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„Nicht halb soviel wie Ihr“, erwiderte Zara voller Verachtung.

Gregor D’Arc folgte ihrem Blick zu den sinnlos dahingemetzelten Tieren. „Ich weiß, was Ihr denkt“, sagte er, „und ich versichere Euch, dass dieses Treiben ganz und gar nicht meine Zustimmung findet. Aber schließlich ... Wir sind auf der Jagd, und einigen dieser Leute ist es gleichgültig, was sie jagen, ob nun Ungeheuer, Wölfe oder Hasen.“

„Denen geht’s nicht um die Jagd“, widersprach Zara, „sondern ums Töten.“

„Schon möglich“, stimmte Gregor zu. „Vielen geht es bei der Jagd nur darum, diesen ganz besonderen, verbotenen Reiz auszuleben, für einen kurzen Moment diese unglaubliche Macht zu spüren, Herr über Leben und Tod zu sein, zu bestimmen, wer stirbt und wer weiterleben darf. Das mag anrüchig und moralisch verwerflich sein. Allerdings glaube ich nicht, dass Ihr oder ich das Recht haben, andere für etwas zu verurteilen, was Ihr und ich bereits mehr als einmal getan haben, nicht wahr?“

„Ich habe getötet“, stimmte Zara zu, „doch niemals aus Vergnügen.“

Gregor musterte sie eindringlich und sah ihr einen endlosen Moment lang ins Gesicht; Zara fürchtete, er würde ihr die Lüge von den Augen ablesen, doch er sagte nichts. Stattdessen hob er den Blick zum düsteren Winterhimmel über der Lichtung und sagte: „An Tagen wie diesen – sieht es da nicht aus, als würde es nie wieder Sommer werden? Als würde die Sonne nie wieder scheinen?“

„Schon möglich“, sagte Zara unwirsch, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was diese seltsame Bemerkung zu bedeuten hatte. Sie sah sich auf der Lichtung um und entdeckte Falk, Jahn, Ela und Wanja, die ein Stückchen abseits auf einem umgestürzten Baumstamm saßen. Ela fütterte Falk lachend mit Erbsensuppe; die jungen Leute schienen sich prächtig zu verstehen. „Entschuldigt mich bitte“, sagte Zara barsch. „Ich muss gehen.“

Ohne eine Erwiderung D’Arcs abzuwarten, drehte sie sich auf dem Absatz um und ließ den Landgrafen einfach stehen. Sie spürte seine Blicke im Rücken, als er ihr verwirrt nachsah, doch Zara scherte sich nicht darum, ob er sie für unhöflich hielt. Sie wollte einfach weg von dieser dekadenten Meute gelangweilter Snobs, die so wenig Respekt vor dem Leben hatten. Natürlich hatte Gregor D’Arc Recht: Sie befand sich nicht in der Position, diese Menschen zu verurteilen, nach all dem Blut, das sie in ihrem Leben vergossen hatte. Doch das bedeutete nicht, dass man sich nicht ändern konnte. Oder zumindest konnte man es versuchen.

Zara überquerte die Lichtung, ohne anzuhalten. Weiter vorn hatten Falk und die anderen sie bemerkt und winkten ihr fröhlich zu, doch statt zu ihnen zu gehen, huschte Zara auf die Büsche zu, sobald sie Gregor D’Arcs durchdringenden Blick nicht mehr im Rücken spürte, und verschwand im Unterholz, um erneut ins Zwielicht des Forsts einzutauchen. Diesmal hieß die Kriegerin die Stille zwischen den Wäldern willkommen wie einen alten Freund.

