Jahn bemerkte die Spannungen zwischen den beiden, ging aber nicht darauf ein. „Wie auch immer“, sagte er, rupfte der Schnepfe ein weiteres Bündel Federn aus und warf sie neben sich auf den Boden. „Ich verdanke Euren Kampfkünsten mein Leben, und ich würde Euch meine Dankbarkeit gern durch mehr zeigen als nur durch bloße Worte. Doch alles Gold, das ich dank Euch noch bei mir trage, ist für einen anderen Zweck bestimmt.“ Er tätschelte den Lederbeutel an seinem Gürtel. Das leise Klimpern der Goldstücke darin klang süß und verlockend, und Falk hob sofort wieder den Blick.
Zara winkte ab. „Ich will dein Gold nicht. Wenn dem so wäre, hätte ich es mir einfach genommen.“
Jahn nickte. „Das ist mir bewusst. Allerdings gibt es für Euch vielleicht einen Weg, es auf ehrbare Weise zu erlangen.“ Jahn hatte das Huhn inzwischen komplett gerupft und griff nach dem Messer, das neben dem Feuer im Boden steckte, um das Tier aufzuschneiden und auszunehmen.
Falk war ganz Ohr. „Wie das?“
„Nun, es hat mich nicht zufällig in diese Gegend verschlagen“, erklärte Jahn bedächtig. „Der Bürgermeister von Moorbruch, dem Ort, aus dem ich stamme, hat mich mit einer wichtigen Aufgabe versehen.“ Er machte eine kleine Pause, um seine Gedanken zu sammeln. Dann fuhr er mit leiser, fast unheilvoller Stimme fort: „Ich bin auf dem Weg nach Hohenwall, um in der Stadt Jäger oder Söldner zu verpflichten, die eine grausame Bestie zur Strecke bringen sollen, die seit mehreren Wochen rings um Moorbruch ihr Unwesen treibt und bereits viele unserer Frauen und Kinder gemordet hat. Immer wieder wurden in den umliegenden Wäldern die verstümmelten Leichen unserer Liebsten gefunden, von jungen Frauen, die keiner Menschenseele je ein Leid getan haben. Wir haben versucht, das Untier auf eigene Faust zur Strecke zu bringen, doch ohne Erfolg, und da wir auch von unserem geliebten König Aarnum auf unser Hilfegesuch bislang keine Antwort erhalten haben, will ich Söldner oder professionelle Jäger verpflichten, die Bestie zu erlegen, bevor sie noch mehr Menschenleben fordert. Dafür ist das Gold bestimmt; wir sind einfache Leute, aber jeder hat gegeben, was er konnte, um dem Morden ein Ende zu bereiten. Die Menschen in Moorbruch leben in Angst und Schrecken; nach Einbruch der Dunkelheit traut sich kaum jemand mehr nach draußen, so groß ist die Furcht, der Bestie zum Opfer zu fallen. Glaubt mir, Zara, die Menschen würden auf ewig in der Schuld desjenigen stehen, dem es gelingt, der Bestie den Garaus zu machen.“
Zara hatte schweigend Jahns Ausführungen gelauscht. Nun sagte sie: „Ich bin sicher, Ihr werdet in Hohenwall jemanden finden, der Euch helfen kann. Wenn es irgendwo im Land fähige Jäger und Fallensteller gibt, dann dort.“ Jahns betretene Miene verriet, dass das nicht die Antwort war, auf die er gehofft hatte.
„Ja“, sagte er dennoch, „ich denke, Ihr habt Recht. Hoffen wir nur, dass es mir gelingt, dort jemanden zu finden, bevor sich die Bestie ihr nächstes Opfer holt.“ Seine Worte klangen ruhig und gefasst, doch unter der Oberfläche brodelte es. Bemüht, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, schnitt Jahn der Schnepfe den Kopf ab und spießte das ausgeweidete Tier auf einen Ast. Ohne Zara anzusehen, hielt er den Stock mit der Schnepfe ins Feuer, drehte diesen bedächtig hin und her und starrte wortlos in die Flammen. Seine Ehre gebot es ihm, zu schweigen und Zara nicht weiter in Verlegenheit zu bringen, indem er sie bedrängte, den Einwohnern von Moorbruch zu helfen; sie hatte bereits mehr für ihn getan, als er jemals wieder gut machen konnte.
