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Die Kerle mit den Musketen lachten hämisch.

Zara ließ sich vom abwertenden Ton des Bürgermeisters nicht aus der Ruhe bringen. „Manchmal erfordert es dort eine Frau, wo Männer versagen“, sagte sie ruhig. „Eure Männer machen seit über einem Monat Jagd auf die Bestie, und Ihr selbst wisst am besten um ihre Unfähigkeit. Wäre es anders, wieso hättet ihr sonst Jahn losgeschickt, um aus Hohenmut Hilfe zu holen?“

Das Gelächter der beiden Kerle brach ab; ihre Mienen wurden finster, als Zara fortfuhr: „Die Bestie, von der ihr heimgesucht werdet, konnte euren Nachstellungen bislang erfolgreich entgehen, und sofern ihr in den letzten Tagen keine gravierenden neuen Erkenntnisse gewonnen habt, wisst ihr nicht mehr über das Ungetüm, als dass es immer zu Zeiten der Dämmerung zuschlägt, seinen Opfern die Herzen entreißt und ausschließlich Jagd auf Frauen macht, die noch dazu alle jung und hübsch sind- so wie ich. Also, warum belassen wir es nicht dabei, und ihr gebt mir die Aufgabe in die Hand. Und wer weiß, vielleicht wird gerade der Umstand, dass ich ein Weib bin, die Bestie eher zu Fall bringen, als ihr dieses arme Geschöpf zu Grabe getragen habt?“ Sie nickte in Richtung der Toten.

Der Bürgermeister schnalzte mit der Zunge. „Große Worte“, sagte er. „Doch große Worte sind nicht immer gleichbedeutend mit großem Mut und Geschick, zumal Ihr mir recht vorlaut scheint, keineswegs wie eine Dame.“ Er trabte auf dem Pferd neben der Leiche umher, ohne die Tote noch eines Blickes zu würdigen. Er ließ sich die Sache einen Moment lang durch den Kopf gehen, ehe ein kleines, wenn auch nichtsdestotrotz höchst unangemessenes Lächeln über seine Züge glitt. „Aber sei’s drum: Versucht Euer Glück! Wenn Ihr die Bestie innerhalb von zehn Tagen erlegt, ist Euch unser Dank gewiss; bis dahin jedoch habt Ihr wohl nichts dagegen, dass ich einen weiteren Boten nach Hohenmut entsende, um von Amts wegen weitere Hilfe anzufordern.“

Zara zuckte mit den Schultern. „Was immer Euch beliebt, mein Herr.“

„Ich gedenke, nichts anderes zu tun“, erwiderte von der Wehr trotzig. Er packte die Zügel seines Pferdes fester. „Ihr und Euer stummer Begleiter könnt für die Dauer Eures Aufenthalts in Moorbruch Quartier im Güldenen Tropfen beziehen“, erklärte er, während er das Pferd im Kreis herumführte, um den Hang der Senke wieder hinaufzutraben. „Ihr seht nicht aus, als ob Ihr übermäßigen Luxus gewohnt seid, daher werdet Ihr euch dort sicher wie zuhause fühlen.“

Seine Begleiter lachten wieder, tief und gehässig, doch als Zara ihnen einen durchdringenden Blick zuwarf, verstummten sie schnell.

„Danke für Eure Gastfreundschaft“, entgegnete Zara in Richtung von der Wehrs. „Wir nehmen Euer Angebot gern an.“

„Wohlan, denn“, sagte der Bürgermeister. Er trabte ein paar Schritte voraus, gefolgt von den beiden anderen Männern, ehe er sich noch einmal umdrehte und Jahns Blick suchte. „Wanja wird sich sicher freuen, dass du wohlbehalten zurückgekehrt bist.“ Ohne Jahns Antwort abzuwarten, wandte er sich um, schnalzte mit der Zunge und trieb das Pferd den Hügel hinauf, über den Rand der Senke. Zara sah ihnen angespannt nach. Einen Moment später waren Reinhard von der Wehr und seine beiden namenlosen Begleiter verschwunden. Dafür kamen die Moorbrucher den Hügel hinab zum Weiher, um sich der Toten anzunehmen; zwei ältliche Frauen in sackartigen Kleidern und mit groben Kopftüchern trugen eine Decke bei sich, die sie vorsichtig neben der Leiche entfalteten und ausbreiteten, um Ila auf die Decke zu heben und darin einzurollen, was sich als schwieriges Unterfangen erwies, weil das Blut in ihrem Haar und auf ihrer zerfetzten Kleidung zu Eis gefroren und starr war.

Zara starrte auf die tote Frau zu ihren Füßen herab. „Ein Jammer“, murmelte sie, während die beiden Frauen Ilas Leiche in die Decke wickelten; weiter hinten rumpelten zwei Moorbrucher mit einem Karren heran, auf dem Ila ihre letzte Reise zum Friedhof antreten würde. „Sie war noch so jung; ihr ganzes Leben lag noch vor ihr. Sie hatte nicht einmal Gelegenheit, ihre Unschuld zu verlieren, bevor der Tod sie fand.“

Falk neben ihr runzelte die Stirn. „Woher zum Geier willst du wissen, dass sie noch unberührt war? Kannst du vielleicht hellsehen, oder was?“

Zara antwortete nicht. Was hätte sie ihm auch sagen sollen? Dass sie im wahrsten Sinne des Wortes riechen konnte, dass Ila noch unberührt und rein war? Dass die Reinheit der Toten ihr wie ein schwacher blumiger Duft in die Nase gestiegen war?

