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Mit unbewegtem Gesicht schaute sie zu der Magd hinüber, deren Wehklagen das heisere Krächzen der Krähen übertönte, und zum ersten Mal seit Ewigkeiten, so schien es ihr, spürte sie eine menschliche Regung, die über triste Gleichgültigkeit hinausging. Das Weinen der Frau war wie ein Messer, das tief in ihr Herz stach, und als Zara sich umschaute, stellte sie fest, dass die Magd nicht die Einzige war, die gekommen war, um auf dem Schlachtfeld nach ihrem Liebsten zu suchen. Überall zwischen den Toten gingen die geduckten Gestalten von Frauen und Kindern umher, manche, um voller Trauer Abschied zu nehmen, andere aber auch, um sich die Stiefel, Schwerter und Schilde der Gefallenen zu schnappen, bevor ihnen jemand zuvorkam. Zara erinnerten die Leichenfledderer unwillkürlich an die Krähen, die über die Reihen der Toten spazierten; jeder nahm sich von den Gefallenen, was er brauchte, um selbst am Leben zu bleiben.

Das war der Kreis des Seins, seit Anbeginn der Zeit.

Dennoch brachte das Leid der Magd, die ihren Liebsten beweinte, in Zara eine Saite zum Schwingen, die sie noch nie zuvor an sich wahrgenommen hatte. Sie vermochte nicht zu sagen, was genau das für ein Gefühl war, aber es war nicht unangenehm; im Gegenteil! Zum ersten Mal seit langem glaubte sie, wenigstens einen Hauch von Leben in ihrem ausgezehrten, von Entbehrung und Kampf gezeichneten Körper zu spüren, wie eine kleine Flamme irgendwo tief in ihrem Inneren, die mit jeder Träne, die die Wangen der Magd hinabrollte und weiße Spuren in den Schmutz auf ihrem Gesicht wusch, größer und heller wurde, bis die Wärme schließlich nicht nur Zaras Leib, sondern auch ihre vor Grauen erstarrte Seele wärmte. Und als wäre das nötig gewesen, um sie wieder zum Leben zu erwecken, setzte sich Zara unvermittelt in Bewegung und schritt über das Schlachtfeld auf die trauernde Magd zu, eine junge Ritterin in einer von Blut und Erde beschmierten Rüstung, auf dem Rücken ein Schild mit dem Wappen ihrer Familie.

Die Magd hob den Blick, als Zara neben ihr stehen blieb. Den wuchtigen Helm warf die Ritterin achtlos beiseite, neben die Füße eines toten Zwergs in einer ledernen Rüstung, die den Klingen der Dunkelelfen nicht hatte standhalten können.

Die Augen der Magd waren verschwommene blaue Seen in dem vom Weinen aufgedunsenen Gesicht, das trotz aller Tränen und allen Schmutzes von einigem Liebreiz war. Sie wiegte das Haupt des toten Mannes in ihrem Schoß, ein blonder Krieger aus Mascarell. Fragend schaute die Dienstmagd zu Zara auf und wich ängstlich zurück, als Zara ihr Schwert neben sich in die Erde rammte.

„Hab keine Angst, mein Kind“, sagte Zara. „Du hast von mir nichts zu befürchten.“ Wie um ihre Worte zu unterstreichen, sank Zara neben der Magd in die Knie. Zara erinnerte sich, die junge Frau schon im Lager gesehen zu haben; sie war eine der Dirnen, die der König mit auf den Feldzug genommen hatte, um die Männer zwischen den Kämpfen bei Laune zu halten. Ihr langes, gelocktes blondes Haar wurde im Nacken von einem eleganten Reif gehalten; vermutlich ein Geschenk des toten Offiziers, den sie so fest in den Armen hielt.

Erst jetzt, aus unmittelbarer Nähe, fiel Zara auf, wie jung die andere tatsächlich noch war, vielleicht siebzehn oder achtzehn Lenze, keinesfalls älter. Ein hübsches junges Ding vom Lande, das gehofft hatte, durch eine Liaison mit einem Offizier aus Mascarell einem Leben zwischen Schweinetrog und Heuboden zu entkommen. Doch daraus würde nun nichts mehr werden.

Die Magd starrte Zara mit furchtsamem Blick an, wie ein waidwundes Reh, dem Gefahr droht. Schließlich jedoch fasste sie sich ein Herz und sagte zögernd: „Wir ... wir wollten heiraten ...“ Sie fing an, liebevoll das Haar des Toten zu streicheln. „Er sagte, sobald Mhurag-Nar gefallen ist, kehren wir nach Mascarell zurück und treten in den heiligen Stand der Ehe. Er sagte, wir würden ... eine Familie gründen. Jetzt ist er tot, und ich ... ich ...“ Neue Tränen schossen ihr in die Augen, und sie begann bitterlich zu weinen, geschüttelt von Heulkrämpfen, die jedes weitere Wort im Keim erstickten.