Die Ruhe hielt ungefähr eine Stunde lang an. Dann scholl erneut das Bellen und Knurren der Bluthunde durch den Forst, als die Treiber ihren Weg durch den Wald fortsetzten. Zu diesem Zeitpunkt war Zara bereits ein ganzes Stück von der Lichtung entfernt; auf der Suche nach Spuren der Bestie bewegte sie sich nun nach Nordosten, in ein Gebiet, in dem der moderige Geruch des Torfs, der hier gestochen wurde, allgegenwärtig war. Die Bäume wiesen hier an der Wetterseite mehr Moos auf als in anderen Bereichen des Waldes, und bei jedem Schritt quoll Brackwasser aus dem nur halb gefrorenen Boden. Zaras Stiefel hinterließen deutliche Spuren im Erdreich, und als sie sich systematisch umschaute, entdeckte sie mehrere Dutzend Abdrücke im halb gefrorenen Schlammboden; die meisten stammten von Vögeln oder Kaninchen, und keiner ähnelte den großen Pfoten, die sie bei der Leiche am Weiher entdeckt hatte, sodass Zara sich nach einer Weile bei dem Gedanken ertappte, ob sie womöglich alle nur einem Hirngespinst hinterherjagten, einer hübsch ausstaffierten Legende, die sich irgendjemand zu Nutze machte, um unter dem Deckmantel der angeblich unsterblichen Bestie seinen verdorbenen Neigungen auszuleben. Was hatte Gregor D’Arc vorhin noch gesagt? „Vielen geht es bei der Jagd nur darum, diesen ganz besonderen, verbotenen Reiz auszuleben, für einen kurzen Moment diese unglaubliche Macht zu spüren, Herr über Leben und Tod zu sein, zu bestimmen, wer stirbt und wer weiterleben darf ...“ Tiere kannten solche Gedanken nicht; sie töteten nur, wenn sie dazu gezwungen waren, ob es nun darum ging, sich zu ernähren, sich den Lebensraum zu sichern oder sich selbst und das Rudel zu verteidigen. Töten um des Tötens willen war eine rein menschliche Eigenschaft, und die Willkür, mit der die Bestie zuschlug, hatte etwas zutiefst Menschliches an sich. Dabei ging es nicht darum, ein Territorium zu verteidigen oder Beute zu machen.

In Gedanken versunken schlich Zara zwischen den Bäumen dahin, den Blick in sich gekehrt. In der Ferne hörte sie vage die Jagdgesellschaft durch das Dickicht brechen, doch sie nahm es kaum wahr, als sie konzentriert noch einmal alle Fakten durchging, die sie über die Bestie und ihre Opfer wusste, und versuchte, darin ein Muster zu erkennen, irgendetwas, das ihr bislang entgangen war ...

Plötzlich blieb Zara stehen und hob angespannt den Kopf.

Da! Was war das?

Sie hielt die Nase in die Luft und schnupperte, wie ein Jagdhund, der eine Witterung aufnimmt.

Zunächst war der Geruch vage, weil er von zu zahlreichen anderen Gerüchen überlagert wurde, doch als Zara sich allein darauf konzentrierte und nach und nach alle anderen Eindrücke ausblendete, nahm sie diesen Geruch in aller Deutlichkeit wahr: den herben animalischen Geruch eines großen Tieres, vermischt mit dem bittersüßen Gestank von verwesendem Fleisch, der sich so deutlich durch das Unterholz zog wie eine Spur leuchtender Fußabdrücke, die von hier wegführten, nach Norden, tiefer in den Wald.

Zara zögerte keine Sekunde. Entschlossen folgte sie dem Geruch tiefer ins Unterholz, alle Sinne bis zum Äußersten gespannt, und mit jedem Schritt wurde der Geruch stärker. Leise, lautlos wie ein Geist, huschte Zara durch das Dickicht, immer ihrer Nase nach, die sie schließlich zum Fuß eines steil aufragenden Felsens führte, auf dessen Kuppe eine riesige, verkrüppelte Kiefer thronte. Das dichte Wurzelwerk zog sich wie ein Geflecht holziger, armdicker Adern und Venen über den Felsen. Efeu und Moos hatten den Stamm und die Äste der gewaltigen Kiefer überwuchert, und lange Efeustränge hingen von den Ästen des Baums herab wie Henkersschlingen von einem Galgen. Als Zara das Dickicht hinter sich ließ und auf den Pfad aus festgestampfter Erde trat, fiel ihr die seltsame Form des Felsens auf; beinahe erinnerte er sie an einen wuchtigen und doch seltsam hageren Schädel, mit einem vorstehenden Felsgrat als Nase, abbröckelnden Felsmulden anstelle der Augen und sonderbar geformten Stalaktiten, die wie zwei stumpfe Hörner aus der „Stirn“ des grimmig dreinschauenden Felsgesichts sprossen.

Das hier musste der Teufelsfelsen sein, von dem Jahn ihnen erzählt hatte.

Hier hatte die Bestie mehrere ihrer Opfer gefunden, was darauf hinwies, dass sie sich in diesem Teil des Waldes öfter aufhielt. Das machte den Teufelsfelsen zu einer idealen Ausgangsposition für ihre Suche, aber auch für die Jagdgesellschaft, die bereits auf dem Weg hierher war; sie konnte das Hecheln und Kläffen der Hunde und die Rufe der Treiber ebenso deutlich hören wie das Pochen der Pferdehufe und das dumpfe Rumpeln der Kutschen auf der hart gefrorenen Erde. Noch waren die Treiber ein ganzes Stück entfernt, doch spätestens in zehn Minuten würden sie hier sein, um mit ihrer ungeschickten Art alle Spuren zu zerstören, die sie vielleicht zur Bestie führen könnten.

Zara musste sich beeilen.