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Zara sah zu, wie sich die Jagdgesellschaft zu einem bunten Treck aus Treibern, Hundeführern, Jägern und Adeligen formierte, der sich auf den Waldrand zuschob; Falk, Jahn und die beiden jungen Frauen ritten fast am Ende des Trosses aus Kutschen, Pferden und Fußvolk. Zara wartete, bis sich die Menschen noch weiter entfernt hatten, ehe sie sich umwandte – und so abrupt stehen blieb, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen, ein nur halb unterdrücktes Keuchen auf den Lippen.

Direkt vor ihr stand Gregor D’Arc; sie hatte ihn nicht kommen hören.

Der Landgraf und Zara standen sich so dicht gegenüber, dass sich ihre Nasen berührt hätten, wäre Zara nicht fast einen halben Kopf kleiner als D’Arc gewesen, der mit einem kleinen, aber feinen Lächeln auf sie herabsah. „Wohin so allein, Madam?“, fragte er höflich und trat einen Schritt zurück, um sie nicht mit seiner hoch gewachsenen Gestalt zu bedrängen. „Wollt Ihr Euch nicht der Jagdgesellschaft anschließen?“

Zara brauchte einen Moment, um sich zu fangen, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich halte nicht viel von derlei Gruppenaktivitäten.“

Er lächelte. „Verständlich. Die meisten dieser Burschen sind nichts als tumbe Bauern; sie tun nur, was man ihnen sagt, und würden die Bestie selbst dann nicht aufspüren, wenn sie ihnen in den Hintern beißt. Und die hohen Herrschaften, die diesen Jagdausflug allenfalls als kurzweiligen Zeitvertreib vor dem Vier-Uhr-Tee betrachten ...“ Er winkte verächtlich ab.

„Und trotzdem schickt Ihr sie raus in die Wälder“, sagte Zara.

„O nein, Madam, das missversteht Ihr.“ Gregor schüttelte den Kopf. „Ich schicke niemanden da raus, und ich hege im Gegensatz zum Bürgermeister auch in keinster Weise die Hoffnung, dass es der Jagdgesellschaft gelingen wird, die Bestie diesmal zur Strecke zu bringen. Doch ich musste gestern Abend irgendwie verhindern, dass die von Wut und zu viel Alkohol aufgepeitschte Situation in der Taverne eskalierte, und da war dies das Beste, was mir auf die Schnelle einfiel, um die Leute zu beruhigen.“

„Dann habt Ihr die Leute getäuscht“, sagte Zara geradeheraus.

„Ich würde eher sagen, ich gab ihnen Hoffnung“, widersprach Gregor D’Arc ruhig. „Und ich setze darauf, dass Ihr mir dabei helfen werdet, sie nicht zu enttäuschen.“

Zaras Miene wurde hart. „Ich lasse mich nicht gern unter Druck setzen.“

„Das ist auch nicht meine Absicht“, widersprach Gregor. „Ich hege einfach nur den Glauben, dass Ihr dazu im Stande seid, die Bestie zur Strecke zu bringen, das ist alles.“ Er wandte den Kopf und ließ den Blick über den Treck schweifen, der sich von Moorbruch entfernte und zum Wald zog. „Manchmal frage ich mich, was ich hier überhaupt mache“, sagte Gregor plötzlich, scheinbar zusammenhanglos. „Ich wache morgens auf und habe das Gefühl, in einem Traum gefangen zu sein – im Traum eines anderen, aus dem ich nicht erwachen kann. Es ist vielleicht kein Albtraum, aber auch kein guter Traum.“ Er sah Zara wieder an. „Wisst Ihr, ursprünglich komme ich aus Hohenmut, doch in den drei Jahren, die ich nun schon hier bin, habe ich diese Gegend und die Menschen, die hier leben, ins Herz geschlossen. Sie mögen einfache Bauern sein, arm und ungebildet, doch sie haben ihre Prinzipien, und im Gegensatz zu den ganzen selbstverliebten Blaublütigen, die meinen, sie wären von Natur aus etwas Besseres, kennen sie Moral und Anstand; sie leben ihr Leben so, wie sie es für richtig halten, allen Widrigkeiten zum Trotz, und es käme mir nie in den Sinn, sie im Stich zu lassen. – Und“, jetzt sah er Zara direkt in die Augen, „ich hoffe sehr, dass Ihr es auch nicht tut, Madam.“

Zara hielt seinem Blick unbeirrt stand. „Ich bin nicht für diese Menschen verantwortlich“, erklärte sie selbstsicher. „Aber ich werde tun, was ich kann, um ihnen zu helfen.“

