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Zara setzte ihre Schritte schnell und lief unbeirrt durch das Wirrwarr aus Farnen, Büschen und Sträuchern, ohne dass auch nur ein Ast oder Farn über ihren wallenden Umhang strich, fast so, als wich die Fauna vor Zara zurück, um ihr nicht zu nahe zu kommen. Doch tatsächlich war es genau umgekehrt; es war Zara, die sich von allen potentiellen Lärmquellen fern hielt, nur bewegte sie sich dabei so schnell, dass niemand, der Zeuge dieser Szene geworden wäre, seinen Augen getraut hätte, ebenso wie der Mann mit der Signalpfeife.

Lautlos folgte Zara der Spur der Kapuzengestalt in den Wald, weg von der Lichtung. Hier und da konnte sie im Vorbeilaufen die verwischten Fußspuren des Flüchtenden ausmachen, Abdrücke klobiger Männerschuhe, die sie jedoch nicht brauchte, um der Spur des Unbekannten zu folgen; seine Angst allein genügte, um sie anzuziehen wie ein Magnet ein Stück Metall.

Und dann war da noch der Lärm, den der Unbekannte verursachte, während er sich seinen Weg durch das Dickicht bahnte: raschelnde Blätter, knackende Äste, Stoff, der an Bäumen entlangstrich, der gepresste, rasselnde Atem des Fliehenden, der mit jedem Schritt schwerer ging ...

Zara hätte ihm selbst mit verbundenen Augen problemlos folgen können.

Nicht lange, und sie erhaschte weiter vor sich im Unterholz die hastigen Bewegungen der Kapuzengestalt, die unbeholfen durch das Dickicht trampelte und sich immer wieder umschaute. Zara hielt sich in den Schatten und folgte dem Mann auf einer fast parallelen Route durch den Wald, lautlos wie ein Raubtier, das sich seiner Beute nähert. Doch obwohl er sie nicht ausmachen konnte, schien er zu ahnen, dass sie hinter ihm her war, denn seine Angst nahm permanent zu, wurde immer intensiver und durchdringender, ein süßer, schwerer Geruch, betörend wie das Parfüm einer schönen Frau und für Zara nicht minder verführerisch, als es für einen Mann gewesen wäre.

Noch war der Flüchtende dreißig Schritte vor ihr, doch schon Sekunden später waren es nur noch zwanzig Schritte, dann achtzehn, sechzehn ...

Zara spürte, wie das Adrenalin heiß und überbordend durch ihre Andern schoss und ihre Schritte beflügelte, als sie sich dem Flüchtenden von hinten lautlos durchs Dickicht näherte. Sie konnte seinen Mantel deutlich vor sich zwischen den Sträuchern ausmachen, sein in Schatten gehülltes Gesicht, wenn er sich immer wieder suchend umsah, ohne sie im Zwielicht des tiefen Waldes ausmachen zu können, und mit jedem Schritt, den Zara näher kam, wurden die Atemgeräusche des Mannes lauter, ein angestrengtes, halb unterdrücktes Keuchen, unter das sich mehr und mehr ein anderes Geräusch mischte, ein regelmäßiges, dumpfes, irgendwie unwiderstehliches Pochen, das in ihrem Kopf widerhallte wie ein Echo zwischen Berghängen.

Ba-bock, Ba-bock, Ba-bock.

Zara lief weiter, ein Raubtier in Menschengestalt, beherrscht von Trieben, die so ursprünglich und uralt waren wie das Leben selbst, und je näher sie dem Flüchtenden kam, desto stärker wurde das animalische Verlangen, ihre Beute zu stellen und ...

Keine zehn Schritte vor ihr brach die Kapuzengestalt unvermittelt durch eine Wand von besonders dichtem Unterholz und verschwand aus ihrem Blick, doch sein Herzschlag dröhnte so laut in Zaras Kopf, als hätte sie ihr Ohr an seine Brust gelegt, und dann hatte auch sie das Dickicht erreicht und huschte wie ein Geist zwischen den dichtstehenden Büschen und Sträuchern hindurch – um sich unversehens am Beginn einer schmalen Felsschlucht mitten im Forst wiederzufinden. Links und rechts erhoben sich massige Schieferfelsen, schorfig wie die Schuppen eines Drachen, zu beiden Seiten flankiert von einer Wand hoher Tannen, die sich leicht in einer eisigen Brise wiegten.

