Zara schüttelte den Kopf. „Vielleicht könnt Ihr es mir sagen? Wem in Moorbruch bin ich ein Dorn im Auge? Wenn jemand das weiß, dann doch wohl Ihr, oder nicht? Immerhin genießt Ihr hier den Respekt, der von Rechts wegen eigentlich dem Bürgermeister zustünde.“
„Das mag wohl sein“, antwortete ihr Gastgeber mit dem Anflug eines Lächelns auf den Lippen. „Doch Ihr stellt die falschen Fragen. Die Frage sollte nicht lauten, wem in Moorbruch Ihr ein Dorn im Auge seid, sondern warum?“ Er sah sie neugierig an. „Seid Ihr vielleicht irgendjemandem seit Eurer Ankunft zu nahe getreten? Gab es Streit? Habt Ihr vielleicht jemanden beleidigt?“
Zara schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste.“
„Aber was könnte dann der Grund für den Anschlag gewesen sein?“
Zara wollte sagen: Vielleicht bin ich der Bestie schon so nahe, dass einer unter euch, der in irgendeiner Art und Weise vom Treiben der Bestie profitiert, mich aus dem Weg haben will... Doch obwohl ihr die Worte bereits auf der Zunge lagen, schluckte sie sie nach kurzem Zögern herunter und sagte stattdessen: „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“
Einen Moment lang sah Gregor sie durchdringend an, als wäre er sich sicher, dass sie log, doch bevor er Gelegenheit hatte, seine Zweifel zu äußern, ergriff Zara die Initiative und sagte forsch: „Sagt mir: Wie seid Ihr daraufgekommen, dass es nicht die Bestie war?“
Wider Erwarten lächelte Gregor. „Das war offensichtlich. Ich meine, die Bestie hat noch nie Männer angegriffen, und sie hat stets nur einzelne Personen attackiert, keine Gruppen; dazu ist die Bestie zu vorsichtig. Und dann waren da noch die Wunden der Opfer – gerade, saubere Schnitte wie von einem Rasiermesser. Oder wie von einem so außergewöhnlichen Schwert, wie Ihr sie auf dem Rücken tragt.“
„Und was werdet Ihr jetzt mit Eurem Wissen anfangen?“, fragte sie. Eigentlich hätte sie beunruhigt sein müssen, doch stattdessen war sie seltsam entspannt, als wüsste sie genau, dass sie von Gregor nichts zu befürchten hatte.
„Wie ich schon sagte, es war Notwehr“, sagte er. „Ich wüsste nicht, warum man Gewese um diese Angelegenheit machen sollte, außer um in Erfahrung zu bringen, wer Euch nach dem Leben trachtet.“
„Dieser Frage werde ich zu gegebener Zeit selbst nachgehen“, sagte Zara.
„Um so besser.“ Gregor nickte zufrieden. „Dann ist doch alles geklärt.“
Damit war die Sache für ihn erledigt, und so schwenkte er wieder zu den belanglosen Themen zurück. Zara zog mit, und dann unterhielten sie sich wieder so angeregt wie zuvor, tranken Wein und taten so, als wäre nichts gewesen. Trotzdem hatte sich etwas zwischen ihnen verändert; nicht in negativer Hinsicht, im Gegenteil. Es war, als bestünde auf einmal eine gewisse Intimität zwischen ihnen, ein Vertrauen, das zuvor nicht da gewesen war, und als sie darüber nachdachte, wurde Zara schließlich klar, was der Grund dafür war: Sie teilten jetzt ein Geheimnis miteinander. Abgesehen von Falk, über den Gregor kein Wort verlor, waren sie beide die Einzigen, die wussten, was sich heute wirklich in dem Felskessel zugetragen hatte, und irgendwie schuf dieses geheime Wissen eine Art Band zwischen ihnen. Mehr noch: Mit jedem weiteren Glas Wein und jedem weiteren tiefen Blick baute sich eine Spannung im Speisesaal auf, so unsichtbar und real wie die Wärme des prasselnden Kaminfeuers oder der betörende Duft der Kerzen, der jeden Atemzug verzauberte. Zara wusste, dass irgendetwas passieren musste.
