Gregor D’Arc stand am Kamin und schürte mit einem Eisenhaken das Feuer, als der Diener über die Schwelle trat, sich kurz verneigte und dann mit ebenso respektvoller wie unterwürfiger Stimme verkündete: „Mademoiselle Zara, mein Herr...“
Gregor schob den Schürhaken in den Ständer zurück und kam lächelnd auf sie zu. Er hatte sein Jagdkostüm gegen einen blauen Hausanzug aus feinster mascarellischer Seide eingetauscht, über den er einen Hausmantel mit goldenen Stickereien an den Ärmeln und am Revers trug. Ein weißes Tuch schmückte seinen Hals und verlieh ihm etwas Burschenhaftes, als er zwei Schritte von Zara entfernt stehen blieb. „Ah, Zara!“, sagte er mit einem breiten Lächeln, das seine weißen, perfekten Zähne sehen ließ. „Ich bin hocherfreut, Euch zu sehen! Ihr seht wahrlich hinreißend aus!“
„Monsieur D’Arc“, sagte Zara und reichte dem Edelmann ihre behandschuhte Hand, die Gregor D’Arc alsdann ergriff, um einen Handkuss anzudeuten, „ich danke Euch für Eure Einladung.“
„Oh, bitte“, sagte D’Arc tadelnd, ohne Anstalten zu machen, Zaras Hand loszulassen. „Bitte, nennt mich doch Gregor. Ich mag es nicht, in meinen eigenen vier Wänden wie ein Fremder angesprochen zu werden.“
Zara verzog keine Miene. „Dann Gregor“, sagte sie kühl, doch unter ihrer allzu distanzierten Oberfläche brodelte es. Zudem gefiel es ihr, endlich einmal wieder wie die junge Dame aus gutem Hause behandelt zu werden, als die sie beim ersten Mal in diese Welt geboren worden war.
Gregor erwies sich als echter Gentleman. Er streckte zuvorkommend die Hand aus. „Gestattet Ihr, dass ich Euch Euren Umhang abnehme?“
Zara nickte, und als Gregor den Umhang von ihren Schultern zog, kamen darunter ihre Schwerter zum Vorschein, die X-förmig über Zaras Rücken geschnallt waren.
Gregor runzelte die Stirn, ihren Umhang in der Hand. „Ich lade Euch zu einem entspannten Abendessen ein, und Ihr erscheint bewaffnet?“, sagte er, doch er schien nicht beleidigt darüber, eher überrascht. „Fürchtet Ihr, ich könnte Euch etwas antun?“
„Nichts, was ich nicht wollen würde“, erwiderte Zara kühl. „Im Übrigen trage ich meine Schwerter immer bei mir. Ich bin niemals unbewaffnet; in den Gefilden, aus denen ich komme, ist dergleichen alles andere als ratsam. Dort geht man sogar mit seiner Klinge unterm Kopfkissen ins Bett.“ Bevor sie die Taverne verlassen und in die Kutsche gestiegen war, hatte sie einen Moment lang ernsthaft darüber nachgedacht, die Schwerter in ihrem Zimmer zu lassen, einfach, um weniger martialisch und mehr damenhaft zu erscheinen, doch dann hatte sie sich an die Männer erinnert, die sie im Felskessel überfallen hatten. „Was mich angeht, so fühle ich mich ohne meine Schwerter ... nackt.“ Als sie das Wort aussprach, trafen sich ihre Blicke, und Gregors Mundwinkel verzogen sich zu einem kleinen wissenden Grinsen.
„Ich weiß genau, was Ihr meint“, sagte er und deutete auf die beiden Schwerter, deren reich verzierte Griffe über ihre Schultern aufragten wie seltsame Deformationen. „Das sind interessante Waffen, mit denen Ihr Euch da schmückt. Wo stammen sie her? Ich kann mich nicht entsinnen, schon einmal Schwerter dieser Art gesehen zu haben.“
„Das wundert mich nicht“, sagte Zara, „stammen sie doch von weit jenseits der Grenzen Ancarias, von einer großen Insel weit draußen hinter dem Westmeer; aus einem Land, in dem die Sonne niemals untergeht und die Menschen seltsame Gewohnheiten pflegen. Doch die Schwertschmiedekunst dort ist unübertroffen.“
Gregor händigte seinem Diener Zaras Umhang aus, wies ihn an, sich bis auf weiteres zurückzuziehen, und geleitete Zara zum Stuhl, während der Diener rückwärts und mit geneigtem Haupt aus dem Speisesaal trat und die beiden Türflügel dabei ebenso synchron hinter sich zuzog, wie er sie zuvor geöffnet hatte. Dann waren sie allein.
