Heulend vor Wut, wüste Verwünschungen auf den Lippen, fielen die Männer wie ein Rudel wilder, ausgehungerter Wölfe über ihre Beute her, und schlagartig fand sich Zara in einem Käfig aus Beinen wieder, die rings um sie herum aufragten wie Gitterstäbe. Dann prasselte ein brutales Stakkato von Stöcken und Keulen und Knüppeln und Fäusten auf sie ein, doch statt sich zur Wehr zu setzen, versuchte Zara lediglich, ihren Kopf vor den Schlägen zu schützen, so gut es ging, und fügte sich in ihr Schicksal.
Auf einmal war ihr alles gleichgültig, und ihr Verstand leerte sich wie ein Badezuber, aus dem man das Wasser abfließen lässt. Schließlich waren in ihrem Kopf nur mehr die Gesichter jener Männer, die gerade durch ihre Hand ihr Leben verloren hatten; nein, sie hatten nicht nur ihr Leben verloren, sie waren daraus herausgerissen worden, wie blühende Blumen, die man aus einem Beet zupfte. Zara versuchte sich einzureden, dass sie nur getan hatte, was sie tun musste, dass es Selbstverteidigung gewesen war und sie gar keine andere Wahl gehabt hatte. Doch selbst in ihren eigenen Ohren klang dies wie eine Lüge, und die kleine fiese Stimme in ihrem Hinterkopf begann zu lachen, sie lachte immer lauter, während die Männer mit ihren Knüppeln und Keulen und Stöcken auf Zara einprügelten und nach ihr traten.
Bald gab es keine Stelle ihres Körpers mehr, die nicht schmerzte, doch Zara registrierte es kaum; je mehr die Männer ihr zusetzten, desto mehr zog sie sich in sich selbst zurück, und je mehr sie sich in sich zurückzog, desto lauter und deutlicher wurde die Stimme in ihrem Verstand, die gleichzeitig so fremd und doch so vertraut klang. Ein Stockhieb traf Zara am Ohr, und ein schriller pfeifender Schmerz zuckte durch ihren Schädel, und als das Pfeifen nachließ, war es plötzlich ganz still geworden.
Im ersten Moment glaubte Zara, die Männer hätten aufgehört, zu jaulen und zu schreien und auf sie einzuprügeln, doch als sie mühsam die Augen verdrehte, sah sie über sich dieselben vor Wut verzerrten Männergesichter, dieselben schreienden Münder wie zuvor, doch die Welt um sie herum war verstummt; alles, was sie hörte, war das vielstimmige dumpfe Pochen der Herzen ihrer Peiniger, ein wirres Durcheinander wild schlagender Herzen, das sich anhörte, als würde ein halbes Dutzend Musiker gleichzeitig ihre Trommeln schlagen – Ba-bock, Ba-bock, Ba-bock –, und mit jeder Sekunde wurde das Schlagen der Trommeln lauter, immer lauter, bis sich die wild pochenden Herzschläge der Männer in ihrem Kopf zu einem ohrenbetäubenden Crescendo vereinten, das ihren Schädel bis in den letzten Winkel ausfüllte. Selbst da schwoll der Lärm ihrer Herzen noch weiter an – Ba-bock, Ba-bock, Ba-BOCK! –, doch jetzt klang ihr Herzschlag nicht mehr wie Trommeln, er klang wie das Dröhnen der Kirchenglocke von Moorbruch, wie acht dieser Glocken, die immer schneller gegen den Klöppel schlugen, und mit jedem Schlag des Klöppels hatte Zara das Gefühl, ihr Kopf würde stetig weiter und immer weiter anschwellen. Sie riss auf einmal den Mund auf, bäumte sich unter den Schlägen ihrer Häscher auf und schrie ihren Schmerz, ihren Zorn und ihre Verzweiflung hinaus, so laut, dass man es noch eine Meile entfernt hören konnte. Doch keiner, der den durch den nächtlichen Wald hallenden Schrei vernahm, hätte geglaubt, dass es der Schrei eines Menschen war.
