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Zara und Falk bahnten sich ihren Weg durch die dicht gedrängte, zechende und palavernde Menge und zogen Dutzende ebenso neugieriger wie argwöhnischer Blicke auf sich. Mehrere Männer beugten sich tuschelnd zueinander oder wechselten einige rasche Worte mit dem Wirt Jorgen, der Zara immer wieder verstohlen ansah, während er mit den Gästen an der Theke sprach. Als Jorgen ihnen vorhin ihr Quartier gezeigt hatte – ein schlichtes Gesindezimmer unterm Dach mit zwei halb durchgelegenen Betten, einer Kommode und einem Stuhl mit Waschschüssel in der Ecke –, hatte er kaum ein Wort über die Lippen gebracht, doch jetzt stand sein Mundwerk kaum still. Wahrscheinlich wusste dank ihm bereits jeder in der Gaststube, wer Zara war und was sie hier wollte. Ihr konnte das nur recht sein; auf diese Weise war sie nicht gezwungen, irgendwelche lästigen Fragen zu beantworten.

Unter den aufmerksamen, wenn auch verstohlenen Blicken der anderen Gäste drängelten sich Zara und Falk zu dem Ecktisch durch und ließen sich auf die beiden freien Stühle links und rechts neben dem Betrunkenen sinken, der unangenehm nach Anis, Schwefel und Rauch roch. Sein kahler, leberfleckiger Hinterkopf verriet, dass der Bursche seine besten Jahre bereits seit einer ganzen Weile hinter sich hatte.

Zara rückte ihren Stuhl zurecht, sodass sie den Schankraum gut im Blick hatte. Weiter hinten in der Schankstube, gegenüber der Theke, befand sich eine Art Nische, die sie von hier aus nicht einsehen konnte, doch sonst blieb ihr nichts verborgen. Von den Männern, die sich in dem Schankraum drängten, Gläser und wuchtige Tonkrüge in den Händen, die Wangen gerötet, die Augen glasig vom Alkohol, hatte sie einige bereits bei ihrer Ankunft in Moorbruch gesehen; die meisten waren Torfstecher und Bauern, doch unter all den groben Leinenkleidern und Umhängen fanden sich hier und da auch Gewänder aus feinerem Zwirn und mit Goldfaden bestickte Röcke. Im ersten Moment schien keine einzige Frau unter den Gästen zu sein, doch dann erkannte sie ihren Irrtum; es waren sehr wohl mehrere junge Frauen anwesend, bloß hatte Zara sie aufgrund der klobigen Stiefel und weiten, groben Jacken, die sie trugen, auf den ersten Blick für Männer gehalten, und ihr wurde klar, dass das Absicht war: Indem sich die Frauen als Männer verkleideten, hofften sie, die Bestie zu täuschen. Doch Zara bezweifelte, dass solch plumpe Maskerade half; das Ungetüm war ja auch nicht auf die als Frauen verkleideten Jäger hereingefallen.

Die Bestie sprang nicht auf optische Reize an.

Wie bei allen Raubtieren war es der Geruch, der sie anlockte.

Der Geruch einer Frau, der so ganz anders war als der eines Mannes und von allen Männerkleidern dieser Welt nicht überdeckt werden konnte ...

Fünf Minuten saßen Zara und Falk schweigend an dem Ecktisch und warteten darauf, dass jemand kam, um sie zu bedienen. Als der Wirt keinerlei Anstalten machte, sein Schwätzchen am Tresen zu unterbrechen und zu ihnen zu kommen, nahm Falk die Sache selbst in die Hand, oder besser: dem Betrunkenen, der zwischen ihnen schnarchte, aus der Hand. Er griff sich die Flasche des Trunkenbolds, was der Kerl mit einem verschlafenen Brummen quittierte, schnappte sich vom Nachbartisch, wo drei bärtige Männer ohne Begeisterung Karten spielten, ungefragt zwei umgedrehte, benutzte Schnapsgläser, goss jeweils zwei Finger breit Fusel ein und schob Zara eines der Gläser zu. Ihm war bewusst, dass ihn alle Umsitzenden anstarrten, doch davon ließ Falk sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hob sein Glas, nickte Zara prostend zu, kippte den Whiskey mit einem Zug hinunter und knallte das Glas demonstrativ auf den Tisch, während sich der Whiskey warm und brennend seinen Weg durch seine Eingeweide bahnte.