Gregor rückte ihr den Stuhl zurecht, beugte sich von hinten über sie, sodass sein Mund dicht neben ihrem Ohr war, und sagte: „Ich hoffe, Ihr habt Appetit mitgebracht. H’oro, mein Koch, ließ sich nicht davon abbringen, einige Kleinigkeiten für uns zuzubereiten. Ich bin sicher, er hat sich wie immer selbst übertroffen; er ist ein wahrer Meister der Küche.“
Er trat vor und fing an, die Hauben von den vielen Schlüsseln und Schalen zu nehmen; jedes Mal stieg eine köstlich duftende Wolke empor, und obwohl Zara eigentlich gar keinen Hunger hatte, konnte sie dennoch nicht umhin, Gregor Recht zu geben. Wie es schien, war H’oro wirklich ein Meister der Küche, zumindest nach den Gerichten zu urteilen, die unter den Abdeckungen zu Tage kamen. Da gab es knusperige Wachteln mit Käsefüllung; zartrosa Rinderfilet auf einem Bett aus Reis und wilden Kräutern; fein gedünstete Wildschweinkeule auf Rotkraut; gratinierte Kartoffeln mit Quark; gefüllte Waldpilze; Datteln im Speckmantel; jede Menge frische Salate und Gratins; Kuchen, Kirschen, Trauben und ein halbes Dutzend Desserts, von denen eins verlockender aussah als das andere – sodass Zara schließlich doch schwach wurde. Sie sah neugierig zu, wie Gregor ihr eine Reihe von Speisen auf einem riesigen Teller arrangierte, ehe er sich daran machte, gekonnt eine Flasche Rotwein zu entkorken. Der edle Tropfen floss duftend und dickflüssig wie Sherry in das fein geschliffene Kristallglas neben ihrem Gedeck, und während Gregor zum anderen Ende des langen Tisches ging und sich selbst einschenkte, hatte sie zum zweiten Mal an diesem Tag Gelegenheit, festzustellen, dass Gregor D’Arc ein sehr attraktiver Mann war; nicht schön, aber auf eine herbe, maskuline Weise anziehend, was eher mit seinem selbstbewussten Auftreten zu tun hatte als mit seinem Aussehen. Er strahlte ein Selbstbewusstsein und eine Ruhe aus, als könne ihn nichts auf der Welt erschüttern, und als er ihr über den Tisch hinweg zuprostete, spürte sie, wie sie mehr und mehr in seinen Bann geriet.
„Auf diesen Abend“, toastete Gregor lächelnd. „Möge er so viel versprechend weitergehen, wie er begonnen hat.“
Zara hob lächelnd ihr Glas. „Darauf trinke ich“, sagte sie.
Sie tranken, ohne sich dabei aus den Augen zu lassen. Dann senkten sie ihre Gläser, und Gregor D’Arc sagte: „Lasst Euch’s munden, Verehrteste.“
Zara nickte und griff nach ihrem Silberbesteck. Gregor hatte nicht zu viel versprochen. Das, was sein Koch H’oro da kredenzt hatte, war in höchstem Maße köstlich: das Fleisch so butterzart rosa, dass man es mühelos mit der Gabel zerteilen konnte; die Sauce so fein und punktgenau abgestimmt, dass es unmöglich war, zu sagen, welche einzelnen Ingredienzien sie enthielt; das Gratin saftig und raffiniert gewürzt, mit einer goldgelben Käsehaube, die verführerisch knackte, als Zara sie mit der Gabel aufbrach. Mit jedem köstlichen Bissen, den sie nahm, erwachte ihr Appetit mehr, und schließlich fiel sie mit einem wahren Heißhunger über das Mahl her. Erst, als sie ihren Teller bereits zu Dreiviertel geleert hatte, fiel ihr auf, dass Gregor selbst nichts aß. Stattdessen saß er entspannt in seinem Lehnstuhl, ein Glas Wein in der Hand, das er regelmäßig wieder füllte, und begnügte sich damit, Zara über den Tisch hinweg nachdenklich zu betrachten und gepflegte Konversation zu treiben; er sorgte dafür, dass ihr Gespräch nicht abstarb, während Zara weiterhin aß, doch nun, da sie wusste, dass Gregor sie nicht aus den Augen ließ, war ihr anfänglicher Heißhunger verflogen, und nachdem sie noch ein paar Happen von ihrem Teller genommen hatte, legte sie das Besteck ab, schob den Teller von sich und tupfte sich mit der weißen Leinenserviette die Lippen.