Gregor D’Arc lächelte sanft. „Mehr verlange ich auch gar nicht.“ Er strich sich mit einer Hand übers Kinn und sagte süffisant: „Ich nehme an, ich kann es mir sparen, Euch meine Hilfe anzubieten?“

Zara nickte. „Da habt Ihr Recht.“

„Dann will ich Euch auch nicht länger aufhalten.“ Er trat beiseite, um ihr den Weg freizumachen. „Passt auf Euch auf, und Weidmannsheil, wie der Jäger sagt.“ Damit wandte sich Gregor um und marschierte mit weiten, ausgreifenden Schritten auf einen der letzten Pritschenwagen zu, die sich noch auf dem Platz befanden. Zara blieb noch einen Moment, wo sie war, und widerstand dem Drang, dem Landgrafen nachzuschauen.

Dann riss sie sich aus ihren Gedanken und setzte sich mit einem unmerklichen Kopfschütteln in Bewegung. Die überhebliche Arroganz und unverfrorene Dreistigkeit, mit der D’Arc sie für seine Zwecke einspannte, ärgerte sie. Aber wirklich wütend war sie auf sich selbst, weil sie sich von seiner charmanten Art derart um den Finger wickeln ließ. Sie wollte auf den Landgrafen wütend sein, konnte es aber nicht, und Zara ertappte sich einmal mehr bei dem Gedanken, dass D’Arc ihr gefiel. Sie waren wie Gegensätze, die einander anzogen.

Zara versuchte, ihre widerstreitenden Gefühle im Zaum zu halten, während sie über den Platz ging. Vereinzelt hielten sich noch Einwohner hier auf oder musterten sie aus den Fenstern der Häuser, doch Zara achtete nicht darauf. Ihr Blick war ganz nach innen gerichtet, während sie sich auf all ihre Sinne konzentrierte und begann, sie zu sensibilisieren und zu regulieren wie Einstellungen an einer Waage, die man für feinste Gewichtsunterschiede einstellt.

Schließlich ließ sich der kalte Wind, der über ihr Gesicht strich, beinahe greifen, und Zara nahm die Gerüche, Farben und Geräusche rings um sich herum stärker wahr als sonst. Alles wirkte viel intensiver, viel lebendiger, sie hörte die leisesten Geräusche, und als sie durch den knöchelhohen Schnee auf den Waldrand zustapfte, hatte sie immer noch den Geruch von Drusilla von Drakes viel zu süßem Parfüm in der Nase, das sich vor ihrem inneren Auge, einem weithin sichtbaren leuchtend roten Band gleich, nach Norden zog: Orangenblütenwasser, Jasmin und Vanille mit einem Hauch Nelke.

Wenn die Bestie kein Gespenst war, sondern eine Kreatur aus Fleisch und Blut, musste sie irgendwo in den Wäldern Spuren hinterlassen haben, und wenn es Zara gelang, eine dieser Spuren zu finden, konnte sie ihr mit etwas Glück folgen. Sie musste nur darauf achten, dass sie bei all den Eindrücken, die auf sie einstürmten, nicht das Wesentliche übersah.

Mit entschlossenen Schritten legte Zara die letzten paar Meter zum Waldrand zurück und verschwand lautlos zwischen den Bäumen.

Die Jagd hatte begonnen.

XV.

Der Moorbrucher Forst war beinahe so dunkel wie der Finsterwald, durch den sie hierher gelangt waren, eine unzählige Quadratkilometer große Fläche aus Tannen und Fichten und Laubbäumen und Felsen und Lichtungen und Pfaden aus festgestampfter Erde, durchzogen von einem Gewirr von Bachläufen, die in die weiten graubraunen Torfmoore mündeten; die erstreckten sich immer wieder zwischen den uralten Baumriesen und konnten für unachtsame Wanderer schnell zu einer bösen Überraschung werden. Aus der Vogelperspektive musste der Forst wie ein gewaltiger Flickenteppich aus grünen und braunen Flächen wirken, der sich in jeder Himmelsrichtung bis zum Horizont und noch darüber hinaus erstreckte. Selbst das lang gezogene Tal, in dem Moorbuch errichtet worden war, ging in dieser Übermacht unbändiger grüner Natur einfach unter, wie ein Kiesel auf dem Grund eines Meers. In diesem Teil der Welt hatte sich die Natur die Vorherrschaft bewahrt, und die kläglichen Versuche der Menschen, dem Forst hier und da etwas abzutrotzen, wirkten vergleichen mit der unendlichen Weite dieser Wälder allenfalls lächerlich und unbedeutend.