Falk war weit weniger Ehrenmann als der junge Bursche. Er sah Zara eindringlich an. „Also, in meinen Ohren klingt das, als würden die armen Leute von Moorbruch unverzüglich Hilfe brauchen – die Hilfe von jemandem, der selbst weiß, wie man Blut vergießt. Denk doch nur, die armen jungen Frauen, grausam dahingeschlachtet von diesem tollwütigen Tier, und niemand ist da, um diesen bemitleidenswerten, ehrbaren Menschen zur Seite zu stehen.“ Er seufzte schwer. „Manchmal sind die Götter grausam ...“
Zara starrte Falk durchdringend an, der tat, als ginge ihm das Schicksal der Menschen von Moorbruch tatsächlich zu Herzen; sie vermochte nicht zu sagen, ob dem wirklich so war oder ob Falk einfach besser schauspielern als falsch spielen konnte. Sie ließ den Blick von ihm zu Jahn schweifen, der bedächtig die Schnepfe am Stock drehte, tanzende Reflektionen des Feuers in seinen Augen. Die traurige Resignation in seinen Zügen schmerzte Zara mehr als der dumpfe, pochende Schmerz ihrer Wunden. Sie wusste so gut wie nichts über diesen jungen Mann, doch irgendetwas tief in ihr, das sie nicht näher in Worte zu fassen vermochte, sagte ihr, dass sie womöglich die Einzige war, die ihm helfen konnte. Schließlich verdrehte sie gequält die Augen und seufzte laut.
„Wohlan denn“, brummte sie, obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte. „Eins sollte dir klar sein: Ich bin kein Jäger, und auch aufs Fallenstellen verstehe ich mich nur bedingt. Ich kann dir und deinen Leuten nichts versprechen, doch wenn du meinst, meine Hilfe ist für euch von Nutzen, dann will ich mit dir nach Moorbruch gehen, um zu tun, was ich kann, um dem Blutvergießen ein Ende zu bereiten.“
Ein Lächeln breitete sich über Jahns Gesicht aus. Wortlos griff er nach dem Lederbeutel mit dem Gold und warf ihn Zara zu. Sie fing den klirrenden Beutel mit einer Hand auf, wog ihn einen Moment lang abschätzend in der Hand und warf ihn dann zu Jahn zurück, der Zara verwirrt anstarrte, ebenso wie Falk, der nicht recht wusste, ob er sich ärgern oder freuen sollte. Freuen darüber, dass Zara sich auf die Sache einließ; ärgern darüber, dass sie das Gold zurückwies.
„Später“, kommentierte Zara, „wenn alles erledigt ist.“
Jahn nickte. „Wann brechen wir auf?“, fragte er. „Bis nach Moorbruch sind es zwei Tagesritte von hier.“
„Wir werden heute Nacht hier rasten und machen uns morgen in aller Frühe auf den Weg“, erklärte Zara. „Wir sollten keine Zeit verlieren.“
Falk klatschte grinsend in die Hände. „Na, dann werden wir der Bestie mal zeigen, wo der Hammer hängt, nicht wahr?“
Zara warf ihm einen finsteren Blick zu. „Ich kann mich nicht entsinnen, dass irgendjemand dich um deine Hilfe gebeten hätte.“
Falk runzelte die Stirn. „Was soll das heißen?“
„Das bedeutet“, sagte Zara ruhig, „dass sich unsere Wege hier trennen. Nimm eins der Pferde der Wegelagerer und verschwinde. Und gib Acht, dass sich unsere Wege nie wieder kreuzen; es könnte böse für dich enden.“ Sie sagte es ganz ruhig, doch die Drohung, die in ihren Worten mitschwang, war scharf und kalt wie eine Messerklinge.
„Das kannst du nicht machen!“, rief Falk aufgebracht. „Ich habe dir das Leben gerettet! Ohne mich wärst du jetzt tot! Nur wegen mir sind wir überhaupt hier! Ich habe deine Wunden versorgt und über dich gewacht, als du ohnmächtig warst.“
„Ohne dich“, sagte Zara gefährlich ruhig, „wäre ich überhaupt nicht in diesen Schlamassel hineingeraten. Also erwarte nicht zu viel Dankbarkeit.“
„Aber ich kann dir beistehen!“, beharrte Falk. „Ich bin mutig!“
„O ja, ich war Zeugin deines Mutes“, erwiderte Zara spöttisch. „O bitte, tut mir nichts, ich bin doch noch so jung!“, äffte sie Falk mit weinerlicher Fistelstimme nach. Sie schnaubte abfällig, obwohl sie genau wusste, dass sie ungerecht zu ihm war, denn durch seinen – wenn auch nicht besonders klugen – Angriff auf die Räuber hatte er durchaus Mut bewiesen, so schwer es Zara auch fiel, sich das einzugestehen. Doch Falk wusste nicht, wie die Welt dort draußen war; sie musste ihn vor sich selbst schützen. „Du hast gebettelt wie ein Weib. Jeder Ork hat mehr Ehrgefühl und Tapferkeit im Leib.“
„Also, so kannst du das nicht sehen“, widersprach Falk trotzig. „Ich gebe ja zu, dass meine Strategie für Uneingeweihte auf den ersten Blick diesen Eindruck erwecken kann, aber das ist alles eine ausgeklügelte Methode, um den Gegner in Sicherheit zu wiegen und dann zuzuschlagen, wenn er es am wenigsten erwartet. Glaub mir, ich wäre dir eine große Hilfe!“ Er blickte Zara fast flehend an.