Die Kapuzengestalt indes war fort; verschwunden, als hätte sich die Erde aufgetan und den Mann verschlungen. Zumindest war der Unbekannte nirgends zu entdecken, als Zara aus dem Schutz des Dickichts auf den verschneiten Pfad trat, der sich – aus dem nördlichen Teil des Forsts kommend – durch diese Tannenschonung schlängelte, um in der Felsschlucht zu verschwinden. Doch auch wenn sie ihn nicht sehen konnte, nahm sie seinen Geruch noch immer so deutlich wahr wie zuvor, und der betörende Duft der Furcht führte ebenso zum Beginn der Schlucht wie die verwischten Fußspuren im Schnee.

Zara ging neben den Schuhabdrücken her, jetzt ohne Eile. Der Geruch ihrer „Beute“ war nach wie vor stark; der Unbekannte musste hier irgendwo ganz in der Nähe sein. Gemächlich folgte Zara den Spuren den Pfad entlang zum Beginn der Schlucht, die vor ihr in die Höhe ragte wie ein gewaltiges V aus Fels. Der Pfad, der sich zwischen den Felswänden hindurchwand, war kaum breit genug, dass zwei Pferde nebeneinander hätten reiten können, und hier und da ragten in unterschiedlichen Höhen verkrüppelte Kiefern aus dem Schiefergestein, die mit gebogenem Stamm in die Höhe wuchsen, wie Pflanzen, die sich nach dem Licht recken. Schon nach zwanzig Schritten beschrieb die Schlucht eine Kurve, sodass Zara nicht ausmachen konnte, was dahinter lag. Doch das würde sie bald wissen.

Ohne zu zögern trat Zara in die Schlucht und folgte den Fußspuren. Zu beiden Seiten ragte das Schiefergestein fast senkrecht dreißig Meter in die Höhe. Im Schutz der Schlucht war es vollkommen windstill, und nicht einmal der verführerisch pochende Herzschlag des Unbekannten war mehr zu hören. Doch sein Geruch war nach wie vor sehr intensiv, und das bedeutete, dass er ganz in der Nähe war.

Zara folgte weiter dem Pfad, den Blick auf die Spuren am Boden gerichtet. Hinter der nächsten Ecke verbreiterte sich die schmale Felsschlucht zu einem Kessel von vielleicht zwanzig Schritten Durchmesser, bevor sich der Weg dahinter wieder verengte und wie zuvor als schmaler Schlauch weiter nach Osten führte. Außer Felsbrocken unterschiedlicher Größe, die von einer hauchdünnen Schicht aus weißem Pulverschnee bedeckt waren, gab es in dem Felskessel nichts zu sehen, doch als Zara den Fußspuren des Flüchtenden etwa bis zur Mitte des Kessels gefolgt war, hielt sie plötzlich inne. Ihr Blick glitt in die Runde, und ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

Da war der dumpfe, hypnotische Herzschlag der Kapuzengestalt wieder, ganz nahe jetzt – Ba-bock, Ba-bock, Ba-bock – doch als sie genauer hinhörte, stellte sie fest, dass es nicht nur ein Herz war, das sie da schlagen hörte, sondern mehrere.

Da prasselte rechts von ihr bereits eine Hand voll halb gefrorener, losgetretener Erde die Schieferwand hinab.

Zaras Kopf ruckte herum, und in dem Sekundenbruchteil, den sie brauchte, um den Bolzen auf sich zurasen zu sehen, zuckte bereits ihre Hand empor, fast schneller, als man mit bloßem Auge verfolgen konnte. Zara packte den Bolzen mit einer Hand, als die scharfe eiserne Spitze bloß noch Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt war. Sie hob den Kopf und blickte nach oben, zum Rand des Felskessels, wo ein stämmiger Mann mit einer Armbrust stand und von oben boshaft zu ihr hinuntergrinste. Es war der Kerl in dem Kapuzenumhang, doch jetzt gab er sich keine Mühe mehr, sich zu verbergen oder sein Gesicht zu verhüllen; die Kapuze hatte er nach hinten geschlagen.

Er hatte sie in eine Falle gelockt!

Wie um ihren unguten Verdacht zu bestätigen, tauchten am oberen Rand des Felskessels weitere Gestalten auf, mindestens ein halbes Dutzend verwegen dreinschauender Kerle in Jagdkleidung, alten Militäruniformen und weiten, abgewetzten Mänteln, von denen sie einige wiedererkannte, hatten sie sich doch als Häscher bei der Treibjagd verdingt. Doch offenbar hatten sie sich jetzt eine andere Beute erkoren als die Bestie, denn der Anblick der Armbrüste, Schwerter, Speere und Musketen, die von oben auf Zara herabzielten, ließ keinen Zweifel daran, dass die Männer nicht hier waren, um ein gepflegtes Schwätzchen zu halten oder die Ruhe und Abgeschiedenheit dieses Ortes zu genießen. Plötzlich wurde die Stille, die über der Schlucht lastete, bedrohlich.