„Ah“, seufzte er zufrieden, „es geht doch nichts über einen guten Tropfen in geselliger Runde. Stimmt’s nicht, Leute?“ Er schaute sich provozierend um, doch die umsitzenden Männer und Frauen wandten unisono den Blick ab; stumme Feindseligkeit lag in der Luft. Das spornte Falk erst richtig an. Er goss sich einen zweiten Whiskey ein, hob das Glas und toastete den anderen Gästen mit lauter Stimme zu: „Auf euch, die ihr nicht einmal genug Höflichkeit besitzt, zusammen mit zwei Fremden zu trinken, die gekommen sind, um eure Frauen und Töchter zu retten.“ Er kippte den Whiskey hinunter, knallte das Glas ebenso wuchtig auf den Tisch wie zuvor und grinste trotzig. Doch wenn er gehofft hatte, die Anwesenden damit aus der Reserve zu locken, irrte er. Seine Provokation ging ins Leere; niemand sprang auf, um Falk für seinen Affront zurechtzuweisen oder ihm die Seele aus dem Leib zu prügeln. Die anderen Gäste starrten einfach nur weiter teilnahmslos in ihre Gläser, in ihre geflüsterten Gespräche vertieft, die sich zwar alle um die seltsame Fremde mit dem langen schwarzen Haar und den Herumtreiber drehten, doch für den Quell ihres Interesses hatte niemand ein Wort übrig, egal, ob zornig oder sonst wie. Es war, als wollte niemand etwas mit ihnen zu tun haben.

Falk schien diese stillschweigende, eisige Ablehnung näher zu gehen, als er sich selbst eingestehen wollte, doch Zara war dankbar dafür. Sie war nicht hier, um sinnlose Konversation zu machen oder Freundschaften zu schließen, und es interessierte sie nicht, was die Menschen hier über sie dachten. Alles, was sie wollte, war, die Aufgabe erledigen, wegen der sie hier waren, um danach so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Vor zwei Stunden, als sie in den Ort eingeritten waren, hatte Falk das Gefühl gehabt, Zara fühle sich in Moorbruch unwohl, und damit lag er verdammt richtig. Alles hier, die Häuser, die Menschen, der markante Moor- und Tannengeruch, der von den umliegenden Wäldern ausging – verursachte Zara Unwohlsein. Nicht, weil die Bestie in diesem Gebiet umging, sondern weil ihr alles so entsetzlich vertraut erschien. Wie bei einem dieser Déjàvus, bei denen man das Gefühl hat, man hätte das eben Geschehene und Erlebte in gleicher Weise schon einmal gesehen und erlebt.

Doch dies hier war kein Déjà-vu.

Zara war schon einmal hier gewesen, vor langer Zeit. Und sie hatte Angst, dass einer der Einwohner sie erkannte, auch wenn wahrscheinlich niemand mehr am Leben war, der sich an sie erinnern konnte, denn seitdem hatte sich das Rad der Zeit unbarmherzig weitergedreht.

Nachdenklich ergriff Zara ihr Glas und spülte den Whiskey mit zwei Zügen herunter, während Falk versuchte, sich seine Enttäuschung über die Ignoranz der anderen Gäste nicht anmerken zu lassen. Einen Moment lang sah er so aus, als wolle er einen dritten Versuch starten, doch schließlich nahm er davon Abstand. „Dummes, undankbares Pack“, murmelte er stattdessen, schenkte sich so schwungvoll einen weiteren Drink ein, dass ein Teil des goldfarbenen Gebräus auf die Tischplatte schwappte, und kippte den Whiskey mit weit in den Nacken gelegtem Kopf hinunter, um sodann das Gesicht zu verziehen. „Ein widerliches Zeug“, brummte er zornig. „So wie alles in diesem elenden Kaff...“