Sie nahm nicht an, dass Falk ihr glauben würde, und sie hatte nicht vor, es ihm zu erklären. Also ging sie nach einem letzten traurigen Blick auf die sterblichen Überreste der jungen Frau, die – eingerollt in die Decke – von den beiden Moorbruchern vorsichtig auf den Karren gehoben wurde, zu Kjell und schwang sich in den Sattel. „Wir sollten unser Quartier beziehen und uns nach den Strapazen der letzten zwei Tage ein wenig entspannen, bevor wir uns morgen in aller Frühe auf die Jagd nach der Bestie machen.“

Falk nickte und saß auf, doch Jahn schüttelte den Kopf. „Ich komme später nach“, sagte er matt. „Ich werde Ila erst noch auf ihrer letzten Reise begleiten, und dann statte ich Wanja einen Besuch ab; wir haben uns schon viel zu lange nicht gesehen.“ Mit einem resignierten Seufzen sah er zu, wie jeder der beiden Männer einen der Tragegriffe des Karrens packte und sich das hölzerne Gefährt mit seiner grausigen Fracht widerwillig in Bewegung setzte. „Armes, armes Ding“, murmelte er, von aufrichtigem Mitleid erfüllt. Und dann, trotziger: „Das muss endlich aufhören!“

„Deshalb sind wir hier“, sagte Zara entschlossen.

„Was ist mit ihrem Vater, dem Schmied?“, wollte Falk wissen. „Ich meine, weiß er es schon?“

„Das bezweifle ich“, brummte Jahn düster. „Ashmaniel verbringt seine Tage im Vollsuff. Meistens ist er so betrunken, dass er sich nicht einmal an seinen eigenen Namen erinnern kann, geschweige denn daran, dass er eine Tochter hat. Vermutlich sitzt er im Güldenen Tropfen und ersäuft seinen Frust in gutem Moorbrucher Whiskey.“

„Wie der Bürgermeister sagte“, meinte Falk lakonisch. „Jetzt hat er allen Grund dazu ...“

XII.

Das Gasthaus Zum güldenen Tropfen verdankte seinen Namen dem beliebten Moorbrucher Whiskey, der sich dank seines einzigartigen erdigen Geschmacks, der auf das Moorwasser zurückzuführen war, weit über die Grenzen dieser kargen Region hinaus großer Beliebtheit erfreute. Allerdings lagen die Zeiten, in denen sich die Bewohner von Moorbruch diesen edlen Tropfen selbst leisten konnten, lange zurück. Heute konnten die Menschen in Moorbruch von Glück sagen, wenn sie sich mit dem billigen Fusel betrinken konnten, den Jorgen, der Wirt, im Keller des Gasthauses aus allem zusammenpanschte, was er in die Finger bekam. Es ging das Gerücht, dass mindestens zwei Gäste durch Jorgens Fusel ihr Augenlicht eingebüßt hatten, und bei einem Dutzend weiterer Gäste hatte im Laufe der Zeit offenbar die Manneskraft unter dem Einfluss des Alkohols nachgelassen – zumindest beklagte sich darüber so manches Eheweib. Doch in Zeiten wie diesen, in denen die Angst einem zum ständigen Gefährten wurde und man unwillkürlich einen Blick über die Schulter warf, wenn man keine Wand im Rücken hatte, war der Drang zu vergessen größer als die Furcht vor unerwünschten Nebenwirkungen, und so ging es in der einzigen Schankstube im Ort seit einigen Wochen allabendlich hoch her.

So auch heute.

Eine Stunde war es her, dass Zara und Falk Jahn beim Weiher zurückgelassen und im Güldenen Tropfen Quartier bezogen hatten. Als sie nun die knarzende Stiege ins Erdgeschoss herunterkamen und die Tür zum Schankraum öffneten, schlug ihnen ein Schwall abgestandener, nach Rauch und Schweiß riechender warmer Luft entgegen. Sie hüllte die beiden ein wie eine unsichtbare Decke, sobald sie über die Schwelle traten. Stickige, stinkende Schwüle, geschwängert vom klammen Geruch feuchter Kleidung, herrschte in dem völlig überfüllten Raum, in dem jeder Tisch, jeder freie Stuhl und jeder Thekenplatz besetzt war. Das stete Gewirr von Dutzenden aufgeregter Stimmen wurde hin und wieder übertönt von lauten Zwischenrufen oder ärgerlichen Flüchen. Gelächter war hier fehl am Platze. Dafür waren die Verzweiflung, die Wut und die Trauer der Gäste so allgegenwärtig, dass sie Zara fast erstickten, als sie die Tür hinter sich schloss und sich nach einem freien Platz umsah. Die rund fünfzig Männer, die sich in dem kleinen Schankraum mit der wuchtigen, verkratzten Eichenholztheke und dem offenen Kamin drängten, belegten fast jeden freien Zentimeter der Kammer. Nur am Tisch eines Mannes, der reglos zusammengesackt dahockte, den Kopf auf die schmierige Tischplatte gesunken, in der Hand noch die letzte Flasche Fusel, waren zwei Plätze frei.