„Armes Kind“, sagte Zara sanft, beugte sich vor und nahm die junge Frau in den Arm, die es willig geschehen ließ und sich an Zara klammerte wie eine Ertrinkende. „Armes, verlorenes Kind ...“

Die Magd drückte sich fest gegen Zara und ließ ihrem Kummer und ihren Tränen freien Lauf, während Zara mit ihrer im Lederhandschuh steckenden Hand beruhigend über ihren Rücken strich. Zara spürte den warmen Atem der Frau, fühlte, wie sich ihre Brust bei jedem Schluchzer hob und senkte, wie ein Blasebalg in einer Schmiede, wie ein Herz, das sich mit Blut voll saugt, um es wieder auszustoßen und den Funken des Lebens durch Venen und Arterien im ganzen Körper zu verteilen. Sie spürte den Herzschlag der anderen, rhythmisch, voller Lebenskraft...

Und plötzlich loderte die Flamme in Zaras Innerem fauchend auf und wurde zu einem alles verzehrenden Feuer, das ihren ganzen Leib erfasste und sie innerhalb von Sekundenbruchteilen vor Leben schier bersten ließ. Zaras Nasenflügel bebten, und der Geruch des Todes betörte sie wie der Duft eines teuren Parfüms, berauschend, eindringlich und im besten Sinne überwältigend.

„Armes, verlorenes Kind“, murmelte Zara wieder, doch dieses Mal lag nichts Besänftigendes mehr in ihrer Stimme, nur noch verschlagene Kälte. „Du bist noch so jung ... Du sollst nicht länger leiden ...“ Mit diesen Worten hörten Zaras Finger auf zu streicheln und gruben sich stattdessen tief in das dichte Haar der Magd. Mit einem harten Ruck riss Zara den Kopf der jungen Frau nach hinten, um ihre Kehle freizulegen.

Die Magd stieß ein überraschtes Keuchen aus, doch bevor sie überhaupt versuchen konnte, sich loszureißen, ruckte Zaras Kopf vor wie der einer angreifenden Schlange, ihr Unterkiefer klappte nach unten, weiter als es jedem normalen Menschen möglich gewesen wäre, und noch während die Magd zu begreifen versuchte, was geschah, grub Zara ihr die langen, elfenbeinfarbenen Hauer in den Hals, die ihr in Sekundenbruchteilen aus dem Kiefer wuchsen.

Blut schoss in Zaras Mund, füllte ihren gesamten Rachen und rann süß wie edler Wein durch ihre Kehle, und Zara trank mit tiefen, gierigen Zügen. Die Magd versuchte, sich zur Wehr zu setzen, doch Zaras Finger glichen Schraubstöcken, und während Zara das Leben aus ihrem Opfer saugte, nahm sie alles um sich herum plötzlich so viel intensiver wahr als zuvor: das hungrige Krächzen der Krähen, den öligen Gestank des Feuers, der von einer schwachen Brise in trägen Schwaden über das Schlachtfeld getrieben wurde, das Jammern und Wehklagen der anderen Frauen auf dem Acker ...

Erst als die Seele in dem Körper, den sie umklammert hielt, erloschen war, hob Zara den Kopf vom Hals ihres Opfers, das Gesicht über und über mit Blut besudelt, die Augen dunkel und glühend wie Kohlegruben.

„Das ist es, was ich bin“, murmelte Zara zufrieden, „und daran wird auch die Ewigkeit nichts ändern ...“

II.

Zara fuhr aus dem Schlaf auf, einen nur mühsam unterdrückten Schrei auf den Lippen. Die schicksalsschweren Worte, die sie im Traum aus ihrem eigenen Mund vernommen hatte, hallten in ihrem Verstand wieder wie ein Echo zwischen Berghängen.

Das ist es, was ich bin, und daran wird auch die Ewigkeit nichts ändern ...

Zara schüttelte den Kopf, als könnte sie den Albtraum auf diese Weise verscheuchen, und richtete sich mit einem resignierten Stöhnen auf ihrem Nachtlager auf. Das lange schwarze Haar fiel ihr als ungezähmte Mähe über die Schultern. Sie strich sich einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht und blinzelte, um die letzten Reste Schlaf zu vertreiben. Beiläufig kam Zara der Gedanke, dass sie es sich eigentlich sparen konnte, sich zur Ruhe zu betten, da sie sowieso kaum jemals mehr als zwei Stunden am Stück schlief, bevor der Albtraum sie heimsuchte und sie wieder aus Morpheus’ Armen gerissen wurde. Manchmal kam es ihr vor, als wartete der schreckliche Traum in irgendeinem finsteren Winkel ihrer Seele nur darauf, über sie herzufallen, sobald sie die Augen schloss, eine wirre Mischung aus Erinnerung, Legende und Fantasterei, die Zara nun schon so lange quälte, dass sie nicht einmal mehr zu sagen vermochte, wann das Ganze angefangen hatte. Es schien Äonen her zu sein, seit sie das letzte Mal in Ruhe eingeschlafen und ebenso ruhig wieder aufgewacht war. Doch wie jedes andere Wesen brauchte auch Zara ein gewisses Maß an Schlaf, um nicht den Verstand zu verlieren. Nur fragte sie sich manchmal, ob sich ihr Los nicht einfacher ertragen ließe, wäre sie nicht mehr ganz bei Sinnen ...