Zaras Häscher hielten erschrocken inne; die Stöcke und Knüppel erstarrten über ihrem Opfer, und ein oder zwei der Kerle rissen sogar die Hände an die Ohren, so laut war Zaras Schrei. Und Zara hörte nicht auf zu schreien. Sie schrie alles Elend und Leid heraus, das sich in ihr angesammelt hatte, ein ansteigender, ohrenbetäubender gequälter Schrei, der – auch wenn das kaum möglich schien – noch lauter wurde, immer lauter, bevor er sich auf einmal in Gelächter verwandelte, und plötzlich schrie Zara nicht mehr, sondern lachte, ein hohles, schallendes Gelächter bar jeder Fröhlichkeit, das von den Wänden des Felskessels wiederhallte wie ein Echo zwischen Berghängen. Und spätestens jetzt bekamen es auch all jene, die bei Zaras Schrei nicht vor Schreck erstarrt waren, mit der Angst zu tun, denn dieses Lachen war Grauen erregender als der schlimmste Schrei, so höhnisch und schallend und dunkel, so bar jeder Menschlichkeit, als entstamme es der Hölle selbst, und wie auf einen unhörbaren Befehl hin wichen die Männer ängstlich zwei, drei, vier Schritte vor der Frau zurück. Und Zara kauerte im Schnee, noch immer aus voller Kehle lachend, das Gesicht gesenkt und von einem Schwall dunklen Haars verhüllt wie von einem Schleier.
Zara lachte, während die Männer sie ängstlich anstarrten, unfähig, sich zu rühren, und nach und nach wurde Zaras Gelächter leiser, abgehakter, klang zu einem spöttischen Kichern ab, um schließlich ganz zu verstummen, und wieder legte sich Stille über den Wald, eine unheilvolle Stille, die alle anderen Geräusche unterdrückte. Im ersten Moment waren die meisten Männer froh, dass das diabolische Gelächter endlich verstummt war, doch wie zuvor das Gelächter schlimmer gewesen war als der Schrei, so war die Stille nun furchteinflößender als das grauenvolle Gelächter. Mit ängstlich zusammengekniffenen Augen standen die Männer im Kreis um Zara herum, ein paar Schritte dahinter die Kerle mit den Musketen, und alle starrten die in ihrer Mitte kauernde Frau furchtsam an. Niemand sagte ein Wort.
Einige Herzschläge lang, die den meisten Männern wie eine Ewigkeit vorkamen, geschah nichts. Dann lief ein Ruck durch Zara, und plötzlich geschah etwas Seltsames. Es war, als würde sie unter ihrer Kleidung wachsen – nicht viel, gerade so, als würden sich an ihrem Leib überall Muskeln bilden, die zuvor nicht da gewesen waren, sodass ihr die ohnehin schon enge schwarze Lederkleidung mit einem Mal hauteng am Körper lag. Auch ihre Körperhaltung veränderte sich auf subtile Weise und zeigte eine Art selbstbewusster Arroganz – anders konnte man es nicht in Worte fassen. Hinzu kam eine Kälte, die so deutlich von ihr abstrahlte, dass man sie körperlich zu spüren glaubte.
Unwillkürlich fröstelten die Männer.
Dann hob Zara den Kopf, sodass das lange schwarze Haar wie ein Vorhang von ihrem Gesicht zurückglitt und ihr porzellanweißes Antlitz offenbarte, und genau wie ihr Körper schien auch ihr Gesicht eine subtile Metamorphose durchlaufen zu haben, als habe sich ein Maler ein Porträt vorgenommen und mit einigen wenigen meisterhaften Pinselstrichen aus der Person auf dem Bild eine andere Person geschaffen, die zwar noch immer aussah wie das Original, aber nicht mehr diese Person war, weil einige bestimmte Merkmale jetzt mehr betont waren. Es schien auch, als wäre ihre blasse Haut noch blasser geworden und so durchscheinend, dass man unter dem feinen Pergament ihrer Haut ein Netzwerk feiner blauer Adern ausmachen konnte. Ihre Wangenknochen schienen stärker hervorzutreten, ebenso die Wülste ihrer Brauen und ihre Kieferknochen. Auch bestanden ihre Augen nur noch aus dem Schwarz ihrer Pupillen; da war nichts Weißes mehr, keine Iris, bloß Schwärze, wie ein bodenloses Loch, in dessen Untiefen irgendwo ein verzehrendes Feuer brannte.
Zara bleckte wie ein tollwütiger Hund die kräftigen, schimmernd weißen Zähne, die auf sonderbare Weise länger zu sein schienen wie bei normalen Menschen.
„Jetzt“, sagte sie, und irgendwie klang ihre Stimme wesentlich tiefer und gutturaler als zuvor. „Jetzt bin ich wirklich wütend ...“
Und bevor sich einer der Männer von seinem Schreck erholen und reagieren konnte, sprang Zara bereits auf, so agil wie eh und je, und innerhalb eines Herzschlags stand sie vor dem Kerl, der ihr am nächsten war. Die Schwerter hatte sie im Boden stecken lassen. Sie hatte andere Waffen.