„Ihr seid eine interessante Frau, Zara“, sagte Gregor schließlich, nachdem er die dritte Flasche Wein entkorkt und ihnen beiden nachgegossen hatte; jetzt saß er wieder an seinem Platz am anderen Ende des Tischs, und der Kerzenschein ließ den Rotwein in dem geschliffenen Kristallglas tiefdunkel schimmern wie Blut. „Ihr seid eine angenehme und wortgewandte Unterhalterin, doch was hinter Eurer Stirn vorgeht, bleibt ein Geheimnis, nicht wahr?“
Zara sah den jungen Landgrafen über den langen Tisch hinweg an und verzog die Mundwinkel zu einem kleinen, süffisanten Lächeln. „Und Ihr seid ein aufmerksamer Beobachter, Monsieur“, erwiderte sie. Sie hob ihr Glas, ließ den Rotwein langsam in dem edlen Kristall kreisen und sah zu, wie das Licht in der rubinroten Flüssigkeit funkelte. „Doch warum hört Ihr nicht auf, den Seelenforscher zu spielen, und nehmt das, was Ihr kriegen könnt, statt nach Dingen zu greifen, die für Euch unerreichbar sind?“ Zara trank einen Schluck Wein, ohne Gregor dabei aus den Augen zu lassen; er schmeckte trocken und dickflüssig, fast wie Blut. Doch das Prickeln, das über ihr Rückgrat lief, als Gregor ihren Blick erwiderte und sich seine Mundwinkel zu einem wissenden Lächeln verzogen, hatte nichts mit Wein oder Blut zu tun.
„Und was ist für mich erreichbar?“, wollte Gregor wissen.
Zara wiegte den Kopf. „Es ist an Euch, das herauszufinden, Monsieur.“
Einen endlosen Moment lang schauten sie sich über den Tisch hinweg direkt in die Augen, und Zara genoss die Begierde, die in Gregors durchdringendem Blick lag. Sie spürte, wie eine Wärme in ihr aufstieg, die ihren ganzen Körper durchdrang. Die Empfindung war so intensiv, dass Zara überrascht darüber war; zu lange war es bereits her, dass sie zum letzten Mal etwas Vergleichbares verspürt hatte.
Der Moment zog sich auf magische Weise in die Länge, und obwohl er tatsächlich nur Sekunden währte, schien es Zara, als wäre eine Lebensspanne vergangen, bis Gregor einen letzten Schluck Wein trank, das Glas bedächtig sinken ließ und nach der feinen weißen Leinenserviette griff, um sich mit provozierender Langsamkeit die Lippen abzutupfen. Dann warf er die Serviette achtlos auf den Tisch, schob seinen Stuhl zurück und schritt auf sie zu, wobei er Zara nicht einen Herzschlag lang aus den Augen ließ. Ihr war es, als würde sich der Tisch mit jedem Schritt, den Gregor tat, ausdehnen, als würde er immer länger, um zu verhindern, dass Gregor zu ihr fand.
Doch schließlich war er bei ihr. Er blieb neben ihrem Stuhl stehen und beugte sich über sie, bis ihre Gesichter nur eine gute Handbreit voneinander entfernt waren. Als er sprach, konnte Zara seinen Atem riechen, warm und erfüllt vom Duft des Weins, den er getrunken hatte. „Wenn ich Euch jetzt küsse“, sagte er leise, „laufe ich dann Gefahr, von Euren Schwertern in Streifen geschnitten zu werden?“
Zara lächelte. „Probiert es aus, dann wisst Ihr’s.“
Gregor musterte sie aus brennenden Augen und zeigte schließlich ein leises, charmantes Lächeln. „Was soll’s?“, murmelte er. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt...“ Damit beugte er sich noch weiter über sie, und im nächsten Moment spürte Zara seinen Mund auf dem ihren.
Sie schloss die Augen, ließ sich einfach fallen und erwiderte seinen Kuss nicht minder leidenschaftlich. Dann ließ Gregor seine Lippen über ihren weißen, schwanengleichen Hals gleiten, und sie legte den Kopf in den Nacken und stieß ein zufriedenes Seufzen aus. Als Gregors Mund wieder den ihren suchte, zog er sie erneut in einen tiefen, leidenschaftlichen Kuss, der Zaras Begierde hochsprudeln ließ wie Magma aus einem Vulkan, heiß und rot und alles verzehrend.
Sie sprang so heftig auf, dass ihr Stuhl kreischend über den Marmor kratzte und klappernd zu Boden fiel, doch keiner von ihnen scherte sich darum. Nun küssten sie sich im Stehen, begierig und leidenschaftlich, drehten sich in inniger Umarmung, eng umschlungen, als würden sie zu einer unhörbaren Melodie tanzen, und Gregors Hände schienen überall auf ihrem Körper zu sein: auf ihrem Rücken, an ihren Hüften – überall!
Zara genoss Gregors Berührungen und gab sich seiner Leidenschaft hin. Sie stolperte rückwärts, ohne sich aus Gregors Umarmung zu lösen, stieß mit der Hüfte gegen die Tischkante und wischte mit dem Arm achtlos Teller, Gläser und das Besteck vom Tisch, die klirrend und scheppernd zu Boden fielen.
Zara schob sich auf den Tisch, legte sich halb hin und zog Gregor über sich; sein Atem strich heiß und sengend über ihr ohnehin schon erhitztes Antlitz, und sie konnte sein wild hämmerndes Herz durch ihre Kleidung spüren. Erneut bedeckten seine Lippen ihren Hals mit feuchten Küssen, glitten immer tiefer, zu ihrem Dekolleté, während er zugleich mit flinken Fingern die Verschnürung ihres Mieders löste.