinahe idyllisch gewirkt.
Doch Falks Mundwerk schien niemals für länger als ein paar Sekunden stillzustehen, als stünde er unter dem inneren Zwang zu reden, um seine Umgebung mit seinem nicht enden wollenden Gebrabbel in den Irrsinn zu treiben. Zaras Zeitgefühl sagte ihr, dass es noch keine drei Stunden her war, seit Falk sie mit seinem Dackelblick dazu gebracht hatte, ihn nicht fortzujagen, doch ihr kam es vor, als wären seitdem Äonen vergangen. Ganz gleich, zu welchem Thema, der junge Bursche hatte zu allem eine Meinung, die er lautstark und wortreich kundtat, egal, ob es um die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Filzläusen für die Wollgewinnung ging oder darum, wie man durch den Handel mit Yakurin ein Vermögen machen konnte, indem man das Zeug als magischen Heilsaft an reiche Adelige verkaufte. Eines jedoch blieb dabei stets gleich, nämlich Falks offensichtliche Begeisterung für weltliche Güter. Gleichgültig ob Land, Gold oder Vieh, seine Faszination für alles Materielle war allgegenwärtig, ebenso wie sein Wunsch, seinem armseligen Dasein als Falschspieler eines Tages zu entkommen und ein Leben in Saus und Braus zu führen. Er schwadronierte gerade in aller Breite darüber, dass eine Legende in Ancaria besagte, irgendwo in den Dunklen Gebieten gebe es einen uralten Drachen, der einen noch älteren Schatz bewache, und was er mit diesem unermesslichen Reichtum alles anstellen würde, wenn er den Schatz finde, als Zara schließlich nicht mehr anders konnte, als ihrem Unmut laut seufzend Luft zu machen.
„Bei allen Göttern“, brummte sie gereizt. „Steht dein Mundwerk eigentlich auch irgendwann mal still?“
„Hin und wieder“, erwiderte Falk fröhlich. „Meistens, wenn ich schlafe. Ansonsten aber eher nicht. Das war allerdings schon immer so, selbst, als ich noch ein Kind war. Meine Mamuschka hat immer zu mir gesagt, Falk, hat sie gesagt, wenn du eines Tages mal den Löffel abgibst und dich anschickst, den Alten Göttern auf den Nerv zu fallen, müssen sie dein Mundwerk extra totschlagen.“ Falk grinste fröhlich, doch seine Begleiterin ließ sich davon nicht anstecken. Sie starrte ihn nur einen Moment lang ungläubig an und schüttelte dann entgeistert den Kopf.
„Das kommt davon“, murmelte Zara resigniert in den Schatten ihrer Kapuze, mehr zu sich selbst als zu Falk. Sie verfluchte sich dafür, ihm in Hohenmut beigestanden zu haben. Stattdessen hätte sie dem Einäugigen und seinen Kumpanen raten sollen, Falk nicht die Hand abzuhacken, sondern ihm lieber die Zunge herauszuschneiden, dann wäre wenigstens Ruhe gewesen. Doch sie musste ja unbedingt den guten Samariter spielen, und jetzt hing Falk an ihr wie eine Zecke, die an einer Stelle saß, an die man nicht reichen konnte, und labte sich an ihr. Mit einem resignierten Seufzer schüttelte sie den Kopf und trabte weiter den Pfad entlang, der ein paar Schritte weiter vorn um eine enge Biegung führte.
Kaum hatten sie die Biegung erreicht, als Kjell unvermittelt zu scheuen begann und leise wieherte.
Zara brachte das Pferd mit einem kurzen Ruck am Zügel zum Stehen, und ihre Rechte zuckte instinktiv zum Griff eines ihrer Schwerter, die in den Lederscheiden am Sattel steckten. Als sie jedoch den Blick den Pfad hinunterwandern ließ, beruhigte sie sich. Die Gefahr drohte nicht ihnen, sondern einem jungen Bursche von vielleicht zwanzig Lenzen, der ein Stück weiter den Pfad hinab von einer Gruppe Wegelagerer übel in die Mangel genommen wurde. Der Gaul, auf dem der Bursche allem Anschein nach aus der entgegengesetzten Richtung gekommen war, lag tot am Boden, durchbohrt von einem halben Dutzend Pfeilen. Doch indes das Pferd das Schlimmste bereits hinter sich hatte, stand dieses Schicksal seinem Herrn noch bevor, und das in nicht allzu ferner Zukunft, denn die fünf Schurken ließen ihren Aggressionen freien Lauf und traten lachend und johlend auf den jungen Mann ein, der sich zwischen ihnen auf dem Boden wand und verzweifelt versuchte, mit den Händen seinen Kopf zu schützen. Es war, als würde man einer Katze zusehen, die mit ihrem Essen spielte; die Wegelagerer hielten es noch nicht einmal für nötig, ihre Waffen zu ziehen, von denen jeder der zerlumpten Burschen mindestens eine bei sich trug: Schwerter, nagelgespickte Keulen, Pfeil und Bogen, eine große Streitaxt mit breiter halbrunder Klinge. Alles, was sie für den geschundenen Burschen übrig hatten, waren Tritte, und mehr war auch gar nicht nötig.
Nicht mehr lange, und der junge Bursche hatte es hinter sich.
Dennoch war er nicht bereit, aufzugeben. Während die Wegelagerer ihn mit Tritten malträtierten, konnte Zara über das Lachen und Johlen seiner Peiniger hinweg seine Stimme hören, schwach und brüchig zwar, doch noch nicht am Ende. „Bitte“, flehte er und streckte die Hände nach dem kleinen Lederbeutel aus, den einer der Halunken fröhlich vor seiner Nase durch die Luft hüpfen ließ, nur um ihn stets im letzten Moment mit einem gehässigen Lachen wieder wegzuziehen; das leise, verheißungsvolle Klimpern von Goldmünzen wehte an Zaras Ohr. „Bitte, nehmt mir nicht das Gold. Es gehört nicht mir, sondern den Menschen des Ortes, aus dem ich komme! Wir sind arm und brauchen Hilfe!“
„Jetzt gehört das Gold uns!“, sagte einer der Wegelagerer, ein stämmiger Kerl mit einem zerbeulten Metallhelm auf dem Kopf. „Wir sind nämlich auch arm und hilfebedürftig!“